Betreiber Vattenfall bekommt nachgewiesen Lärmpegel nicht heruntergeschraubt. Aufsichtsbehörde hat ein Einsehen, die Anwohner das Nachsehen. Sie wehren sich nun juristisch gegen Fristverlängerung.
Wedel. Der Krach ums Wedeler Kraftwerk spitzt sich zu. Die Anwohner, denen die lärmende Anlage auf die Nerven geht, sind sauer – denn sie müssen sich erneut in Geduld üben. Seit knapp drei Jahren klagen sie über zunehmenden Lärm von der in die Jahre gekommenen Anlage am Tinsdaler Weg. Seit 2014 haben sie aufgrund von Messungen Gewissheit. Passiert ist aus ihrer Sicht seither nichts. Da sorgt die Botschaft einer Fristverlängerung für den Betreiber Vattenfall für ordentlich Frust im angrenzenden Wohnviertel.
Das Problem: Vattenfall bekommt den durch Messungen nachgewiesenen Lärm vor allem bei den Schiffsentladungen nicht heruntergeschraubt. Die Aufsichtsbehörde hat ein Einsehen, die Anwohner das Nachsehen. Denn das zuständige Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) hat dem Unternehmen mehr Zeit gegeben. Ursprünglich sah die verhängte Verordnung vor, dass Vattenfall bis zum 31. Januar das Problem lösen muss. Auf Abendblatt-Nachfrage erklärt Martin Schmidt, Pressesprecher beim LLUR: „Wir gehen davon aus, dass wir die Frist bis zum 31. April verlängern werden.“ Allerdings wolle man das noch mit Vattenfall abstimmen, vielleicht gehe es auch schneller.
Mit Vattenfall abstimmen? Fristen von Anordnungen einfach verlängern? Den Betroffenen reicht’s. Sie haben einen Anwalt eingeschaltet und drängen mit Nachdruck auf eine Lösung innerhalb der ursprünglichen Frist. Ist es im Februar nicht messbar stiller, wollen sie selbst für eine Stilllegung der krachmachenden Anlage sorgen – notfalls im Eilverfahren, wie Anwohnerin Kerstin Lueckow erklärt. Dabei will sie nicht direkt dem Kraftwerk den Saft abdrehen, sondern indirekt. Denn stillgelegt werden soll der Verladekran am Wasser. Ohne Kran keine Kohle und ohne Kohle kein Kraftwerk und ohne Wedels Kraftwerk bleiben Tausende Hamburger Haushalte im Winter kalt. „Wir fordern die Einhaltung der Gesetze. Wenn die Anlage nicht gesetzeskonform ist, muss sie abgestellt werden“, sagt Lueckow, die auch Sprecherin der Bürgerinitiative „Stopp: Kein Mega-Kraftwerk Wedel“ ist, die sich gegen das geplante neue Gaskraftwerk wendet.
Der Kran, mit dem die Steinkohlefrachter entladen werden, ist nach den Lärmmessungen im August vergangenen Jahres ins Visier geraten. Er wurde als Hauptlärmquelle ausgemacht. Dabei ist es nur ein kleiner Hubbel, der für so viel Ärger sorgt. Jedes Mal, wenn die Laufkatze zum Heben der Kohle über den Höhenversatz fährt, knallt es. Die hohlen Stahlstreben sorgen dann dafür, dass das Geräusch durchs Wedeler Wohnviertel hallt. Verschiedene Versuche, die Stahlstreben von innen oder außen mit Dämmmaterial zu versehen, scheiterten laut Vattenfall an sicherheitstechnischen Bedenken des Arbeitsschutzes und aufgrund einer Legierung gegen Rost. Eine kleine Rampe soll der Krankatze nun über den Höhenversatz helfen und für Ruhe sorgen. Diesen Plan hat die Aufsichtsbehörde abgeknickt. Die verworfenen Lösungen haben allerdings Zeit gekostet, deshalb die Fristverlängerung.
Die ist laut Sprecher Schmidt berechtigt, weil Vattenfall bereits Maßnahmen zur Lärmminderung wie das Abschleifen des Schienenstoßes umgesetzt habe. Der zuständige Mitarbeiter im LLUR hätte sich bei mehreren, auch unangekündigten, Besuchen davon überzeugen können, dass die Schiffsentladungen „gefühlt leiser“ geworden seien. Denn die angekündigten Lärmmessungen zur Überprüfung wurden ebenfalls verschoben – voraussichtlich in den Mai, wenn die Krankatze wie versprochen leiser schnurren soll.
Mit leisen Gefühlen kann Lueckow nichts anfangen. „Derzeit kommen ununterbrochen Schiffe, die Kohle bringen. Es ist so laut, dass man kein Fenster öffnen kann.“ Die Wedelerin kann nicht begreifen, wie kleinere Betriebe sofort in die Pflicht genommen werden, wenn sie veraltete Anlagen betreiben und in diesem Fall monatelang ein Kran aufgrund eines ausgeschlagenen Schwellers die Nachbarschaft terrorisieren darf. „Dann geht das eben den rechtlichen Weg“, so Lueckow. Im LLUR nimmt man diese Ankündigung gelassen. „Wir müssen die Interessen der Anwohner und des Betreibers abwägen“, sagt Schmidt. „In diesem Fall liegen die Lärmüberschreitungen in einem Bereich, in dem eine Stilllegung der Anlage nicht in Betracht kommt.“ Auch die Nutzung eines anderen Krans, den es sogar auf dem Areal bereits gibt, sei aus wirtschaftlichen Gründen für Vattenfall nicht zumutbar. Lueckow hält dagegen die dauerhaften Lärmüberschreitungen für eine Zumutung. Am Ende muss wohl das Gericht einmal mehr klären, wer Recht hat.