Rellingen. Hans-Gerold Seeberger ist im Kreis Pinneberg der einzige Geigenbauer. Nun geht der Rellinger nach 17 Jahren in den Ruhestand.
Es ist schon ein sehr spezielles Unternehmen, das da fast ein bisschen versteckt im rückwärtigen Teil der Rellinger Passage angesiedelt wurde. Seit 1998 betreibt Hans-Gerold Seeberger in der kleinen Ladengasse an der Hauptstraße 74 sein Handwerk. Er ist nicht nur in der Baumschulgemeinde, sondern im ganzen Kreis Pinneberg der einzige Geigenbauer. Und dementsprechend groß ist die Nachfrage nach seinem kunsthandwerklichen Können. Doch damit wird bald Schluss sein. Denn Seeberger hat unwiderruflich entschieden, seinen aus Werkstatt und Ladenlokal bestehenden Ein-Mann-Betrieb aufzugeben.
Am 31. März nächsten Jahres endet für den Geigenbauermeister, der in wenigen Tagen 65 Jahre alt wird, das Berufsleben. „Ich gehe nicht pleite, ich gehe in den Ruhestand oder auch Unruhestand“, scherzt der gebürtige Soltauer, der im Rheinland aufwuchs und von dort auch seinen Sinn für Humor mit nach Rellingen brachte. Der Termin wird von der Rentenversicherung vorgegeben, und das ist kein Scherz. Denn Seeberger hat noch Ansprüche aus seiner früheren Tätigkeit, als er noch nicht selbstständig war.
Schon jetzt wird der Rückzug aus dem Berufsleben allmählich eingeleitet. Schließlich gilt es, das Inventar zu veräußern. Dazu gehören mehr als zwei Dutzend Instrumente wie Geigen aller Größen, Bratschen, Cellos, Mandolinen und Gitarren. Hinzu kommen Saiten, Instrumentenkoffer, Einzelteile für Reparaturen und Pflege sowie Noten und weiteres Material, das die Herzen von Hobby- und Berufsmusikern erfreuen dürfte. Auch die meisten Teile der Einrichtung von Schränken und Vitrinen bis hin zur Werkbank werden spätestens am 28. Februar verkauft sein, hofft der Geigenbauer, wenn Laden und Werkstatt wegen der anstehenden Renovierung geräumt werden müssen.
Über marktschreierische Aktionen mancher Branchen wie „Alles muss raus“ oder „Totalausverkauf“ kann Seeberger nur schmunzeln. Er informiert seine Kunden aus dem Rellinger Umfeld lieber im persönlichen Gespräch über seinen sanften Übergang in den Ruhestand und den Abverkauf des Inventars, wenn sie ihn an seiner Arbeitsstätte besuchen. Doch das Einzugsgebiet des Geigenbauers ist viel größer. Diese Weitläufigkeit bestimmte nach dem Ende seiner Wanderjahre und der Arbeit in Hamburger Unternehmen auch die Entscheidung, sich in Rellingen anzusiedeln. „Mein Betrieb liegt etwa in der Mitte meines auswärtigen Kundenkreises, der von Regensburg in Bayern bis ins dänische Aarhus reicht“, sagt Seeberger. Zur Kundschaft zählen Schulen und Musikschulen ebenso wie Orchester, Rundfunksender und natürlich privat oder hauptberuflich tätige Geigenspieler aller Altersgruppen.
Bei einigen langjährig bestehenden Geschäftsbeziehungen fällt es Seeberger besonders schwer, aufzugeben. Diese Stammkunden wurden bereits vorzeitig informiert. Und bei Bedarf hat der Geigenbauer für diese wie für die übrige Kundschaft auch Tipps parat, wohin sie sich künftig, beispielsweise in Hamburg, wenden sollen.
„Ich liebe meinen Beruf“, sagt Seeberger, um dann einzuschränken: „Doch ich lebe zwar, aber sterbe nicht für meine Arbeit.“ Der Ruhestand sei nun nach seiner langjährigen Tätigkeit „die andere Seite der Medaille“. Deshalb sei es auch vergebliche Mühe, ihn doch noch umstimmen zu wollen. Gern hätte Seeberger, der an der renommierten und international bekannten Geigenbauerschule in Mittenwald seine Handwerkskunst erlernte, einen Nachfolger gefunden. Doch der traditionelle Generationswechsel, wie er früher im Handwerk üblich war, hat auch bei ihm nicht funktioniert. Zwar versuchte er, seinen Sohn Patrick für den Beruf zu begeistern, doch nicht einmal acht Jahre Geigenunterricht reichten aus, dem mittlerweile 22-Jährigen eine Geigenbauerkarriere schmackhaft zu machen. Stattdessen betätigt sich der Junior nun beruflich in der Metallbranche als Feinwerkmechaniker.
Die Arbeit an den Instrumenten, ob es nun darum geht, an einem Geigenkorpus Teile der Decke zu erneuern und mit acht bis zwölf Schichten Grundierung, feinster Farbe und Lack perfekt zu tönen, Wirbel, Hals und Griffbrett zu bearbeiten oder Saitenträger zu richten, wird ihm nicht fehlen, glaubt Seeberger. Für den Ruhestand hat er keinen Plan, will die Dinge einfach auf sich zukommen lassen. Vielleicht ein bisschen reisen und mehr Zeit zum Lesen nutzen – aber auf jeden Fall in Rellingen wohnen bleiben. Denn diese Gemeinde mit ihrem Angebot an Musik und Kultur ist längst sein Lebensmittelpunkt geworden.
Und vielleicht noch mal selbst eine Geige bauen? Mehr als sieben bis acht Exemplare hat Seeberger im Laufe seines Berufslebens nicht angefertigt, weil immer zu viel mit Aufträgen für Reparatur und Pflege der Instrumente seiner Kunden zu tun war. Doch daraus wird wohl auch nichts werden, nicht zuletzt deshalb, weil dann die Werkstatt fehlt.
Und wie wäre es, selbst mal wieder zum Musiker zu werden? „Das schließe ich nicht aus“, sagt Seeberger nachdenklich. Schließlich hat er dafür wie jeder Geigenbauer den Bogen raus. Hinzu kommt: Schon als sechsjähriger Knirps bekam er bei seinem Vater, der Berufsmusiker war, Geigenunterricht. Seebergers Fazit lässt hoffen: „Als Solist bin ich wohl nicht geeignet, doch zum Orchestergeiger würde ich taugen.“