Erinnerungen an das Auf und Ab der Sozialdemokraten. Genossen in der Kreisstadt feiern im März 2015 ihr 150-jähriges Bestehen.

Pinneberg. Es ist 1972, als Herbert Hoffmann sich für das SPD-Parteibuch entscheidet. Das Jahr, in dem Kanzler Willy Brandt ein Misstrauensvotum übersteht. Das Vertrauen des Mitzwanzigers Hoffmann hat Brandt damals ohnehin. Auch er will „mehr Demokratie wagen“. Heute, 43 Jahre später, mischt Herbert Hoffmann als Urgestein der Pinneberger Sozialdemokraten politisch immer noch voll mit. Der langjährige Parteichef sitzt im Rat, kümmert sich um die Pressearbeit – und bereitet gemeinsam mit seinem Nachfolger Kai Vogel die Feierlichkeiten zum 150-jährigen Bestehen der Partei in Pinneberg vor. Wer sollte das auch sonst tun? „Herbert Hoffmann hat Tonnen von historischem Material im Keller“, weiß Vogel. Und jede Menge Erinnerungen im Kopf.

Etwa an Besuche großer Sozialdemokraten in seiner Heimat. Er habe sämtliche während seiner politischen Karriere nominierten Kanzlerkandidaten persönlich kennengelernt. Mit Oskar Lafontaine leerte Hoffmann im „Cap Polonio“ manch Glas Wein. Der Saarländer beeindruckte ihn besonders. Sein großes Vorbild Brandt war schon vor seiner Zeit in Pinneberg zu Gast gewesen. Im Jahr 1965. „Damals haben sich die Leute um die Plätze gekloppt“, sagt er. Hoffmann hat die überlieferten Fotos digitalisiert. Er bewahrt die Geschichte der örtlichen SPD.

Die hatte im Frühjahr 1865 ihren Ausgang genommen. 62 Gründungsmitglieder waren am Nachmittag des 19. März zusammengekommen, um einen Ableger des von Ferdinand Lassalle initiierten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins aus der Taufe zu heben. In der Folge war die Bewegung rasch gewachsen. Der überlieferte Bericht einer so genannten Lusttour des Pinneberger ADAV zeugt vom großen Zuspruch. Im Juli 1865 hatte sich ein Zug in Richtung Kummerfeld in Bewegung gesetzt. Unter den Klängen des Marseillermarsches gesellten sich Mitglieder der Liedertafel hinzu. Es folgen weitere Verbrüderungsfeste der Arbeiterbewegung. Es folgen Gewerkschaftsgründungen. Und es folgt 1878 das so genannte Sozialistengesetz. Der Versuch konservativer Kräfte, die Arbeiterbewegung im Keim zu ersticken.

Ein Versuch, der scheitert. Auch in Pinneberg organisiert sich das Proletariat zunehmend. Die Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder nimmt zu. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs zählt die deutsche Sozialdemokratie mehr als eine Million Mitglieder. Nach dem Krieg dominieren die Sozialdemokraten den Pinneberger Stadtrat, von 24 Abgeordneten besitzen 15 das rote Parteibuch. Am 19. August 1923 wird der Genosse Wilhelm Burmeister zum Bürgermeister gewählt. Zehn Jahre später stehen die Nazis vor der Tür. Sie verhaften Stadtverordnete der SPD, verschleppen einige in Konzentrationslager.

Dass die Sozialdemokratie in Pinneberg das Joch des Nationalsozialismus überlebt hat, zeigt sich bereits im September 1946. Die SPD setzt sich bei der ersten Wahl nach dem Krieg durch, dominiert den Stadtrat. Mitglied Richard Köhn wird zum Bürgermeister gewählt. Frauen spielen in der Partei künftig eine wichtige Rolle. Emma Bohnemann wird bis 1970 Mitglied der Ratsversammlung bleiben – und sich massiv für das Vorankommen der Frauen in der Politik einsetzen. Die Sozialdemokraten halten in den beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg im Rathaus klar das Zepter in der Hand.

Irrungen, Wirrungen, viel Leid, vielleicht noch mehr Leidenschaft – Herbert Hoffmann hat nur einen Bruchteil der SPD-Historie in Pinneberg miterlebt. So wird er Zeuge einer Führungskrise Mitte der 70er Jahre. Massenhafte Pateiaustritte. Eine derbe Wahlniederlage. In den Folgejahren die Konsolidierung. 2005 folgt erneut ein Bruch. Die CDU weist Pinnebergs SPD mit klarer finanzpolitischer Ausrichtung deutlich in die Schranken.

2008 dann der Erdrutschsieg der Sozialdemokratin Kristin Alheit. Sie wird Pinnebergs Bürgermeisterin. „Ein großer Push für die Partei“, erinnert sich auch Kai Vogel. Im November 2012 steht die SPD mal wieder vor einer Zerreißprobe. Hoffmann spricht sich für die parteilose Urte Steinberg als Nachfolgerin der nach Kiel abgewanderten Alheit aus. Er muss kämpfen, stellt sogar sein Amt als Parteichef zur Verfügung – und setzt sich letztlich gegen parteiinterne Widerstände durch. Ein Jahr später nimmt Hoffmann tatsächlich seinen Hut und übergibt an Vogel.

An charismatischen Weggefährten fehlte es Herbert Hoffmann nie. Dieter Tietz etwa, 1978 zum Fraktionschef gewählt, streitet noch heute an seiner Seite. Hartmuth Wrocklage, ab 1976 Parteichef an der Pinnau, wurde später gar Innensenator im benachbarten Hamburg. Nicht zu vergessen Bernd Schröder, der sich als Landtagsabgeordneter jahrelang in Kiel für die Interessen seiner Heimatstadt einsetzte – und 2013 nach langem Kampf einer Krebserkrankung erlag. „Ein Freund“, wie Hoffmann sagt. Ein Politiker, der trotz seiner Ämter stets Mensch geblieben sei. Den Landtagssitz Schröders hat heute Kai Vogel inne.

Herbert Hoffmann hat Sozialdemokraten kommen sehen. Er hat einige gehen sehen. Er blieb treu. Seine Genossen dankten es ihm. Sie haben ihn zum Ehrenvorsitzenden auf Lebenszeit gemacht. Für die Zukunft der Partei ist Kai Vogel zuständig. Er sitzt für die SPD im Landtag, ist zudem Mitglied der Ratsversammlung. Und der Bildungsexperte blickt optimistisch in die Zukunft – obwohl die Zahl der Parteimitglieder seit den 1970er Jahren von 600 auf 180 zurückgegangen ist. Das sei ein Phänomen, das alle politischen Gruppierungen betreffe.

Pinnebergs SPD sei vor allem im Nachwuchsbereich gut aufgestellt, sagt Vogel. Diesbezüglich sei in den vergangenen Jahren gute Arbeit geleistet worden. „Was uns jedoch fehlt, sind Mitglieder mittleren Alters“, so der 46-Jährige. Engagierte Menschen, die voll im Berufsleben stünden. Aber ehrenamtliche Kommunalpolitik koste viel Zeit. „Und die Jobs werden immer härter“, weiß Vogel, der 1989 in die Partei eintrat – und Björn Engholm als Triebfeder seines Engagements nennt.

Nach Schwerpunkten der künftigen Arbeit befragt, muss Vogel nicht lange überlegen. „Die Konsolidierung des städtischen Haushalts steht über allem.“ Ein Weg sei die Ausweisung neuer Gewerbegebiete. Die Sanierung der Pinneberger Schulen – ebenfalls ein Thema, das die kommenden Jahre beherrschen werde. Herbert Hoffmann räumt ein, dass die derzeitige Schuldenkrise der Kreisstadt auch auf dem Mist der Sozialdemokraten gewachsen ist: „Niemand in der Politik ist unschuldig.“ Es nütze jedoch nichts, zurückzublicken. „Pinneberg muss jetzt sein Gesicht verändern“, so der 67-Jährige. „Und wir wollen der Stadtverwaltung in diesem Prozess ein verlässlicher Partner sein“, ergänzt sein Nachfolger.

Info Extra: Pinnebergs Sozialdemokraten feiern ihr 150-jähriges Bestehen nicht am Stichtag, weil der auf einen Wochentag fällt. Die Parteiparty steigt stattdessen am Sonntag, 22. März. Die barocke Landdrostei an der Dingstätte ist bereits gebucht. Zu den um 11 Uhr beginnenden Feierlichkeiten wird unter anderen auch SPD-Landeschef Ralf Stegner in der Kreisstadt erwartet.