Am Sonntag können 26.935 Wedeler über einen Bebauungsplan zum Kraftwerk abstimmen, obwohl dieses vielleicht gar nicht mehr gebaut wird. Initiatoren raten, einen ungültigen Stimmzettel abzugeben.
Wedel. Der erste Bürgerentscheid Wedels am Sonntag, 16. März, war dem NDR-Satiremagazin „Extra 3“ einen Beitrag wert – in der Kategorie Realer Irrsinn. Schließlich sollen 26.935 Wedeler über das Für und Wider eines Bebauungsplans für ein Kraftwerk abstimmen, das möglicherweise sowieso nie gebaut wird. Und selbst die Initiatoren des Urnengangs sind alles andere als glücklich: „Der Bürgerentscheid wird gegen unseren Willen durchgeführt“, sagt Kerstin Lueckow.
Sie empfiehlt den Wedelern, zur Wahl zu gehen, aber weder mit Ja noch mit Nein zu stimmen: „Streichen Sie beides durch. Auf diese Weise wird die Stimme ungültig, aber trotzdem gezählt.“ Wer mag, könne eine kurze Protestnotiz auf den Zettel schreiben.
Auf diese Weise wollen die Initiatoren ein Zeichen setzen. Dafür, dass Bürgerentscheide als Zeichen direkter Demokratie wichtig sind und von der Bevölkerung gewollt werden. Und auch dafür, dass das Anfang 2013 neu gefasste Gesetz für mehr Bürgerbeteiligung in Schleswig-Holstein nachbesserungsbedürftig ist. „Der Zeitpunkt dieses Bürgerentscheids ist völliger Quatsch“, sagt Lueckow. Zur Sache selbst stehe sie ohne Wenn und Aber. Nur nicht jetzt.
Als die Initiatoren Mitte 2013 für den Bürgerentscheid zu trommeln begannen, gehörten die Energienetze Vattenfall, das den Neubau eines Gaskraftwerkes in Wedel vorantrieb. Dafür wurde auch der neue Bebauungsplan 87 aufgestellt, gegen den sich der Bürgerentscheid richtet. Die Kritik: Er umfasst nur einen Randbereich, auf dem das Kraftwerk gar nicht entstehen soll. Dadurch würde den Bürgern verwehrt, Einsprüche gegen die Bauhöhen des Kraftwerks und möglichen Lärm zu erheben – so die Vorwürfe der Initiatoren.
Sie wollen einen B-Plan für das komplette Kraftwerksgelände. Folgerichtig lautet die Frage des Entscheids: „Sind Sie dafür, dass die Stadt Wedel ein Bebauungsplanverfahren für das gesamte Kraftwerksgelände Vattenfall durchführt?“ Es geht also nicht um ein Ja oder Nein zum Kraftwerksbau, sondern um einen B-Plan für das Gesamtgelände oder nur für den Randbereich.
Nach dem Hamburger Volksentscheid, bei dem ein Rückkauf der Netze durch die Stadt beschlossen wurde, schlossen Stadt und Vattenfall Mitte Januar 2014 Verträge zur möglichen Übernahme der Strom- und Fernwärmenetzes, die beinhalten, dass Alternativen zum geplanten GuD-Kraftwerk (Gas und Dampf) in Wedel geprüft werden. Eine Entscheidung über das Projekt, das im Herbst 2013 genehmigt wurde, wird nun erst bis 2015 erwartet.
„Das alles konnten wir zum Zeitpunkt, als wir die Unterschriften gesammelt haben, nicht wissen“, so Lueckow. Die Möglichkeit, einen Bürgerentscheid abzusagen oder ihn vorerst auszusetzen und zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen, habe der Gesetzgeber in Schleswig-Holstein nicht vorgesehen. Lueckow: „In anderen Bundesländern geht das, nur hier nicht. Das gehört geändert.“ Sie hat bereits die Möglichkeit einer Briefwahl genutzt – und ihre Stimme ungültig gemacht.
Bis Freitagnachmittag gingen 1023 Briefwahlstimmen bei der Stadt ein. Gar nicht abstimmen wird CDU-Fraktionschef Michael Kissig. „Das ist eine Farce.“ Kissig verweist darauf, dass sich der Rat der Stadt klar gegen ein B-Planverfahren für das gesamte Kraftwerksgelände ausgesprochen hat. Die Fraktion Die Linke hat indes die Wedeler aufgefordert, mit Ja zu stimmen. „Bei einer Ablehnung des Entscheids kann der Kraftwerksbetreiber ab 2015 seine Ziele ohne weitere Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger durchsetzen“, heißt es in einer Mitteilung. Auch die Grünen fordern die Bürger auf, zur Wahl zu gehen, geben jedoch keine Empfehlung.
Sein Stimmrecht wahrnehmen wird Bürgermeister Niels Schmidt. „Es ist gut, dass die Bürger ihre Meinung sagen können, das haben alle zu akzeptieren.“ Über den 32.000 Euro teuren Bürgerentscheid, den kaum noch jemand will, will Schmidt im nachhinein nochmals mit dem Innenministerium reden. Der Entscheid ist nur gültig, wenn ein Quorum von 14 Prozent erfüllt wird. Es müssen mindestens 3771 Wahlberechtigte mit Ja oder Nein stimmen.