Norderstedt. Straftaten gegen queere Menschen sind beunruhigend angestiegen. Was Norderstedts Stadtpräsidentin Petra Müller-Schönemann dazu sagt.

Pünktlich zum Start des Demonstrationszuges der Norderpride 2024 stellte der Himmel den Regen ab. Rund 600 Teilnehmende am dritten Norderstedter Christopher-Street-Day (CSD) zogen durch die Stadt und machten auf ihre Anliegen und Sorgen aufmerksam.

Neben den bunten Regenbogen-Tüchern als Symbol für die queere Szene machten Plakate mit Aufschriften wie „Selbstbestimmt gegen Rechts“ auf die Bedrohungslage durch rechte Hass-Attacken auf Lesben, Schwule, Queere, Intersexuelle und Asexuelle (LGBT), auf Menschen anderer Religionen und beeinträchtigte Menschen aufmerksam.

CSD Norderstedt: Rechte von queeren Menschen sind nicht im Grundgesetz verankert

Sie haben alle dieselben Rechte wie die Mehrheitsgesellschaft, werden aber zunehmend angefeindet und verstärkt auf Social-Media-Kanälen bedroht, angefeindet, beschimpft und beleidigt. Vor allem aber sind ihre Rechte immer noch nicht im Grundgesetz, das vor 75 Jahren verabschiedet wurde, verankert.

Mit viel Fantasie, Freude am Leben, mit Kreativität und gesundem Selbstbewusstsein demonstrierten die Teilnehmenden der Norderpride gegen den grassierenden Hass von Rechts sowie gegen rechte Populisten. So lautete denn auch das Motto diesmal doppeldeutig „Normal? Aber sicher!“ Darauf verwies auch Stadtpräsidentin und Norderpride-Schirmfrau Petra Müller-Schönemann (CDU): „Unser gemeinsamer Traum ist eine Gesellschaft, in der jeder Mensch ohne Angst, ohne Vorurteile und vor allem sicher leben kann.“

Stadtpräsidentin lobt Norderstedt als Stadt der Vielfalt, Offenheit und Akzeptanz

Müller-Schönemann lobte Norderstedt als eine bunte Stadt der Vielfalt, Offenheit und Akzeptanz: „Alle sollten die Freiheit haben, das Leben authentisch und selbstbestimmt zu leben. Ohne Furcht vor Diskriminierung und Hass.“

Christian Schuster aus Kiel (l.) freute sich, dass Polizei-Kommissarin Wegner und Kriminal-Kommissar Ehlert die Norderpride sicherten.
Christian Schuster aus Kiel (l.) freute sich, dass Polizei-Kommissarin Wegner und Kriminal-Kommissar Ehlert die Norderpride sicherten. © Heike Linde-Lembke | Heike Linde-Lembke

Unterstützung erhielt das Organisationsteam der Norderpride um Danny Clausen-Holm aber vor allem von der Polizei Schleswig-Holstein, die nicht nur den Demo-Zug sicherte und dafür ihre Dienstfahrzeuge in LGBT-Fahnen hüllte, sondern auch bei den anschließenden Reden und der Party auf dem Rathausplatz präsent blieb.

Person wird angepöbelt – Polizeibeamte greifen ein

Trotzdem wurde eine Person offenkundig angepöbelt. „Doch zum Glück haben die Beamten sofort eingegriffen“, sagte Danny Clausen-Holm. Er stellte aber auch klar, dass queere Menschen durch das Grundgesetz nicht geschützt sind. „Dabei macht doch die Vielfalt unser Land aus, und die Grundlage für dieses Zusammenleben gibt uns eben unser Grundgesetz“, erklärte Holm.

Queere Menschen seien aber „explizit nicht erwähnt, auch nicht in der Landesverfassung Schleswig-Holstein“. Im Grundgesetz fehle der Satz „Niemand darf wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt werden“. Für eine Änderung der Landesverfassung stehe man als LSVD (Lesben- und Schwulenverband in Deutschland) mit den Fraktionen im Kieler Landtag in Verbindung.

CSD Norderstedt: Facebook-Gruppe „Wir, Mein Norderstedt“ wird kritisiert

Auf die steigende Bedrohungslage von queeren Menschen wies Polizei-Hauptkommissar Tim Jänke hin. Gab es 2022 noch 44 Taten gegen queere Menschen, beispielsweise gewalttätige Übergriffe, Raubüberfälle und sonstige Attacken, so seien die Delikte in 2023 auf 68 Straftaten gestiegen. „Von Beleidigungen über Körperverletzungen bis Raub ist alles dabei“, sagte Jänke. Viele Attacken würden noch nicht einmal angezeigt. Dabei ermittelt in diesen hassmotivierten Fällen der Staatsschutz.

Die Teilnehmenden am Demonstrationszug machten auf ihre Sorgen und Nöte aufmerksam.
Die Teilnehmenden am Demonstrationszug machten auf ihre Sorgen und Nöte aufmerksam. © Heike Linde-Lembke | Heike Linde-Lembke

„In Norderstedt haben wir zum Glück eine gute Sicherheitslage“, lobte Danny Clausen-Holm die Stadt. Die meisten Angriffe würden ohnehin im Internet auf Social-Media-Plattformen stattfinden. „Das ist eine gesamtgesellschaftliche Bedrohung, die zunehmend wächst“, so Clausen-Holm. Auffällig sei für Norderstedt beispielsweise, dass die Facebook-Gruppe „Wir, Mein Norderstedt“ Online-Beiträge des LSVD Schleswig-Holstein sofort löschen würde.

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„Die Absicht der Facebook-Gruppe ist sehr tendenziös rechtsorientiert“, sagte Danny Clausen-Holm. Er sei sogar schon als „ekelhafte Medien-Hure“ beleidigt worden: „Das habe ich angezeigt, und jetzt ermittelt der Staatsschutz.“

Die Bedrohungslage für queere Menschen sei angespannter geworden. „Wenn ein Hetero-Paar Hand in Hand geht, dann sieht man Liebe, wenn ein schwules oder lesbisches Paar Hand in Hand geht, dann sieht man Anspannung“, bringt es Clausen-Holm auf den Punkt.

Auf der Norderpride waren auch Stände weiterer queerer Verbände und Vereine vertreten, die Info-Material, aber auch T-Shirts und weitere Merchandising-Produkte verteilten und verkauften. Am meisten Zuspruch erhielt nach dem Demo-Zug allerdings die „Himmlische Wurstbude“ der Kirchengemeinde Vicelin-Schalom, die am Abend zuvor auch zu einem queeren Gottesdienst eingeladen hatte.