Silvia Schulz aus Elmshorn verliert nach dem Job nun womöglich auch ihre Wohnung, weil sie drei Monate nicht ihre Miete zahlen konnte. Im Januar wird die Räumungsklage vor dem Amtsgericht Elmshorn verhandelt
Elmshorn. Silvia Schulz sitzt vor einem Wust aus Papier, Schreiben von Jobcenter, Anwälten, Vermieter, Amtsgericht. Der Stapel Post hat sich seit dem 25. Juni aufgetürmt. An dem Tag hatte sie beim Jobcenter in Elmshorn erstmals Leistungen beantragt. Ein halbes Jahr später steht die 47-Jährige kurz vor der Obdachlosigkeit. „Ich bin am Ende meine Kräfte“, sagt Schulz und kämpft mit den Tränen.
Nach der Scheidung von ihrem gewalttätigen Mann, zog die alleinerziehende Mutter im Juni 2012 mit ihrer mittlerweile 18-jährigen Tochter aus dem Kreis Segeberg in eine Zwei-Zimmer-Wohnung nach Elmshorn. Sie arbeitete bei einem Hotelservice in Hamburg. Als Teamleiterin war sie verantwortlich für 47 Angestellte.
„Die erste Zeit bin ich zwischen Seedorf und Hamburg gependelt, war von fünf bis 23 Uhr aus dem Haus“, sagt Schulz. Als die Firma ihren Standort in Hamburg aufgibt und nach Paderborn geht, wird sie arbeitslos. Nachdem das Amt für Arbeit das Arbeitslosengeld zunächst zu wenig bemessen hatte, wurden Schulz nach einer Neuberechnung 438,50 Euro im Monat zugestanden. Zu wenig, um die Miete in Höhe von 510 Euro warm zu bestreiten. „Ich beantragte beim Jobcenter Elmshorn zusätzliche finanzielle Hilfe“, sagt Schulz.
Die Mühlen der Behörde mahlen langsam. „Ich wurde mehrfach aufgefordert, Unterlagen nachzureichen, die ich längst abgegeben hatte.“ Auch anderen Arbeitslosen erginge es so, erzählt Schulz. Als sie das mitbekommt, lässt sie sich den Erhalt jedes eingereichten Dokuments schriftlich bestätigen. Erst am 14. August, fast zwei Monate nach Antragstellung, bewilligt das Jobcenter erstmals eine Aufstockung in Höhe von 47,40 Euro. Da ist Schulz bereits mit zwei Monatsmieten im Rückstand.
Als der Mietrückstand sich auf rund 1500 Euro beläuft, schickt der Vermieter, ein großes Wohnungsunternehmen, die fristlose Kündigung. Ein Mietschuldendarlehen, das Schulz im Juli beantragt hatte, war vom Jobcenter mit der Begründung abgelehnt worden, die Wohnung wäre laut Sozialgesetzbuch nicht erhaltenswert. Laut Mietobergrenze waren die zwei Zimmer für sie und ihre Tochter 26 Euro zu teuer.
Ihre Tochter zieht am 24. August aus der gemeinsamen Wohnung aus und fiel so aus der Bedarfsgemeinschaft raus. Sie macht ihre Ausbildung in Bad Segeberg und nimmt sich dort ein Zimmer, um nicht jeden Tag pendeln zu müssen. Für Schulz allein ist die Mietobergrenze 343 Euro plus 90 Euro Nebenkosten. Sie lebt nicht im Luxus. Zwei Türen fehlen. Der Vormieter hatte sie im Keller abgestellt, wo sie nach einem Wasserschaden vor sich hin gammeln. Die Tapete fehlt an den Stellen, wo neue Fenster eingesetzt wurden. Der Vermieter hat die Mängel bisher nicht beseitigt. Doch Schulz kann in ihrer Situation wohl kaum Forderungen stellen. Vom Jobcenter wird sie aufgefordert, sich eine günstigere Wohnung zu suchen. Das versucht Schulz, kann aber nichts finden, denn es gibt kaum noch bezahlbaren Wohnraum im Kreis. Der Schufa-Eintrag durch die Mietrückstände erschwert die Suche.
Schulz weiß nicht mehr weiter, sucht Hilfe bei sozialen Einrichtungen. Dort rät man ihr, nach Glückstadt zu ziehen. Seit dem Wegzug der Bundeswehr stehen dort Wohnungen leer. Arbeit gibt es in Glückstadt dagegen nicht. „Ich habe immer gearbeitet und nebenbei ein Kind großgezogen“, sagt Schulz. „Ich kann doch nicht in Glückstadt sitzen und mein Leben mit Hartz IV fristen.“ Ihr Mann zahlt keinen Unterhalt. Schulz hat auch keine Familie oder Freunde, die ihr finanziell aushelfen könnten. Sie wendet sich in ihrer Verzweiflung an eine Anwältin, die sie aus dem Behördendeutsch-Labyrinth führen und ihr Recht durchsetzen soll. Obwohl ihre Nerven blank liegen, bewirbt sie sich weiter und hat auch Vorstellungsgespräche. Sie möchte so schnell wie möglich wieder Vollzeit arbeiten.
In den Maßnahmen, die das Jobcenter ihr vermitteln, lernt sie, wie Lkw-Fahrer ihre Ruhezeiten einzuhalten haben und sie muss den Gabelstaplerführerschein machen. Manchmal beschäftigt der Dozent die Klasse mit Rätseln, erzählt sie. Mit ihrem Beruf als Hausdame hat das wenig zu tun. Bei Terminen im Jobcenter sitzt sie nach eigenen Angaben mit Fremden in einem Raum und muss der Arbeitsvermittlerin immer wieder alle Daten offenlegen, weil sie nie zum selben kommt. Privatsphäre gibt es demnach nicht. Schulz fühlt sich regelrecht schikaniert. „Meine Tochter musste von ihrem Ausbildungsbetrieb bestätigen lassen, wo deren Sitz ist“, sagt sie. „Dabei lagen Gehaltsabrechnungen, Kopie des Personalausweises und Ausbildungsvertrag vor.“ Die Tochter schämt sich, weil sie im Betrieb nun wissen, dass ihre Mutter arbeitslos ist.
Zwischenzeitlich schafft sie es, einen Job zu finden. „Ich musste trotzdem ständig beim Jobcenter anrücken, weil ich im September angeblich auf einmal zu viel Geld erhalten hatte“, sagt Schulz. „Jetzt bin ich wieder in der Beweispflicht, dass ich das Geld gar nicht bekommen habe.“ Auch der Vermieter sitzt ihr im Nacken. „Aus meinem Nettoeinkommen in Höhe von 1200 Euro konnte ich den Mietrückstand nicht alleine ausgleichen“, sagt Schulz. Ihre Bank gewährte kein Darlehen. Mit all den Problemen, habe sie sich nicht auf die Arbeit konzentrieren können, wird in der Probezeit gekündigt. „Dann war ich wieder Bittsteller beim Jobcenter“, sagt Schulz. Auch Schulz` Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde abgelehnt.
Mittlerweile wurden Handy und Internetzugang gesperrt. Sie hofft, dass der Hotelchef, bei dem sie sich zuletzt vorgestellt hat, anruft und keine Mail schickt. Im Januar wird die Räumungsklage vor dem Amtsgericht Elmshorn verhandelt. Schulz hat sich einen neuen Anwalt gesucht. „Wenn er nicht helfen kann, werde ich obdachlos“, sagt sie. Sie kann nicht verstehen, wie sie so schnell in den Abwärtssog geraten konnte.