Wedel . Zeitplan für Neubau ist laut Umweltbehörde nicht zu halten. Bürgerinitiative kritisiert Verzögerung als „Spiel auf Zeit“.
Wieder einmal heißt es warten. Eine Entscheidung, wie es mit der Hamburger Wärmeversorgung und dem Kraftwerksareal in Wedel weitergehen wird, fällt nicht mehr in diesem Jahr. Das alte Steinkohlekraftwerk bleibt vorerst am Netz. Laut der Hamburger Umweltbehörde gebe es sogar Szenarien, das Kraftwerk so zu ertüchtigen, dass es bis 2021 die Wärmeversorgung von 125.000 Hamburger Haushalten vorerst weiter sicherstelle. Keine Entscheidungen, keine Klarheit und Kohleaussichten bis 2021? Für Wedeler Anwohner ist das vor allem eins: ein Horrorszenario. Kerstin Lueckow ist sauer.
Die Wedelerin, die auch Sprecherin der Bürgerinitiative (BI) „Stopp! Kein Megakraftwerk in Wedel“ ist, hatte wie zahlreiche betroffene Anwohner in Wedel und Rissen auf eine weichenstellende Entscheidung in 2015 gehofft. „Das geht nun schon drei Jahre so. Wir brauchen endlich eine klare Position und eine exakte Aussage zum geplanten Gaskraftwerk“, kritisiert Lueckow auch mit Blick auf das noch anhängige Rechtsverfahren. 15 betroffene Anwohner haben Klage gegen das von Betreiber Vattenfall geplante Bauprojekt eingereicht. Laut Abendblattinformationen ist ein Ortstermin mit den beteiligten Parteien und dem Richter noch in diesem Jahr in Planung. Zeit und Geld, das man sich sparen könnte, wenn das Gaskraftwerk gar nicht mehr gewollt ist.
Vor knapp drei Jahren gaben das Energieunternehmen Vattenfall und der Hamburger Senat als Anteilseigner die Neubaupläne bekannt. Für 500 Millionen Euro sollte in Wedel ein Gas- und Dampfturbinenkraftwerk entstehen. Es ist als Ersatz für das mehr als 60 Jahre alte Steinkohlekraftwerk gedacht. Die Baugenehmigung liegt vor, erste Planungsentwürfe auch. Doch zwischenzeitlich haben die Hamburger bei einem Volksentscheid mehrheitlich für den Rückkauf der Netze votiert, auch die Bedingungen für den Bau eines Gaskraftwerks haben sich geändert.
Was den geplanten Zeitplan erneut durcheinandergewirbelt hat, sind detaillierte Netzdaten die Betreiber Vattenfall auf Drängen der Behörde nun doch noch herausgegeben hat. „Die Stadt bekommt erst jetzt von Vattenfall Einblick in die Daten zum Fernwärmenetz und zu den technischen Anlagen. Auf Grundlage dieser Daten werden die verschiedenen Szenarien eingehend bewertet, um eine vernünftige Entscheidung auch zum Standort Wedel treffen zu können“, erklärt Jan Dube, Sprecher der Umweltbehörde.
Ursprünglich sah der Zeitplan nach mehrfachen Verschiebungen vor, dass der Hamburger Senat einen Grundsatzbeschluss über die Zukunft der Wärmeversorgung Ende 2015 trifft. Eine Grundlage dafür sollte ein eigens von Hamburg in Auftrag gegebenes und mehr als 220.000 Euro teures Gutachten bilden. Das liegt seit einigen Monaten vor. Was den Gutachtern nicht vorlag, waren die detaillierten Netzdaten.
Die forderte die Hamburger Umweltbehörde, nachdem es auch viel Kritik von den am Verfahren beteiligten Umweltverbänden gab, noch einmal nachdrücklich ein. Warum es vom Energieunternehmen erst hieß, man habe alle benötigten Daten zur Verfügung gestellt und nun doch weitere nachgereicht wurden, erklärt Pressesprecherin Kristina Hillmer so: „Die Stadt hat einen noch tieferen Einblick in die Netzdaten erhalten. Wir haben dafür die Daten zur Verfügung gestellt, die nun geprüft werden.“ Erst nein, dann ja: „Vattenfall spielt auf Zeit“, ärgert sich BI-Sprecherin Lueckow. Eineinhalb Jahre lang wäre aufwendig mit vielen Verfahrensbeteiligten an einem Gutachten gearbeitet worden, das nie abschließend die Situation beurteilen konnte, weil technische Daten fehlten. Nun wäre es fertig, plötzlich gebe es die Daten: Das wundert Lueckow.
Klar ist, dass die Entscheidung mehr Zeit braucht und damit das mehr alte Steinkohlekraftwerk länger läuft. So brachte Umweltsenator Jens Kerstan am Mittwoch gegenüber dem Radiosender 90,3 erstmals auch die mögliche Ertüchtigung des alten Kraftwerks bis 2021 ins Gespräch. Er räumte ein, dass es nicht mehr möglich sei, wie ursprünglich in den Verträgen mit Vattenfall zum Netzrückkauf vereinbart, ein neues Kraftwerk bis 2019 zu bauen. „Deshalb werden wir wahrscheinlich um eine Ertüchtigung des Kohlekraftwerks Wedel für wenige Jahre nicht drumherumkommen“, sagte Kerstan.
Ob es dazu schon Vorbereitung vonseiten Vattenfalls gebe, dazu sagte Vattenfall-Sprecherin Hillmer: „Solange alle gesetzlichen Regelungen und Vorschriften eingehalten werden, können wir das Kraftwerk betreiben. Um das sicherzustellen, investieren wir laufend in die Anlage.“ Bei einer Laufzeit über 2017 hinaus wären größere Investitionen erforderlich. Von so etwas möchte Lueckow nichts hören. „Das Steinkohlekraftwerk muss schnellstmöglich vom Netz“, fordert sie. Und ist damit nicht allein. Auch vom BUND gab es am Mittwoch scharfe Kritik an dem von Kerstan angesprochenen möglichen Verlängerungsszenario. Ein wenig Hoffnung auf mehr Klarheit in 2015 können sich die Gegner des Kraftwerksneubaus aber noch machen. Laut Hamburger Umweltbehörde könnte es im Dezember zumindest eine finale Entscheidung über den Bau des neuen Gaskraftwerks doch geben.