300 Einsatzkräfte müssen bei einer Übung zum Katastrophenschutz schwierige Aufgaben bewältigen. Schwerverletzte sind zu versorgen.
Kreis Pinneberg/Elmshorn. Wer am lautesten schreit, wird zwangsläufig nicht als erste gerettet. Diese Erfahrung hat Natascha Wojahn am Sonnabend während der großen Katastrophenschutzübung des Kreises Pinneberg machen müssen. Die Stimme der jungen Theaterschauspielerin aus Pinneberg, die eine der mehr als 70 Verletzten mimte, übertönte auf dem Gelände des alten Güterbahnhofs in Elmshorn sogar Martinshörner und ging allen Beobachtern durch Mark und Bein. Als die ersten Retter gegen 10.30 Uhr an der simulierten Unfallstelle eintrafen, lehnte sich Natascha Wojahn, das Gesicht voller Theaterblut, aus dem Zugfenster und schrie aus Leibeskräften. "Hilfe, Hilfe, helft uns. Mein Freund bekommt keine Luft mehr."
+++ Kommentar: Echte Helden müssen üben +++
Den Übungsteilnehmern von Feuerwehr, DRK, THW, Bundespolizei und Rettungsdienst, bot sich unterhalb der Elmshorner Hochbrücke ein Bild des Schreckens. Ein Pkw, so die Übungslage, war unter einen Güterzug geraten und die Insassen eingeklemmt worden. Aus dem Unglückszug traten giftige Dämpfe aus. Durch einen technischen Defekt im Stellwerk wurde eine Regionalbahn aufs falsche Gleis geleitet und fuhr in die Unglücksstelle. Überall auf den Gleisen lagen Verletzte, teils mit kunstvoll geschminkten Horrorverletzungen. Marc Trampe, Sprecher der Kreisverwaltung, sprach von einer komplexen Lage auf engem Raum.
Trotz der dramatische Lage mussten die Einsatzkräfte unter den gestrengen Blicken zahlreicher Beobachter und Bewerter kühlen Kopf bewahren. Gleich zu Beginn fiel eine Notärztin aus. Die Retterin wurde von der Übungsleitung aus dem Spiel genommen und für tot erklärt, weil sie trotz unklarer Lage gleich zu Verletzten geeilt war. Statt dessen galt es für die immer größere Zahl Einsatzkräfte, die zu der Großschadenslage gerufen wurden, zunächst die Situation zu erkunden. Erste wichtige Schritte waren die Abschaltung der Stromleitungen der Bahn und Messungen zur Analyse der giftigen Dämpfe.
Also musste Natascha Wojahn weiter schreien, auch um 11 Uhr. Allerdings weiter vergeblich. "Wer schreit, hat noch genug Luft", so ein Retter lapidar. Zu diesem Zeitpunkt lagen die allermeisten Verletzten noch komplett unversorgt auf den Gleisen und in den Abteilen des Regionalzugs. "Das kann doch nicht sein, dass das so lange dauert", murrten Zuschauer, von denen mehrere Dutzend auf der Brücke Tribünenplätze zum Katastrophe gucken hatten.
Björn Gragetopf vom DRK Hamburg-Altona reckte immer wieder seinen kunstvoll geschminkten Handstumpf in die Höhe. "Ich versuche schon lange, auf mich aufmerksam zu machen", sagte der Verletztendarsteller, der in Wirklichkeit mit seiner Amputationsverletzung kaum solange überlebt hätte. "Es bringt Spaß, und man lernt als Helfer daraus", sagte Gragetopf. Er wurde gegen 11.30 Uhr schließlich von Feuerwehrleuten aus Pinneberg erstversorgt.
+++ 300 Einsatzkräfte üben den Ernstfall am Bahnhof Elmshorn +++
Da hatte Laura Klatt aus Uetersen buchstäblich alles hinter sich. Die angehende Rettungsassistentin zeigte eine schwarze Karte, die sie als Todesopfer auswies. Die Augenzeugin des Bahnunfalls war über einen Zaun geklettert, um zu helfen. Und hatte sich dabei die Schlagader am Stacheldraht aufgerissen. "Man hat mir bei der Behandlung sogar die Klamotten aufgeschnitten", sagte die Mitwirkende zum hohen Realitätsgrad der Übung.
"Es ist gut, dass man sieht, wie lange es dauert, bis die Lage genau erkundet und die Eigensicherheit der Retter gewährleistet ist. Natürlich wollen alle Retter am liebsten sofort ran an die Verletzten", sagte Rolf Ruhnke, Beobachter von der Rettungsdienst Kooperation in Schleswig-Holstein. "Das Zusammenspiel der verschiedenen Einheiten hat gut geklappt", sagte als Fazit Uwe Koltzau, Fachdienstleiter für Sicherheit und Verbraucherschutz beim Kreis.
Und Natascha Wojahn? Die schrie auch um 11.45 Uhr immer noch aus vollem Hals und verdiente sich für ihren Übungspart Bestnoten . . .