Die Wedeler Einrichtung nimmt keine Kinder mehr auf, schon 2017 soll Schluss sein. Grund: es gibt zu viele verhaltensauffällige Kinder. Derweil wächst die Zahl an förderbedürftigen Schülern immer weiter.
Wedel. Seit drei Jahren steigen in Wedel und Umgebung die Zahlen von förderbedürftigen und verhaltensauffälligen Kindern. Doch so viele wie diesmal waren es noch nie. Knapp 200 Kinder haben die Grundschulen der Region Kay Jensen jetzt gemeldet. Jensen ist Chef des Wedeler Förderzentrums und Rektor der angegliederten Sonderschule. Zumindest noch. Denn die Tage der Pestalozzi-Schule sind gezählt. Zum ersten Mal nimmt die Wedeler Lehreinrichtung keine neuen Kinder mit Förderbedarf mehr auf. Das liegt nicht nur an der vom Land geforderten Inklusion von Menschen mit Behinderung in Regelschulen, sondern auch an der rasant gestiegenen Zahl von allgemein förderbedürftigen Kindern in der Region.
Eine Förderschule schließen, um mehr Kinder zu fördern? Klingt skurril, hängt aber tatsächlich unmittelbar zusammen. Denn die Zahl der zugewiesenen Förderstunden richtet sich nicht nach dem direktem Bedarf. Jede Region bekommt nach einem Schlüssel eine Anzahl von Stunden und somit Lehrern zugeteilt – gleich wie viele Kinder in diesem Jahrgang einen wirklichen Förderbedarf haben. Die Stunden werden dann auf die jeweiligen Einrichtungen verteilt. Sprich: Aus diesem Kontingent werden die Arbeit an den Regelschulen unterstützt und die Stunden für die alten Sonderschulen geschöpft. Durch die gestiegene Zahl an förderbedürftigen Kindern bleiben zu wenig Stunden, um davon eine Sonderschule aufrechtzuerhalten. Es ist das Ende für die durch das neue Schulgesetz bereits angezählte Schulform in Wedel.
Denn an Nachfrage mangelte es der Lehreinrichtung nicht. „Wir haben ein ganz erfolgreiches Modell. Im Unterschied zu anderen Sonderschulen im Land stiegen unsere Zahlen“, berichtet Jensen. Das hänge mit der guten Ausstattung durch den Schulträger, mit der außergewöhnlichen Vernetzung innerhalb der Wedeler Bildungslandschaft aber auch mit dem Ruf zusammen, den die Pestalozzi-Schule bei Eltern genieße. 48 Schüler werden derzeit in der Einrichtung am Autal unterrichtet. Zudem sind die Pädagogen des Wedeler Förderzentrums für 107 an Regelschulen integrierte Kinder verantwortlich. Als Jensen vor 13 Jahren den Job übernahm, wurden 43 Kinder in der Pestalozzi-Schule unterrichtet und weitere 60 Schüler betreut. In letzteren waren auch die Präventionsfälle enthalten. Sprich die Zahl, die in Wedel diesmal die 200er-Marke fast erreicht hat.
Doch nicht nur in Wedel wächst die Zahl an verhaltensauffälligen und förderbedürftigen Grundschülern. „Wir beobachten seit Jahren, dass die Zahl an Kindern steigt, die sich aufgrund von psychischen und sozialen Verhaltensstörungen nur schwer in den Unterricht eingliedern lassen“, sagt Dirk Janssen, Schulrat des Kreises Pinneberg. Umso wichtiger sei es, möglichst viele Ressourcen zu nutzen, um Kitas und Schulen bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Auseinanderbrechende Familienstrukturen, alleinerziehende Elternteile, der wachsende Medienkonsum, durch den Beruf sehr angespannte Väter und Mütter: Erklärungsversuche gebe es viele und oft kämen wohl auch mehrere Dinge zusammen, so Janssen. „Wir erleben derzeit einen gesellschaftlichen Umbruch, unter dem unsere Kinder leiden“, so der Schulrat. Warum aber gerade in Wedel die Zahl so auffällig hoch ist in diesem Jahr, dafür hat er keine Erklärung parat.
Auch der Fachmann vor Ort weiß keinen Rat. „Das scheint ein spezifisches Wedel-Problem zu sein. Wir haben sehr viele Kinder mit Förderbedarf und wissen einfach nicht warum. Es funktioniert wohl etwas gesamtgesellschaftlich nicht mehr“, so Jensen. Besorgt registriert er, dass Grundschulen auf dem Dorf erstmals verhaltensauffällige Kinder melden. Für Jensen ist klar, dass auf die betroffenen Schulen eine schwere Aufgabe zukommt. Bei einer Kooperationsrunde der Schulleiter am 8. April wird es darum gehen, wie man dem Problem gemeinsam am besten begegnen kann.
Doch nicht nur das gilt es zu lösen. Für August 2017 ist das Ende der Wedeler Sonderschule geplant. „Ich liebe das Schulleben. Das werde ich vermissen und dem trauere ich auch nach. Unsere Aufgabe muss es jetzt aber sein, dieses Förderzentrum mit neuem Leben zu füllen“, sagt Jensen. Für einen Schultrakt ist ihm das bereits gelungen. In Kooperation mit dem Kreis wird hier neben Uetersen, Pinneberg und Elmshorn die vierte Schultrainingsstation etabliert. Vom kommenden Schuljahr an werden bis zu zwölf Kinder aus Wedel und Umgebung hier zeitweise unterrichtet, die wegen massiver Probleme nicht mehr beschulbar sind.
Diese Idee würde Jensen gern ausbauen. Wenn es nach ihm geht, soll seine Einrichtung in Zukunft förderbedürftige Schüler zeitweise aufnehmen, um sie dann wieder zu integrieren. Es wäre eine Art kurze Auszeit für den jeweiligen Schüler von seiner Schule.