Chinesin Yanran besucht die Sprachklasse der Grundschule Mühlenberg in Quickborn und lernt dort spielerisch Deutsch. Keine Selbstverständlichkeit, denn das Mädchen erlitt einen neurologischen Schaden.
Quickborn. Zielsicher greift Yanran zu den Memory-Karten. Haus passt zu Maus, Hand zu Wand, Hund zu Mund. Es geht um Wörter, die sich reimen. Bis vor sieben Monaten sprach die jetzt sieben Jahre alte Chinesin noch kein Wort Deutsch. Jetzt kann sie die fremde Sprache nicht nur sprechen und verstehen, sie ist auch in der Lage zu rechnen, zu schreiben und wohl auch bald zu lesen.
Yanran ist eine von sieben Schülern, die zurzeit in der Klasse Deutsch-als-Zweitsprache (DaZ) in der Grundschule Mühlenberg für den Raum Quickborn unterrichtet werden. Fünf solcher DaZ-Zentren gibt es im Kreis Pinneberg. Yanrans derzeitige Klassenkameraden kommen aus Serbien, Paraguay, Syrien, Iran und Russland und sind sechs bis zehn Jahre alt. „Sie haben 20 Stunden Unterricht pro Woche, davon acht Stunden Deutsch“, sagt Schulleiterin Uta Schmidt-Lewerkühne.
Die Fortschritte, die die Kinder in der für sie fremden Sprache machen, seien enorm, sagt Schmidt-Lewerkühne. Den meisten Migrantenkindern reiche ein halbes Jahr dieses intensiven Deutschlernens, um den Kenntnisstand erreichen, der sie dazu befähigt, in ihren Heimatorten Borstel-Hohenraden, Hasloh, Bönningstedt oder Tangstedt weiter zur Grundschule gehen zu können. Manche brauchen auch ein Jahr dafür.
Die DaZ-Lehrer wenden dabei allerlei Lernhilfen an. So wird der Grundsprachschatz immer an die Tafel geschrieben. Jedes Substantiv wird stets mit dem dazugehörigen Artikel genannt, dem wiederum eine Farbe zugeordnet ist: „der“ ist blau, „die“ ist rot und „das“ ist grün. Bestimmte Sätze werden ständig wiederholt, damit die Kinder sie sich besser einprägen. Das Singen von Liedern hilft bei der Aussprache und dem Verstehen. Die Fluktuation in den DaZ-Klassen ist groß. „Das ist ein munteres Kommen und Gehen hier“, sagt Schmidt-Lewerkühne.
Bei der kleinen Chinesin Yanran kam erschwerend hinzu, dass sie durch eine unbehandelte Gelbsucht kurz nach der Geburt einen neurologischen Schaden erlitten hat, der sie in ihrer Bewegung, Sprachbildung und beim Lernen behindert. Es machen sich Gleichgewichtsstörungen und Muskelverkrampfungen bemerkbar.
„In China hätten alle Schulen das Mädchen wegen dieser Behinderung abgelehnt“, sagt Schmidt-Lewerkühne. „Dort ist man noch nicht soweit mit der Inklusion wie hier in Schleswig-Holstein, wo rund 70 Prozent der behinderten Kinder gemeinsam mit nichtbehinderten Kindern unterrichtet werden.“ So gelangte das asiatische Mädchen mit seinem Handicap über ihre deutsche Tante nach Quickborn. Ihre Eltern arbeiten jetzt hier und Yanran macht täglich große Fortschritte beim Lernen und in ihrem sozialen Verhalten.
„Sie hat viele neue Freunde gewonnen, die auf sie in den Pausen aufpassen“, erzählt Schmidt-Lewerkühne. Sie beherrscht sogar schon erste umgangssprachliche Redewendungen in der schweren deutschen Sprache wie zum Beispiel die Nachfrage: „Was ist hier los?“ oder den Ausruf: „Au weia“.
Das Amt für soziale Dienste hat der Siebenjährigen zudem eine Schulbegleiterin an die Seite gestellt, die sich zehn Stunden in der Woche um sie kümmert und ihr vor allem beim Umziehen im Sportunterricht behilflich ist. Im Atelier ihres Großonkels Edwin Zaft hat sie zudem kreatives Malen gelernt. Er hat sogar ein kleines Kinderbüchlein daraus gemacht, das „Zu Besuch bei Fräulein Ping Ping“ heißt und von ihren Fantasien mit dem autofahrenden Kartoffelkopf handelt.
Zaft erzählt, anfangs sei seine Großnichte etwas enttäuscht von der Grundschule in Quickborn gewesen. „Papa, die lernen ja gar nicht, die spielen nur“, habe sie zu ihrem Vater verwundert gesagt. Dabei ist es gerade dieses Spielen mit der deutschen Sprache wie beim Reime-Memory, das den Kindern enorm hilft, die fremde Sprache besser zu verstehen.
„Yanran blüht regelrecht auf bei uns“, freut sich Uta Schmidt-Lewerkühne. Inklusion ist für die erfahrene Grundschulleiterin nichts Besonderes. „Das haben wir doch schon immer gemacht“, sagt sie. „Wir haben schon immer Kinder integriert, die Lernschwierigkeiten oder Probleme mit ihrem sozial-emotionalen Verhalten haben.“ Mittlerweile habe sich nur das Anforderungsprofil ein wenig gedreht. „Es geht heute weniger darum, ob Kinder schulfähig sind, sondern ob Schulen kinderfähig sind.“