Die Parteien brauchen dringend Mitglieder. Aber viele Bürger wenden sich von der Parteiarbeit ab. Überalterung in Parteien und Räten der Kommunen ist die Folge. Ein politischer Zustandsbericht.
Pinneberg. Parteienschelte ist in. Mitmachen hingegen nicht. Wer in die Räte der Kommunen blickt, sieht dort viele Senioren als gewählte Volksvertreter. Den Parteien gelingt es kaum, für frischen Wind in den eigenen Reihen zu sorgen. Überalterung ist der Normalfall. Doch wenn sich die Gesellschaft zunehmend von den Parteien abwendet, ist die parlamentarische Demokratie in Gefahr. Zeit, nach den Gründen für den Parteien-Frust zu suchen.
„Wir wollen im Hamburger Abendblatt Menschen animieren, sich wieder mehr in Parteien zu engagieren und damit den einzigen Weg ständiger Mitbestimmung zu gehen, den das Grundgesetz vorsieht“, sagte Chefredakteur Lars Haider beim Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts. „Partei ergreifen“ nennt sich die Initiative des Abendblatts, die sich dem Thema im ganzen Jahr 2014 widmen wird.
Zu Beginn unserer Analyse der Parteienlandschaft im Kreis Pinneberg stehen die nackten Zahlen: Wir haben die im Kreistag vertretenen Parteien zu Mitgliederbewegungen und Altersstruktur befragt. Am Montag lesen Sie, warum Parteimitglieder sich gegen den Trend in einer Partei engagieren. Und natürlich hoffen wir ab sofort auf eine breite Diskussion mit den Lesern in unserem Blatt: Melden Sie sich zu Wort, sagen Sie uns ihre Meinung zu den Parteien, schreiben Sie per E-Mail an pinneberg@abendblatt.de
Die Parteien in Zahlen
Die CDU zählt zurzeit 1922 Mitglieder, vor fünf Jahren waren es noch 2186. Obwohl der Kreisverband geschrumpft ist, ist der Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Ole Schröder optimistisch. „Wir haben eine sehr positive Mitgliederentwicklung, insbesondere bei der Jungen Union und der Senioren Union.“ Letztere ist mit 454 Mitgliedern die größte Vereinigung der Kreis-CDU. „Und die Junge Union ist mit 368 Mitgliedern die mitgliederstärkste politische Jugendorganisation im gesamten Land“, sagt Schröder. Ebenso sei die Mittelstandsvereinigung mit zurzeit 138 Mitgliedern landesweit Spitze. Der Grund für den Rückgang der Mitgliederzahlen sei die demografische Entwicklung. Sie wirke sich inzwischen auch auf das Durchschnittsalter in der Partei aus. Es beträgt 59 Jahre.
Die SPD hat zurzeit 1739 Mitglieder, 98 weniger als vor fünf Jahren, so der Kreisvorsitzende Thomas Hölck. Mit dieser Entwicklung sei er zufrieden angesichts des demografischen Faktors. „Ich würde mir natürlich fünf Prozent mehr Mitglieder wünschen. Daran arbeiten wir, indem wir versuchen, eine moderne Politik zu machen, die die Menschen anspricht.“ Die Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag habe der SPD einen Schub an neuen Mitgliedern beschert. „Da haben viele die Chance gesehen, etwas zu bewegen.“
Einen Zuwachs haben die Grünen verzeichnet, und das auf vergleichsweise hohem Niveau. Sie haben momentan 286 Mitglieder, vor fünf Jahren waren es 182. Seitdem stieg die Zahl jedes Jahr um etwa 20. Natürlich habe sich die Katastrophe in Fukushima ausgewirkt, ebenso bringe der wachsende Widerstand gegen die Agrarindustrie den Grünen Zulauf, sagt die Vorsitzende Resy de Ruijsscher. Das Engagement könne jedoch noch viel stärker sein, meint sie. „Noch sind es hauptsächlich ältere Leute, die sich aktiv engagieren. Das ist wahnsinnig schade.“ Dies ist aus ihrer Sicht jedoch keine Zeitfrage, vielmehr setzten junge Menschen andere Prioritäten. Grund sei auch der wachsende Leistungsdruck, meint de Ruijsscher.
Die FDP hält die Zahl ihrer Mitglieder konstant – trotz der Wahlschlappe im September. „Man hätte ja damit rechnen können, dass die Mitglieder die Partei nach der verlorenen Bundestagswahl fluchtartig verlassen“, sagt Kreisgeschäftsführerin Sabine Werner. „Aber das ist nicht der Fall.“ 278 Mitglieder zählte der FDP-Kreisverband vor einem Jahr, 280 sind es jetzt. Zwischen 278 und 281 Mitglieder waren es das ganze Jahr hindurch, sagt Werner. „Die Mitgliederbewegung läuft oft gegen den Trend. Wir können uns nicht beklagen.“ Das sei bei den Wahlen anders. „Da werden wir oft im Kreis in Sippenhaft genommen, wenn es im Bund nicht klappt. Das ist frustrierend“, sagt Kreis-chef Günther Hildebrand. Bei den vielen Fehlern, die die FDP zu Beginn der letzten Wahlperiode 2009 machte, sei ihm vor Wut „manchmal die geballte Faust in der Tasche aufgegangen.“
Die Piraten sind noch relativ neu auf der politischen Bühne. Dennoch zähle die Partei im Kreis bereits 94 Mitglieder, so der Kreistagsabgeordnete Sven Lange. Das ist nach Kiel der zweithöchste Wert im Land für die Partei. Auffällig ist die Altersstruktur in der Partei. Unter 30 Jahre alt sind derzeit 20,1 Prozent der Mitglieder, 71,3 Prozent sind 30 bis 60 Jahre alt, und lediglich 8,6 Prozent sind älter als 60 Jahre.
Die Linke hat zurzeit 70 Mitglieder im Kreis Pinneberg. Nach anfänglichen starken Schwankungen habe sich die Mitgliederzahl der Partei insbesondere in den vergangenen zwei Jahren konsolidiert und stetig zugenommen, erklärt Linken-Kreissprecher Klaus-Dieter Brügmann. Im Jahr 2013, dem Jahr der Kommunal- und der Bundestagswahl, habe die Linke zehn neue Mitglieder gewonnen. Vor fünf Jahren hatte sich die Partei gerade erst konstituiert, viele seien aus Neugierde zunächst ein- und wenig später wieder ausgetreten. Verlässliche Zahlen für diese Zeit gebe es somit nicht. Das jüngste Parteimitglied ist derzeit 16, das älteste 75 Jahre alt. Das Durchschnittsalter beträgt 37 Jahre.
Die Kreiswählergemeinschaft KWGP stagniere bei 50 Mitgliedern, sagt Vorsitzender Burghard Schalhorn, der die KWGP 2008 gegründet hat. „Von den etablierten Parteien sind sie oft enttäuscht“, sagt Schalhorn über die Motivation der Neueintretenden. Die Bürger sähen, dass die Partei den Finger in die Wunde lege, ohne Rechenschaft in Kiel oder Berlin ablegen zu müssen.