Nach 20 Jahren soll Jochen Valett, 90, sein bereits versteigertes Zuhause in Horst räumen. Das Ultimatum läuft in vier Wochen ab.
Horst/Elmshorn. Zwischen hohen Maisfeldern, einrahmt von Wäldern an einem Feldweg, liegt der Resthof der Valetts. Nein, das stimmt so nicht ganz. Der ehemalige Bauernhof am Rand der Gemeinde Horst war etwa 20 Jahre lang das Zuhause der Künstlerfamilie Valett, bis im November 2011 der Hammer fiel. Die Kredite konnten nicht mehr bedient werden. Zwangsversteigerung. Haus und Land wechselten den Eigentümer.
"Es wurde verschleudert", sagt Jochen Valett. Der 90-Jährige sitzt auf dem Sofa im Wohnzimmer einer Vier-Zimmer-Erdgeschosswohnung. Der alte Mann ist verbittert. Er hat sich eine Wolldecke um die Beine geschlungen. Er friert schnell. Auch im Hochsommer.
+++ Wir sind alle in der Pflicht +++
Aufstehen kann Jochen Valett nicht. Er braucht Hilfe. Seinen Gehwagen hat er in der Diele abgestellt. Dabei darf Jochen Valett gar nicht mehr in diesem Zimmer sitzen.
Die neuen Eigentümer, die Eheleute G. aus Elmshorn, wollen ihr Domizil beziehen. Der Gerichtvollzieher hat dem erblindeten Senioren ein Ultimatum für den Auszug gestellt. In spätestens vier Wochen muss Jochen Valett die Wohnung in seinem ehemaligen Haus, in der er bis heute lebt, verlassen und geräumt haben. Laut Bernhard Henneberg, Sprecher des Landesgerichts in Itzehoe, sind die juristischen Mittel der Familie Valett ausgeschöpft.
Doch Jochen Valett bleibt stur. Er will das Haus, das er seit 20 Jahren bewohnt, nicht verlassen. Er will dort sterben, wo er mit seiner mittlerweile verstorbenen Lebensgefährtin glücklich war. Im Horster Haus sind zahlreiche Kunstwerke aus Holz und Stahl entstanden, die in Museen und Einrichtungen rund um den Globus zu sehen sind. Auch im Kreis Pinneberg sind seine Objekte zu finden. An der Pinneberger Johannes-Brahms-Schule steht das Möbiusband, am Elmshorner Industriemuseum das kinetische Objekt "Bake". All das schuf Valett in seiner Werkstatt, die direkt an die Wohnung in Horst angrenzt. Von der Küche aus gelangte er in seinen Kreativbereich.
Heute ist die Tür verschlossen. Die neuen Eigentümer haben die Geduld mit dem Senioren verloren. Sie bestehen auf ihrem Recht. Das Ehepaar G. will mit einem befreundeten Paar ins Haus mit insgesamt 1000 Quadratmetern Wohnfläche einziehen. "Unsere bisherigen Häuser stehen bereits zum Verkauf", sagt Eigentümer Wolfgang G. auf Abendblatt-Nachfrage.
Vor einer Woche musste Jochen Valett auf Anordnung des Itzehoer Gerichts die Werkstatt räumen. Das hat ihn schwer getroffen.
"Das ist das Schlimmste für mich", sagt Valett und lässt langsam seinen Kopf auf seine Beinesinken. Die Hände legt er auf die Ohren. Freunde und Verwandte haben das Material und seine Objekte in zwei Container gepackt und fortgeschafft.
Die wenigen Kunststücke, die in Horst blieben, stehen eng an eng in Valletts knapp 16 Quadratmeter großem Wohnzimmer. Die beweglichen und verspielten Objekte aus Edelstahl erinnern an Valetts große Künstlerzeiten.
Zwischen alle den Kunstwerken stapeln sich die Schreiben von Anwälten und Gerichten. Es sind Gutachten. Räumungsandrohungen. Widersprüche. Valett kann sie nicht lesen. Das ist vielleicht sein Glück. "Sie werden dringend gebeten, sich unverzüglich um eine neue Unterkunft zu bemühen", heißt es in einem Schreiben des Amtsvorstehers Horst-Herzhorn. "Sollen Sie (....) keinen anderen Wohnraum beziehen können, werden Sie obdachlos. Damit entsteht eine Störung der öffentlichen Sicherheit, für deren Beseitigung ich zuständig bin." Im Klartext: Der Amtsvorsteher kündigt an, Valett in ein freies Zimmer der Obdachlosenkunterkunft einzuweisen zu wollen.
Valett hat zwei Söhne. Beide sind wie der Vater Künstler. Beide leben von sehr begrenztem Einkommen, können dem Vater finanziell nicht helfen. Neffe Wolfgang Ihde aus Bullenkuhlen würde helfen. Versuche des Unternehmers, den Senioren in einer anderen Wohnung unterzubringen, scheiterten an dem unumstößlichen Willen Valetts, an seinem akutellem Wohnort seine letzten Stunden zu verbringen.
Der alte Mann bezieht Blindengeld, Sozialhilfe und Grundversorgung. Er zahlt derzeit eine angeordnete Nutzungsentschädigung. "Ich bin doch schon über 90 Jahre alt, ich habe doch nur noch kurze Zeit zu leben. Können die sich nicht damit begnügen, zu warten, bis ich eines natürlichen Todes sterbe?", fragt Valett.
Wohnungseigentümer Wolfgang G. sieht das anders: "Wenn er dort wohnen möchte, dann muss er etwas dafür tun", sagt er mit Bick auf die Vorgeschichte. Valett hätte es gar nicht erst zur Zwangsversteigerung kommen lassen dürfen. Immerhin ziehe sich die Sache bereits seit 2009 hin.
Vor drei Jahren wurde das Gebäude plus Land erstmals in die Zwangsversteigerung gegeben - mit Mindestangebot. Damals fand sich kein Käufer. Anders als Ende 2011. "Vor dem Kauf wussten wir nicht, dass Herr Valett in dem Objekt wohnt", sagt Wolfgang G.
Jochen Valett sagt: "Die haben sich vor der Versteigerung mit mir unterhalten. Sie haben sich sogar von mir das Haus zeigen lassen. Später sind sie wieder gekommen und sagten, ich muss gehen."
Die Fronten sind verhärtet. "Juristisch betrachtet, sind die neue Eigentümer im Recht", sagt Wolfgang Ihde. Aber die Frage, ob das moralisch korrekt ist, sei berechtigt. Der Neffe fürchtet, dass die Zwangsräumung für seinen Onkel den Tod bedeutet. Er werde es nicht schaffen, seine vertraute Umgebung zu verlassen. "Ihn in einem Heim unterzubringen, wäre sein Tod."
Für den Künstler Jochen Valett wäre es das dritte Mal, dass er sein Zuhause räumen muss. Seine Wohnung ganz in der Nähe des Hamburger Fähranlegers Teufelsbrück musste er verlassen, weil dort dringend Parkraum für eine neue Werft auf der anderen Elbseite geschaffen werden musste. Anfang der 1990er Jahre zog Valett nach Halstenbek-Krupunder. Genau dorthin, wo heute die Autobahnabfahrt verläuft. "Ich bin ein Planungsgeschädigter", sagt Valett. Auf die Frage, ob er wisse, dass er auch hier weg muss, schweigt er. Nach einer langen Pause sagt er nur: "Das kann passieren."
Wolfgang Ihde will nun versuchen, mit Hilfe von Freunden behutsam auf seinen Onkel einzuwirken, die Wohnung zu räumen. Doch die Zeit läuft ihm davon. Wer Rat weiß oder helfen kann, kann Wolfgang Ihde anrufen. Er ist unter der Telefonnummer 04123/55 66 erreichbar.