Kreis Pinneberg. 340 Mitarbeiterder Regio Kliniken bangen um ihre Arbeitsplätze und Rentenansprüche. Eine Betroffene redet Kartext

Seit 30 Jahren arbeitet Jutta Lüddecke für die Regio Kliniken als Diätassistentin. Am 1. April hatte die 62-Jährige dieses Jubiläum erreicht. Drei Jahrzehnte, in denen sie mit ihrer „Arbeitsfamilie“ zusammengewachsen ist, sich gekappelt und wieder zusammengerauft und den Großteil des Tages verbracht hat – inklusive Feiertage. „Wir arbeiten Weihnachten, Ostern, jedes zweite Wochenende“, sagt die Uetersenerin. Sie liebt ihre Arbeit. Doch nun droht ihr die Kündigung, denn die Geschäftsführung der Regio Kliniken planen, Reinigung, Küche, Archiv, Service, Patiententransport und Empfang zum 1. Juli zu schließen und die Dienstleistungen auszulagern. Betroffen sind 340 Mitarbeiter.

Als Diätassistentin mit Staatsexamen ist Jutta Lüddecke im Regio-Klinikum Elmshorn der Küche unterstellt, statt wie in anderen Kliniken üblich direkt dem Arzt. „Der Bereich der Küche gilt aus Sicht der Klinikleitung als patientenferner Bereich, der outgesourct werden soll“, sagt die Fachkraft. Das gilt schon für jene 180 Beschäftigten der Pinneberger Kliniken Servicegesellschaft, die seit 2014 zur Sana AG gehören und tariflich schlechter gestellt sind als die anderen 160 Betroffenen, die direkt bei den Regio Kliniken angestellt sind wie Jutta Lüddecke. „Wir sollen uns dann neu bei den Sana- Töchtern bewerben“, sagt sie. Wie viele übernommen werden, ist ungewiss. Auch darüber verhandelt zurzeit der Betriebsrat mit der Geschäftsführung. Es heißt, dass etwa 100 Mitarbeiter auf jeden Fall ihren Arbeitsplatz verlieren.

Bedürfnis, für Patienten und Kollegen da zu sein, hält vom Streik ab

„Ziel ist es, dass die Mitarbeiter raus aus dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes und rein in untere Lohngruppen und Werkverträge sollen“, sagt Jutta Lüddecke. Ein Koch müsste mit bis zu 700 Euro monatlich Gehaltsverlust rechnen, eine Diätassistentin mit bis zu 900 Euro Einbußen im Monat. Zudem steht die VBL-Betriebsrente auf der Kippe. Wobei noch unklar ist, ob die betroffenen Mitarbeiter dafür Ausgleichszahlungen erhalten und wer diese trägt – ob Kreis, Sana oder Regio.

Dabei stünden Lüddecke und ihre Kollegen schon jetzt an freien Tagen auf Abruf bereit, denn es herrsche Personalmangel. Das für Menschen in Pflegeberufen oft typische Helfersyndrom sorge dafür, dass sie trotz schlechter Bedingungen weiter machen würden. „Wir möchten weder Kollegen noch Patienten hängen lassen“, sagt sie. Das mache es so schwer, im Kampf um den Arbeitsplatz vom Streikrecht Gebrauch zu machen. „Auf unserem Pflichtgefühl fußt die Ausbeutung durch die Klinikleitung“, sagt Lüddecke, die alleinerziehend zwei Töchter großzog und deshalb halbtags arbeitete.

Mitarbeiter opfern Zeit, Energie und teilweise ihre Gesundheit

Sie identifiziere sich wie die meisten ihrer Kollegen mit Job und Unternehmen. Anders als manch einer an der Konzernspitze, so Lüddecke. „Die Geschäftsführer sind doch die neuen Wanderarbeiter“, sagt sie. „Sie kommen, strukturieren um, entlassen Mitarbeiter und ziehen dann zum nächsten Konzern.“ So komme gar nicht erst soetwas wie ein Zugehörigkeitsgefühl mit Unternehmen und Mitarbeitern auf.

Mit jeder Umstrukturierung hätten sich auch die Arbeitstage in der Klinik verdichtet. „Die Kollegen sieht man nur mit fliegenden Haaren durch die Gänge hasten“, sagt sie. Ständig fehle es an Zeit und Personal. Das systematische Auspressen der Mitarbeiter bleibe nicht folgenlos: „Die Kollegen opfern Zeit, Energie und teilweise ihre Gesundheit.“ Ausfälle wegen Erschöpfung und Depression hätten zugenommen.

Die herrschenden Verhältnisse gehen auch auf Kosten der Patienten. So soll laut Abendblatt-Information eine ältere Schlaganfall-Patientin drei Stunden in vollen Windeln gelegen haben, bevor jemand die Zeit fand, diese zu wechseln.

„Mal für drei Minuten am Bett eines Kranken zu sitzen und die Hand zu halten, um zu trösten, das ist unter dem Druck nicht mehr möglich“, sagt Lüddecke, die ihr am UKE in Hamburg ihr Staatsexamen ablegte, einen Teil der Ausbildung im Hotel Vier Jahreszeiten absolvierte und später als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Regio-Kliniken saß.

Als Diätassistentin arbeitet sie eigenverantwortlich und patientennah wie ein Physiotherapeut. „Wir errechnen, wie viel von welcher Portion gegessen werden darf, schulen Patienten, vermitteln in Seminaren wie gesunde Ernährung die Heilung unterstützen kann.“ Experten schätzten, dass 50 Prozent aller Erkrankungen eine ernährungsabhängige Komponente haben. In anderen Kliniken setze man daher stärker auf Stoffwechselambulanzen oder interdisziplinäre Ernährungs­­-teams. „Das hätten die Regio Kliniken besser machen können“, sagt Lüddecke. Sich bei einer Sana-Tochter neu zu bewerben, käme nicht in Frage. Ihr Plan B: Die Tätigkeit in der kleinen Praxis in Uetersen, die sie sich mit einem Arzt teile, auszubauen und Menschen zu schulen, sich gesund zu ernähren.