Die Wedeler Anlage macht hörbare Probleme. Die Anwohner berichten von einem sirrenden Ton, der ihnen seit zwei Jahren schlaflose Nächte bereitet. Messungen bestätigen jetzt das Problem.
Wedel. Das alte Wedeler Steinkohlekraftwerk bringt Anwohner zunehmend um ihren Schlaf. Das liegt nicht nur daran, dass viele die Sorge um die Zukunft der Anlage an der Elbe und der damit verbundene Plan eines neuen Gaskraftwerks vor ihrer Tür schlaflose Nächte bereitet. Das aus den 60er-Jahren stammende Kraftwerk macht auch hörbare Probleme. Es pfeift, sirrt, brummt und rumpelt. Zumindest berichteten das zahlreiche Anwohner dem Abendblatt. Aber auch die zuständige schleswig-holsteinische Aufsichtsbehörde räumt nach langem Ringen mit den Betroffenen in einem Schreiben ein, dass nachts die zulässigen Richtwerte überschritten werden.
Laut dem Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) hätten Messungen im Februar ergeben, dass der Grenzwert von 40 Dezibel nachts um mehrere Dezibel überschritten wurde. Am Hellgrund, Höhe Nummer 123, waren es bis zu sieben Dezibel. Das Erstaunliche: Vattenfall hat laut LLUR bereits vor den Messungen versucht, den Lärm in den Griff zu bekommen. Es wurden Schalldämpfer eingebaut, Öffnungen verschlossen, schallisolierende Türen ins Transformatorgebäude eingebaut sowie die Drahtglasfassade an zwei Feldern rechts und links neben dem Maschinentransformator 1 durch Kalksandsteinwände ersetzt. Alles scheinbar ohne Erfolg. Die Messergebnisse seien nicht erfreulich, heißt es in einem Schreiben der Behörde an lärmgeplagte Betroffene. Man suche in Zusammenarbeit mit Vattenfall als Betreiber des Kraftwerks nach Lösungen, deren „Umsetzung allerdings einige Wochen und Monate in Anspruch nehmen“.
Wochen, womöglich Monate warten bis sich etwas ändert? Den Anwohnern geht es viel zu langsam voran. Immerhin beschweren sie sich seit 2012 über die plötzlich aufgetauchte Geräuschkulisse des alten Kraftwerks. Besonders nervt sie ein sirrender Brummton, der sogar bis weit ins angrenzende Hamburg-Rissen hinein zu hören ist. So auch im Schlafzimmer von Jürgen Hübner. „Bei Westwind bekommt Rissen-Süd den Lärm ab“, sagt er. Hübner wohnt 1,5Kilometer entfernt vom Wedeler Kraftwerk. Wenn der Wind schlecht steht, kann er die Fenster nicht aufmachen. Das Problem ist der Ton, der nicht kontinuierlich wäre. Da helfe nur Ohropax. Was Hübner ärgert: „Das Kraftwerk könnte nach dem neuesten Stand der Technik bedeutend leiser betrieben werden. Wird es aber nicht.“
Auch Andrea Sach, die am Tinsdaler Heideweg in Rissen lebt, erzählt: „Früher habe ich das Kraftwerk nicht gehört. Vor etwa zwei Jahren bin ich nachts von einem sirrenden Geräusch aufgewacht. Ich dachte, es sei was mit der Heizung.“ Sandra Mohr wünschte, es wäre nur die Heizung. Sie wohnt sehr viel näher am Kraftwerk. Ihr Haus steht am besagten Hellgrund. Die Straße grenzt direkt ans Kraftwerksgelände. „Das Geräusch geht durch und durch. Es verursacht einen furchtbaren Druck auf den Ohren.“ Nachts, wenn sie deshalb nicht schlafen kann, schreibt sie Beschwerde-E-Mails ans LLUR.
Rolf Schmersahl vermutet, dass der Ton, der sogar seine Fensterscheiben zum Vibrieren bringt, von einem Maschinenmotor stammt. Er wohnt seit 1971 in Wedel. Noch nie wäre das Kraftwerk so laut gewesen wie heute. Schmersahl ist ein wenig Schuld daran. Denn der Anwohner gehört zum harten Kern der Bürgerinitiative „Stopp! Kein Megakraftwerk Wedel“ und ist mit seinem Widerstand mit dafür verantwortlich, dass der Bau des neuen wohl auch leiseren Kraftwerks auf Eis liegt. Das lässt Schmersahl nicht gelten: „Würde es gebaut, hätten wir viel mehr Lärm. Dann käme zu den Geräuschen des alten Kraftwerks der Baulärm für die daneben geplante neue Anlage hinzu.“
Pfeift das alte Kraftwerk aus dem letzten Loch? Vattenfall-Sprecherin Sandra Kühberger beruhigt. Das Problem sei bekannt und werde behoben. „Vattenfall hat zwei unabhängige Gutachter beauftragt, die Schallemissionen des Heizkraftwerks Wedel messtechnisch zu erfassen und zu analysieren.“ Was das Geräusch verursacht, erklärt sie nicht, auch nicht ob es eine Alterserscheinung ist. Klar ist, dass die Gutachter zehn Schallschutzmaßnahmen zur Reduzierung des Lärms vorgeschlagen haben. Alle sollen nach Abstimmung mit dem LLUR auch umgesetzt werden. Warum es so lange dauert? Laut Kühberger müsse erst die technische Machbarkeit geprüft werden. Zudem braucht es für die Dämmung der unter Denkmalschutz stehenden Maschinenhalle eine Genehmigung von der Denkmalschutzbehörde in Elmshorn. Liegt die vor, soll es losgehen.
Rainer Willer will nicht länger warten. Ihm reicht es. Der Wedeler versucht seit 2012 bei Vattenfall oder der Aufsichtsbehörde Gehör zu finden. „Man fühlt sich in keiner Weise ernst genommen“, sagt er. „Das Maß ist voll.“ Er hat sich einen Anwalt genommen, fordert unter anderem Akteneinsicht in die Lärmgutachten. „Wenn bis zum 25. April wieder nichts passiert, dann reiche ich eine Untätigkeitsklage gegen die Aufsichtsbehörde ein“, kündigt der Wedeler an. Untätigkeit? Das weist Martin Schmidt, LLUR-Sprecher, zurück: „Wir prüfen, noch im April eine nachträgliche Anordnung zu erlassen.“ Das würde Vattenfall zum Handeln zwingen.