Beratungsstelle für Wohnungslose in Pinneberg stößt an ihre Grenzen. Die Notunterkünfte sind voll. Es fehlt bezahlbarer Wohnraum. Immer mehr Menschen stürzen in existenzielle Krisen.
Kreis Pinneberg. Ihr Leben trägt sie in einer Tasche mit sich. Sabine Dohmes-Oehlers hat Zahnbürste, kleine Fläschchen Shampoo und Duschgel, Schlafanzug, Wechselsachen und Papiere immer dabei. Nicht weil sie verreist. Die 55-Jährige hat keine feste Bleibe. Jede Nacht schläft sie woanders, bei Bekannten, Freunden, Familie – und das seit zwei Jahren.
Solange sucht sie schon nach einer Wohnung im Kreis Pinneberg. Doch für die Hartz-IV-Empfängerin sind die Mieten zu hoch. 396 Euro darf die Wohnung kosten. „Ich habe mir bestimmt schon 50 Wohnungen angesehen“, sagt sie. Bei jedem Termin trifft sie auf 20 bis 30 andere Wohnungssuchende. „Mittlerweile kennt man sich schon.“ Der Vermieter hat die Wahl. Jemand mit Schufa-Eintrag fällt durchs Raster. Auch wenn es nur 430 Euro Schulden sind, wie in ihrem Fall. „Da ich keine Postanschrift hatte, habe ich die Mahnungen nicht bekommen“, sagt Dohmes-Oehlers. Die Schulden wuchsen. Sie möchte die Rechnung begleichen, aber ohne Wohnung ist es schwer, Arbeit zu finden.
Dohmes-Oehlers arbeitete als Köchin, zog vier Kinder groß. Dann verliert sie bei einem Arbeitsunfall einen Daumen. Sie wird arbeitslos, bestreitet heute ihr Leben von 382 Euro im Monat. Das ist der Regelsatz Arbeitslosengeld II. Vor zweieinhalb Jahren musste sie aus ihrer Wohnung in Elmshorn ausziehen. Seitdem steht sie auf der Straße.
Im Kreis Pinneberg herrscht Wohnungsnot. Die Zahlen der Menschen in Wohnungsnot, und derer, die von Wohnungsverlust bedroht sind oder in unzureichenden Wohnungen leben, steigen stetig an. Geringverdiener, Menschen mit Migrationshintergrund, Alleinerziehende und Verschuldete finden kaum noch bezahlbare Wohnungen. „Und die Lage verschärft sich von Jahr zu Jahr“, sagt Anne Knappheide. Sie betreut in der Beratungsstelle für Wohnungslose in Pinneberg gemeinsam mit ihrem Kollegen Peter Diekmann kreisweit Menschen in schwierigen Lebenslagen. „Die dramatische Situation auf dem Wohnungsmarkt bringt uns an die Grenzen unserer Arbeit“, sagt sie. Ohne Wohnung zu sein oder das Zuhause zu verlieren, stürzt Menschen in existenzielle Krisen.
Die Angebotsmieten sind in den letzten vier Jahren bundesweit um elf Prozent angestiegen, in Hamburg sogar um 28 Prozent. Die Wohnungsnot in Hamburg schwappt auch auf den Kreis Pinneberg über. „Die Menschen weichen auf angrenzende Städte aus“, sagt Knappheide. Die Soziale Wohnraumhilfe und die Beratungsstelle für Wohnungslose haben aufgrund der dramatischen Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt im Mai 2012 gemeinsam mit anderen Einrichtungen des Kreises ein Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot ins Leben gerufen. Sie fordern ein neues Mietkostengutachten mit realistischen, also höheren Mietobergrenzen, seitens der Jobcenter und Grundsicherungsämter sowie Einzelfallentscheidungen, sozialen Wohnungsbau, Steueranreize für Wohnungsbau und den Zugang zum Wohnungsmarkt für alle Menschen.
Knappheide und die Kollegen der Sozialen Wohnraumhilfe, die sich die Räume in der Bahnhofsstraße teilen, beraten und begleiten Bewohner der städtischen Notunterkünfte, versuchen neu entstehende Wohnungslosigkeit zu verhindern, helfen bei Räumungsklagen. Darüber hinaus beraten sie Menschen, die mit Mietschulden, fristlosen Wohnungskündigungen oder Unterstützungsbedarf auf der Suche nach preiswertem Wohnraum Rat suchen. Hoher Bedarf besteht an Beratungen zu Energieschulden und Problemen mit dem Jobcenter. 748 Menschen suchten 2012 bei ihnen Hilfe. Davon standen 114 vor der fristlosen Kündigung, weil sie zum Beispiel Mietschulden hatten.
Die Mietobergrenzen für sozialhilferechtlich anerkannten Wohnraum im Kreis Pinneberg wurden schon 2011 weitestgehend abgesenkt. Das erschwert die Suche nach bezahlbaren Mieten. Im Jahr 2012 haben Knappheide und ihre Kollegen 77 Räumungsklagen bearbeitet. Zudem sind die Plätze in den Notunterkünften belegt. Im Jahr 2012 mussten 135 Menschen allein aus der Stadt Pinneberg dort untergebracht werden. 2006 waren es noch 66. Das liegt auch daran, dass die Zahl der unterzubringenden Asylbewerber gestiegen ist. Hinzu käme die versteckte Wohnungslosigkeit, also Menschen, die zeitweise bei Freunden oder Bekannten übernachten, wie Dohmes-Oehlers.
Dohmes-Oehlers ist eine stolze Frau. Sie achtet auf ihr Äußeres. Ihr blondes Haar ist gewaschen, der Lippenstift farblich auf ihren Schal abgestimmt, ihre Fingernägel sind sauber. „Man muss mir ja nicht ansehen, dass ich wohnungslos bin“, sagt sie. Das Stück Würde will sie sich bewahren. Früher sei es ihr unangenehm gewesen, darüber zu reden. Mittlerweile wissen Freunde und Familie um ihre Situation. Doch vor ihren Kindern schäme sie sich. „Sonst hat sich die Familie immer bei mir getroffen“, sagt Dohmes-Oehlers. Wo und wie sie Weihnachten in diesem Jahr verbringen wird, darüber mag sie gar nicht nachdenken. „Eine eigene Wohnung wäre das schönste Weihnachtsgeschenk“, sagt die Frau.
Wer eine Wohnung für Sabine Dohmes-Oehlers hat, kann sich bei der Beratungsstelle für Wohnungslose, Bahnhofstraße 12, in Pinneberg oder unter 04101/8528010 melden.