Der Weltmusiker Andy Holm hat seine Heimat Uetersen vor 30 Jahren verlassen. Seitdem lebt er in Australien. Während seines Urlaubs in Hamburg hat er mit dem Abendblatt über seine alte Heimat gesprochen.
Hamburg/Uetersen Gemütlich sitzt Andy Holm im Hamburger Portugiesenviertel, genießt seinen Espresso, die Sonne und das Multi-Kulti-Flair. Ein farbiger Knirps geht im schneeweißen DFB-Trikot vorbei, darauf prangen der Name „Reus“ und die Nummer 21. „Das ist es, was ich unglaublich schön finde“, sagt Holm. „Deutschland ist endlich multikulturell geworden.“
Der gebürtige Uetersener ist zu Besuch in Deutschland. Er lebt seit mehr als 30 Jahren im Badeort und Surferparadies Byron Bay in Australien. Eine kleine Gemeinde, etwa 150 Kilometer südlich von Brisbane und 800 Kilometer nördlich von Sydney. Der australisch-deutsche Musiker und Filmemacher kommt nur noch sporadisch in die alte Heimat – und er hat neue Qualitäten entdeckt. Das Land seiner Jugend, so findet er, habe sich insbesondere in den vergangenen zehn Jahren stark verändert.
„Als ich jung war, sah man in Uetersen und Hamburg außer den Deutschen fast nur Griechen und Türken. Viele lebten unter sich“, erinnert sich der 56-Jährige. Die Integration, das Multikulturelle, waren noch in weiter Ferne. Nun, 30 Jahre später, erkennt er das Land kaum wieder. „Hier hat sich vieles enorm verändert, vor allem seit dem Mauerfall 1989“, sagt er. Der Wegfall der Grenzen, die Menschen, die seit dem Ende des Kalten Krieges aus allen möglichen Ländern der Welt nach Deutschland gekommen sind, sie hätten das Land enorm bereichert. Wenn er farbige junge Männer im derbsten Hamburger Slang auf der Reeperbahn schnacken hört, wenn junge Frauen aus Nordafrika auf plattdeutsch klönen, sei das einfach großartig. „Es macht jetzt wieder Spaß hier zu sein“, sagt er.
Der Wahl-Australier, hat sein Leben der Musik verschrieben. Schon in den späten 1970er Jahren hatte Andy Holm erste Liveauftritte in Elmshorn und Uetersen, die ihn regional bekannt machten. 1982 veröffentlichte er als 21-Jähriger unter dem Namen „Andreas Holm's Collage“ seine erste Maxi-Single. Die Platte hieß „Alles Gute“, doch gut war die Scheibe nicht. „Eine meiner Jugendsünden“, sagt er und lacht.
In Uetersen knüpfte er über eine dortige Hippiekommune erste Kontakte zu indischer Musik. Für Holm, immer auf der Suche nach neuen musikalischen Zielen, waren diese Erfahrungen Gold wert. „Ich wusste auf einmal, dass die Weltmusik das ist, was mir Spaß bringen wird, dass ich das machen will.“ Zumal Uetersen, wo er das Ludwig-Meyn-Gymnasium besucht hatte, für ihn immer enger wurde.
1979 reiste Holm nach Indien, studierte dort fast zwei Jahre lang nordindische Musik. In Indien lernte er auch seine erste Frau kennen – eine Australierin. Der Liebe wegen zog er mit ihr in das Land, das ihm bis dahin fremd war. „Die Ehe hielt aber nicht lange. Ich heiratete danach noch einmal“, sagt er. Seit 25 Jahren ist er mit seiner australischen Frau zusammen, lebt mit ihr in Byron Bay, das er als australische Version von Timmendorf bezeichnet.
Der Ort ist weltweit ein Pilgerort für Freunde der Hippie-Kultur. „Die ist da immer noch lebendig und stirbt nicht aus. Die Hippies der ersten Stunde haben inzwischen Nachwuchs, der wiederum Kinder bekommen hat“, sagt Holm. Die Ideen und Ideale würden kontinuierlich weitergegeben. Doch der Hype um die Stadt habe der Gemeinde nicht immer gut getan: Surfen, Hippies, Whale-Watching. 1,2 Millionen Touristen strömten jedes Jahr dorthin. „Der Ort kann die Masse der Touristen gar nicht auffangen, die Infrastruktur fehlt dafür“, sagt er.
Für Holm ist der Ort dennoch ideal für seine Arbeit. Dort kann er Ideen sammeln, Eindrücke gewinnen, die in seine Musik einfließen. Die ist ein kreatives Sammelsurium an internationalen Musikelementen. Elektronische Klänge verbindet er mit indischer Sitar, australischen Didgeridoos, afrikanischen Flöten und Afrikaans oder Suaheli-Gesang. 18 Instrumente plus Perkussionsinstrumente beherrscht er. Seine musikalische Vielfalt hat sich im Laufe der Jahre herumgesprochen.
„Mein persönlich größter Moment war, als ich im Jahr 2000 nominiert wurde, um bei den Paralympics in Sydney die Musik für die Eröffnungszeremonie mit zu komponieren“, erzählt er. Er hatte bereits feste Vorstellungen davon, was er alles in den 3:50 Minuten, die ihm zur Verfügung standen, musikalisch verwirklichen wollte, träumte von einem Milliardenpublikum, das seine Musik auf der ganzen Welt hören würde – doch das Schicksal wollte es anders.
„Ein Motorradunfall machte alles zunichte. Ein Autofahrer hatte mich nicht gesehen und mit 100 Sachen umgefahren“, sagt er. Ein Jahr im Rollstuhl folgte, ein weiteres Jahr an Krücken, ein drittes Jahr in der Reha. An Musik machen sei nicht zu denken gewesen. „Ich habe damals drei komplette Jahre verloren“, erzählt er.
Von dem Unfall hat er sich inzwischen erholt, und die Begeisterung für die Musik ist geblieben. Seine 16. Musik-CD kommt in Kürze in den Handel, in Asien und Amerika laufe das Geschäft gut, sagt er. In Deutschland ist er noch recht unbekannt, doch seine Musik ist über den Hamburger Roba-Musikverlag auch hierzulande erhältlich.
Und was macht Weltmusiker Andy Holm das Jahr über? „Ich habe ständig Live-Konzerte, mache Musik für Filme und toure immer wieder durch Asien“, sagt er. Zwischen Singapur und Australien ist er regelmäßig unterwegs, dazu kommen Fernsehauftritte. 2012 nahm er aus Spaß und aus Promotionzwecken an der Show „Australia’s got Talent“ teil – nicht ohne Erfolg. Die Jury konnte er mit seiner Show positiv überraschen.
Die Frage nach Heimweh stellt sich für Holm nicht mehr. „Australien ist meine Heimat, ganz und gar“, sagt er. Aber Uetersen und Hamburg habe er immer noch gerne, auch wegen Mutter und Bruder, die dort leben. Gibt es nichts, was er vermisst? „Doch, da gibt es genau drei Dinge. Einmal die musikalische Vielfalt Europas.“ In Australien sei die Musik sehr amerikanisiert. Blues, Rock und Folk. „Das andere, was ich sehr vermisse ist Schwarzwälder Kirschtorte, die gibt es bei uns nicht. Und dann vermisse ich auch den original Hamburger geräucherten Aal“, sagt er mit großen Augen. Also doch ein wenig Heimatliebe – und die geht durch den Magen.