Schenefeld. Fabfab gibt Stoff. Für 2014 vermeldet der Internethändler Umsatzplus von 90 Prozent. Zahl an Mitarbeitern auch mit Behinderung steigt.
Peter Kalitz hat eine schwere Zeit hinter sich. In den vergangenen Jahren pflegte der 53-Jährige seine Mutter, bis sie im vergangenen Jahr relativ überraschend verstarb. Für den geistig behinderten Mann war es ein Schock. Heute kann er wieder lächeln. „Ich stehe jeden Morgen gern auf und gehe zur Arbeit. Ich fühle mich hier sehr wohl“, sagt Kalitz. Seit Januar arbeitet er beim Schenefelder Stoffhändler fabfab, übernimmt leichtere Aufgaben im Lager. Nach dem Tod seiner Mutter hatte er für solch eine Chance gebetet, wie er sagt. Dass er hier einfach aufgenommen wurde und niemand ihn mobbt, ist für Kalitz keine Selbstverständlichkeit. „So etwas findet man nicht oft im Leben“, sagt er.
Überhaupt einen Job zu finden, eine Aufgabe zu haben und ein Teil der Gesellschaft zu sein: Was sich gesunde Menschen im fortgeschrittenen Alter wünschen, aber schwer finden, ist für Menschen mit Behinderung noch sehr viel viel schwerer zu bekommen. Bei fabfab ist Kalitz einer von derzeit vier Mitarbeitern mit Handicap. Tendenz steigend. Denn das Unternehmen auf Wachstumskurs setzt seit kurzem bewusst auf Angestellte mit Behinderung. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Mitarbeiter von 80 auf derzeit 140. Fabfab-Geschäftsführer Niels Nüssler schätzt, dass noch in diesem Jahr die 200-Marke erreicht wird. „Ich sehe keinen Grund, warum wir nicht darunter zehn bis 15 Menschen mit Behinderung beschäftigen könnten“, so Nüssler.
Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern sind gesetzlich dazu verpflichtet, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Allerdings haben sie die Möglichkeit, sich von dieser Pflicht freizukaufen. Die Ausgleichszahlung müssen Unternehmer rückwirkend für das Jahr entrichten, wenn sie die geforderte Fünf-Prozent-Quote nicht erfüllen. Seit 2013 zahlen Unternehmen 115 Euro pro Monat bei einer Beschäftigungsquote ab drei bis unter fünf Prozent, 200 Euro bei einer Beschäftigungsquote ab zwei bis unter drei Prozent sowie 290 Euro bei einer Beschäftigungsquote unter zwei Prozent. Die Unternehmen sind verpflichtet beim zuständigen Integrationsamt die Anzahl der Beschäftigten mit und ohne Behinderung anzugeben.
Im Kreis Pinneberg ist die Brücke SH in Elmshorn die zuständige Anlaufstelle. Genaue Zahlen darüber, wie viele Firmen die Quote erfüllen oder sich freikaufen, gibt es dort nicht. Auch beim hiesigen Arbeitsamt des Kreises gibt es darüber keine Statistik. Klar ist, während deutschlandweit die Zahl der Arbeitslosen rückläufig ist, steigt sie bei Menschen mit Behinderung an. Laut der Agentur für Arbeit waren im Oktober 2014 bundesweit 178.000 schwerbehinderte Menschen arbeitslos gemeldet. Das ist ein Prozent mehr als im Vergleich zum Vorjahr. Besonders Schwerbehinderte im Alter ab 55 Jahren sind von Arbeitslosigkeit betroffen.
Viele Unternehmen würden lieber die Strafe zahlen, als Mitarbeiter mit Behinderung einzustellen, weiß Nüssler aus Erfahrung. „Man denkt nur an Probleme, nicht an die Bereicherung“, sagt der Geschäftsführer. Ähnlich Gedanken machte sich das noch relativ jungen Internetstoffhändler, dessen Absatz und Umsatz boomt. Im vergangenen Geschäftsjahr verzeichnete die fabfab GmbH mit Sitz am Osterbrooksweg eine Umsatzsteigerung von 90 Prozent. 2013 lag der angestrebte Nettoumsatz noch bei neun Millionen Euro. Darüber ist man hinweg. Auch das Lager platzt bereits wieder aus allen Nähten. Dabei wurde bereits auf einem Nachbargrundstück eine weitere Fläche angemietet. Es langt trotzdem nicht. Jetzt wurde von außen Hilfe geholt. Mit Unterstützung externer Berater will das Unternehmen noch im kommenden Jahr einen weiteren Logistikstandort aufbauen, um dem enormen Wachstum gerecht zu werden. Personal, Struktur und Logistik: Bei so vielen Baustellen war man bei fabfab versucht, auf die Ausgleichszahlung auszuweichen. Nüssler ist heute mehr als froh, dass man sich anders entschied. Denn die Erfahrungen seien durchweg positiv.
So positiv, dass das Unternehmen auch anderen Betrieben Mut machen will und an sie appelliert, der Idee eine Chance zu geben. „Die Beschäftigen mit Handicap kommen mit einer so enormen Freude zur Arbeit. Das steckt an“, sagt Nüssler. Einen Job zu haben, akzeptiert zu werden: Was für andere eher selbstverständlich ist, erfülle die Menschen mit Behinderung mit großer Dankbarkeit. Das wiederum motiviere andere Kollegen. Natürlich wäre es auch eine Herausforderung, die Menschen mit Behinderung in das Unternehmen zu integrieren, gibt Nüssler zu. Trotzdem will der Internethändler die Quote in diesem Jahr noch erfüllen. Freikaufen kommt für Nüssler nicht mehr in Frage.