Ahrensburg. Archäologen entdeckten ältesten Pfeil der Menschheit im Nachlass von Alfred Rust. Im September untersuchen ihn Wissenschaftler.
Rentierjäger gingen einst damit auf die Jagd – nun wird der älteste noch erhaltene hölzerne Pfeilschaft der Menschheitsgeschichte in Ahrensburg ausgestellt. Fragmente des Jagdwerkzeugs waren vor einigen Jahren eher zufällig in einer Zigarrenschachtel im Nachlass des Prähistorikers Alfred Rust gefunden worden. Mittels wissenschaftlicher Nachweise konnte dieses Artefakt auf die Zeit vor rund 12.000 Jahren datiert werden. Weitgehend unbemerkt landete der spektakuläre Fund im Archiv des Landesmuseums Schloss Gottorf. Nun soll er erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Großteil der Funde im Zweiten Weltkrieg vernichtet
„Dies ist eine richtige Sensation“, sagt Svenja Furken von der Interessensgemeinschaft Tunneltal. „Denn bisher ging man davon aus, dass alle Pfeile 1944 bei einem Luftangriff in Kiel vernichtet wurden.“ Bereits 1935 barg Archäologe Alfred Rust mehr als 100 hölzerne Pfeilschäfte sowie Tausende Rentierknochen und -geweihe im Stellmoor Ahrensburger Tunneltal, die dem Ende der Steinzeit, auch Jüngere Dryaszeit genannt, zugeordnet werden können. Damit handelt es sich bei den Pfeilschäften um den weltweit ältesten Nachweis der Jagd mit Pfeil und Bogen.
Obwohl ein Großteil der Funde im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurde, entdeckte Wissenschaftler Sönke Hartz bei der Sichtung von Rusts persönlichem Nachlass 2013 mehrere kleine Holzstücke. Die zwei mal zehn Zentimeter großen Hölzer sehen für Laien weniger wie Pfeile aus, verfügen aber über den typischen Schwalbenschaft. Das ist eine Kerbe, die Haupt- mit Vorschaft verbindet und zur damaligen Zeit gängig war. „Holz war kostbar“, sagt Hartz. „Wenn die Spitze des Pfeils zerstört wurde, wollten die Jäger wenigstens einen Teil des Materials wiederverwenden.“
Internationale Fachtagung steht an
Trotz der charakteristischen Merkmale bewies erst eine Holzprobe die Vermutung des Wissenschaftlers: Die Zellulose datierte das Alter des Fundes auf die gleiche Zeit wie die der Rentierknochen und -geweihe. Hartz erstellte einen Fachbericht und reichte den Fund an Kollegen weiter. Die Öffentlichkeit wurde darüber nicht informiert. „Derzeit lagern die Holzstücke im Archiv des Landesmuseums Schloss Gottorf“, so der Wissenschaftler. „Zusammen mit der neuen Ausstellung im Jahr 2023 werden sie der Allgemeinheit zugänglich gemacht.“ Deutlich früher, nämlich im September dieses Jahres, wird der Holzpfeil in Ahrensburg ausgestellt.
Möglich machen das Svenja Furken von der IG-Tunneltal und Thomas Patzner, Leiter der Stadtbücherei. Sie hatten die Idee zu einer internationalen Fachtagung und wollen diese unter Leitung des Archäologischen Landesamtes Schleswig-Holstein (ALSH) und des Zentrums für Baltische und Skandinavische Archäologie (ZBSA) planen. Unter dem Titel „Die Welt der Ahrensburger Eiszeitjäger“ werden im Kulturzentrum Marstall Gäste aus Schottland, Skandinavien und dem Baltikum erwartet. Besucher können zudem Exponate des Archäologischen Museums Hamburg und des Museums für Archäologie Schloss Gottorf in Augenschein nehmen.
Tunneltal spielt Schlüsselrolle in der Menschheitsgeschichte
„Dank der Funde von Alfred Rust ist die Schlossstadt Namensgeber für die Ahrensburger Kultur, mit der sich weltweit zahlreiche Wissenschaftler beschäftigen“, sagt Furken. „Unser Ziel ist es, diese Forschungsergebnisse zusammenzutragen und der Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, sich einen Eindruck über die Prägnanz unseres Tunneltals zu verschaffen.“
Neben dem Wissenschaftssymposium möchte Furken daher ein besonderes Augenmerk auf die Bürger der Stadt legen. Sie hoffe, mit der Sonderausstellung ein tieferes Verständnis für die Besonderheit und internationale Bedeutung des Fundortes Ahrensburg zu vermitteln. Neben Vitrinen mit steinzeitlichen Artefakten sind auch Workshops wie das Bauen einer Speerschleuder oder Lederbearbeitung geplant. „Wir wollen Schülern der umliegenden Schulen ein lebendiges Bild von den einstigen Bewohnern des Tunneltals vermitteln“, sagt Svenja Furken. „Und zeigen, dass unsere Rentierjäger eine Schlüsselrolle in der Menschheitsgeschichte gespielt haben.“
Ein Rentierzelt oder ausgestopfte Rentiere – den Ideen sind dabei kaum Grenze gesetzt. Ebenfalls geplant sind Fachvorträge. Möglich ist auch der erneute Besuch von Professor Johannes Krause, Direktor des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena. Zuletzt im September in Ahrensburg überraschte er die Wissenschaft mit neuen Erkenntnissen über steinzeitliche Jäger- und Sammlerkulturen.
So entdeckte der Spezialist für Archäogenetik mittels einer DNA-Analyse, dass die Rentierjäger noch bis vor 8000 Jahren dunkelhäutig waren und blaue Augen hatten. Krause gilt als Star unter den Genforschern und hat mit seinem Buch „Die Reise unserer Gene“ 2019 die Spiegel-Bestsellerliste erobert.