Ahrensburg. Neue Infotafeln an der Moorbrücke zeichnen die Geschichte des Naturschutzgebiets von Rentierjägern bis zur Burg Arnesvelde nach.

„Es ist schwer vorstellbar, aber hier, wo wir jetzt gehen, lag eine 300 Meter dicke Eisschicht“, sagt Svenja Furken. Die Umweltpädagogin steht auf der neuen schwimmenden Moorbrücke im Ahrensburger Tunneltal. „Das Gebiet um das heutige Ahrensburg bildete während der letzten Eiszeit die Grenze, bis zu der sich die Gletscher von Skandinavien aus nach Süden ausgebreitet haben.“

Neun Informationstafeln mit Texten, Grafiken und Fotos

Nicht nur deshalb ist das Naturschutzgebiet für Archäologen interessant. Es zählt auch zu den bedeutendsten Fundorten steinzeitlicher Werkzeuge. Ein neuer Lehrpfad schickt Besucher jetzt auf eine Zeitreise durch die Geschichte des Areals von der Eiszeit bis zum Mittelalter.

Auf dem Pfad geben neun Informationstafeln mit Texten, Grafiken und Fotos einen historischen Überblick. Die Zeitreise beginnt am südlichen Ende der neuen schwimmenden Brücke über das Moor nahe dem U-Bahnhof Ahrensburg West am Ende der letzten Weichsel-Eiszeit vor rund 22.000 Jahren, als Nordeuropa von Gletschereis überzogen war.

Begriff Eiszeit bezeichne eine Periode, in der beide Pole vereist sind

„Das Tunneltal ist gewissermaßen der Abfluss des Gletschers gewesen“, sagt Furken. „Bei dem Begriff Eiszeit denken viele an ewiges Eis, dabei gab es auch immer wieder wärmere Perioden, in denen ein Teil der Gletscher abgeschmolzen ist“, sagt die Expertin. „Der Begriff Eiszeit bezeichnet nur eine Periode, in der beide Pole vereist sind, so gesehen leben wir auch derzeit in einer Eiszeit“, sagt Furken. „Auch während Eiszeiten gab es im Sommer mal 20 Grad.“

Das abschmelzende Eis sickerte nach unten und bahnte sich seinen Weg unter dem Eis hindurch. „Die Schmelzwasserströme haben Abflussrinnen in den Untergrund gefressen“, sagt Furken.

Der Forscher Alfred Rust entdeckte die Steinwerkzeuge

Wald und sumpfige Schilfwiesen prägen das 339  Hektar große Naturschutzgebiet Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal im Süden der Schlossstadt.
Wald und sumpfige Schilfwiesen prägen das 339 Hektar große Naturschutzgebiet Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal im Süden der Schlossstadt. © HA

Dieser Prozess erschuf das Ahrensburger Tunneltal und vergleichbare Landschaften in Norddeutschland. Die Dimension der eiszeitlichen Gletscher zeigt eine Abbildung auf der zweiten Tafel. Dort ist ein Gletscher neben dem Hamburger Fernsehturm zu sehen. Der Telemichel mit seinen 72 Metern Höhe wird zu einem Strich neben dem bis zu fünf Kilometer dicken Eiskoloss. Dennoch war Norddeutschland während der letzten Eiszeit keine leblose Eiswüste. Eine Karte zeigt, welche Tiere das Gebiet damals besiedelten. „Mammuts, Wollnashörner, Rentiere und andere an die Kälte angepasste Tiere lebten in der Tundra“, sagt Svenja Furken. Vor allem die Rentiere machten es möglich, dass auch Menschen das Gebiet des heutigen Tunneltals besiedelten. Und die Relikte der Menschen aus dieser Zeit, die im Tunneltal gefunden wurden, haben Ahrensburg unter Archäologen weltbekannt gemacht.

Entdeckt wurden die Steinwerkzeuge und Waffenreste von dem Ahrensburger Forscher Alfred Rust (1900– 1983) in den 1930er- und 1940er-Jahren. Furken: „Es war der erste Nachweis, dass schon vor mehr als 14.000 Jahren und trotz der Kälte moderne Menschen so weit im Norden gelebt haben.“ Sie zeigt auf eine Tafel mit den Abbildungen der Fundstücke, die heute im Archäologischen Museum Schloss Gottorf lagern.

Der Lehrpfad beleuchtet auch Unterschiede

Die Vielfalt ist beeindruckend: Neben einer Projektilspitze für Jagdwaffen gibt es auch Werkzeuge zur Bearbeitung von Leder, Geweihen und Knochen zu sehen. Der morastige Untergrund, der sich auch von der Schwimmbrücke erblicken lässt, hat organische Materialien hervorragend konserviert. Rätsel gibt Archäologen der ebenfalls im Tunneltal ausgegrabene „Stab von Poggenwisch“ auf. Der Stab aus Rentiergeweih ist reichhaltig mit Schnitzereien verziert, er ist auch auf einer der Infotafeln zu sehen. Furken: „Wir gehen davon aus, dass er eine schamanische Funktion hatte. Es handelt sich um einen der ältesten Kunstgegenstände der Menschheitsgeschichte.“

Der Lehrpfad beleuchtet auch den Unterschied zwischen den steinzeitlichen Kulturen des Tunneltals, zwischen denen Archäologen differenzieren. Vor allem in der Jagdtechnik und bei den verwendeten Werkzeugen unterscheiden sie sich. Furken: „Die Hamburger Kultur, die nach einem Fundort im Alstertal in Hamburg benannt ist, lebte vor 14.700 Jahren.“

Älteste Pfeile der Menschheit stammen aus Ahrensburg

Die Rentierjäger wanderten mit den Herden in den Norden Europas ein. „Sie haben mit Speerschleudern gejagt, mussten sich der Beute also relativ dicht nähern, um sie zu erlegen.“ Tausend Jahre trennt die Hamburger von der Ahrensburger Kultur, die die Schlossstadt in Wissenschaftskreisen berühmt machte.

„Von diesen Menschen, die vor etwa 12.800 Jahren im Tunneltal lebten, stammen die ältesten Pfeile der Menschheitsgeschichte“, sagt Furken. Möglicherweise seien sie die ersten Menschen gewesen, die mit Pfeil und Bogen jagten. „Das ermöglichte ihnen eine wesentlich effizientere Jagd, weil sie Tiere auch aus der Entfernung erlegen konnten.“

Tunneltal ist seit 2004 als FFH-Gebiet geschützt

Auch über die Flora und Fauna des Tunneltals heute gibt eine Tafel einen Überblick. Furken: „Seit 2004 hat das Tunneltal den höchsten europäischen Schutzstatus als FFH-Gebiet.“ Die Sumpfareale bieten bedrohten Arten wie Kammmolch, Moorfrosch und Sumpfdotterblume einen Lebensraum. Furken: „Mit etwas Glück kann man auch verschiedene Libellenarten beobachten.“

Svenja Furken kommt zur letzten Tafel des Lehrpfads am Nordende der 320 Meter langen Moorbrücke. „Wir haben einen Sprung von 10.000 Jahren gemacht und befinden uns jetzt im Mittelalter“, sagt die Umweltpädagogin. Nördlich der Brücke erstrecken sich noch heute der Burghügel und die Reste von Gräben und Wallanlagen der Burg Arnesvelde, die Graf Heinrich I. von Hamburg dort im 11. Jahrhundert erbaute. „Bis ins 16. Jahrhundert wurde sie genutzt, als die Ländereien an die Familie Rantzau fielen und diese die Burg zugunsten des von ihnen neu errichteten Ahrensburger Schlosses aufgaben.“

Das Thema des Pfades sei heute aktueller denn je

Der Lehrpfad war Voraussetzung dafür, dass die Europäische Union die Hälfte der Kosten von 925.000 Euro für den im März 2019 fertiggestellten Neubau der Moorbrücke über einen Entwicklungsfonds trägt. Die Texte auf den Tafeln stammen von dem Ahrensburger Archäologen Kai de Graaf. Er sagt: „Mit der Gestaltung des Pfades als Zeitstrahl wollen wir übersichtlich Aufschluss über die komplexe Geschichte der Menschheit in Stormarn geben und das Wissen für jeden zugänglich machen.“ Der Pfad zeige die Zusammenhänge zwischen klimatischen Veränderungen und der Anpassung der Menschen daran auf. De Graaf: „Das ist heute aktueller denn je.“