Nach Vorstoß der Drogenbeauftragten der Bundesregierung diskutieren Fachleute und Politiker. Bundestagsabgeordnete aus dem Kreis Pinneberg befürworten den Einsatz von Cannabis in der Schmerztherapie.
Kreis Pinneberg. Es ist ein dunkler Januarabend. Auf regennasser Landstraße verliert ein Autofahrer die Kontrolle über seinen Wagen. Das Fahrzeug überschlägt sich. Ein junger Mann, der eben noch auf dem Fußballplatz stand, findet sich im Unfallkrankenhaus wieder. Gelähmt. Gequält von heftigen Spastiken. Im Nachbarbett ein Leidensgenosse. Er verrät einen Weg, die Krämpfe zu kontrollieren. Cannabis. Dessen Wirkstoff THC entspannt und lindert. Problem: Legal ist der „Stoff“ nicht zu beschaffen. Noch nicht. Derzeit wird über eine Freigabe für die Therapie bei schwerkranken Menschen diskutiert. Anlass ist ein Vorstoß der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), die einen neuen Gesetzesentwurf für dieses Jahr ankündigt. Er würde schwerkranker Schmerzpatienten den Konsum von Cannabis zu Therapie von 2016 an ermöglichen.
Die vier für den Kreis Pinneberg zuständigen Bundestagsabgeordneten stehen der Freigabe von Cannabis für schwerkranke Menschen offen gegenüber. „Ich teile das Anliegen, bei schwerkranken Patientinnen und Patienten die Versorgung weiter zu verbessern“, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Ole Schröder. Dazu könne unter bestimmten Voraussetzungen auch die Abgabe cannabishaltiger Arzneimittel oder Medizinalhanf auf Krankenkassenkosten gehören.
„Eine generelle Legalisierung von Cannabis lehne ich ab“, sagt Schröder. Ohne das Verbot würde es zu einem Anstieg der Konsumentenzahl, der Einzeldosis und der Einnahmefrequenz kommen, wie Studien in US-Bundesstaaten belegten, in denen dies legalisiert worden sei. Der seit vielen Jahren höhere THC-Gehalt von Cannabis führe bei regelmäßigem Konsum zu erheblichen psychischen und körperlichen Auswirkungen, warnt Schröder. Regelmäßiger Konsum von Cannabis im Jugendalter berge Gefahren für die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten. Cannabis als Einstiegsdroge könne darüber hinaus vor allem jüngere Konsumenten zu härteren Drogen verleiten.
Für eine grundsätzliche Legalisierung spricht sich dagegen Cornelia Möhring von der Partei Die Linke aus. „Es ist ein Skandal, dass Menschen mit chronischen Schmerzen heute noch ein wirksames Medikament verweigert wird, das sogar weitgehend frei von Nebenwirkungen ist“, sagt die Bundestagsabgeordnete der Linken. Fachleute in allen Fraktionen unterstützten den „überfälligen Vorstoß“ der Drogenbeauftragten der Bundesregierung. „Die Bundesregierung muss jetzt handeln und so schnell wie möglich einen Gesetzentwurf vorlegen“, fordert Möhring. Sie findet, dass auch die generelle Freigabe von Cannabis „einfach an der Zeit ist“. Dies müsse selbstverständlich verbunden werden mit einer klaren Regelung zum Jugendschutz, die auch für Tabak und vor allem Alkohol notwendig sei. Die Erfahrung in anderen Ländern, zuletzt in den USA, zeige, „dass Repression und Verbote keine Lösung sind, sondern die Probleme unnötig verschärfen. „Im Übrigen ist das Ganze gar nicht so neu, denn schon im zwölften Jahrhundert empfahl Hildegard von Bingen den Hanf als Heilmittel.“
Auch der Abgeordnete Ernst Dieter Rossmann, SPD, hat eine klare Meinung: Ja zu Cannabis für Schwerkranke, Nein zur generellen Freigabe der Droge. Er sei allerdings immer offen für weitere suchtpolitische Forschungen und daraus resultierende Erkenntnisse.
Den derzeitigen Tendenzen bei den Grünen, Cannabis generell zu legalisieren, scheint die Bundestagsabgeordnete Valerie Wilms dagegen wenig abgewinnen zu können. Sie will Schwerkranken aber helfen: „Ohne die Gefahren des Konsums von Cannabis klein zu reden, gibt es für mich keinen Grund dafür, es Kranken zu verwehren, wenn es hilft, ihre Leiden zu vermindern.“
Dass Cannabis in Einzelfällen sinnvoll und wirksam sein kann, bestätigt Dr. Burkhard Schmieding. Der Oberarzt der Regio Kliniken im Kreis Pinneberg ist Experte für Spezielle Schmerztherapie und Palliativmedizin und hat selbst schon den Wirkstoff zur Behandlung von Patienten mit sehr schmerzhaften Spastiken genutzt. „Die Erfahrungen, die ich mit Cannabinoiden als Medikament in einem Einzelfall gemacht habe, sind positiv. Eine Erleichterung der Therapie mit diesen Medikamenten, wie jetzt diskutiert, ist aus meiner Sicht sinnvoll“, sagt Schmieding. Er weist aber auch darauf hin, dass der Einsatz der Pflanze auch im medizinischen Fachkreis umstritten ist.
Zahlreiche klinische Studien hätten das Wissen um das therapeutische Potenzial von Cannabisprodukten in den vergangenen Jahren erheblich verbessert. So hätten sie gezeigt, dass sich der Wirkstoff positiv auf HIV-Patienten auswirke, die unter Appetitlosigkeit leiden. Auch bei Patienten mit Krebserkrankungen hätte Cannabis Erbrechen und Übelkeit während der Chemotherapie gelindert. Auch gebe es Hinweise, dass Cannabis bei Tumorschmerzen, Rheuma und Fibromyalgie helfe. Anderseits wirke das Mittel bei akuten Schmerzen nicht. „Im Einzelfall kann Cannabis helfen“, so Schmieding. „In der Regel gibt es bessere und wirksamere Alternativen.“