Kreis Segeberg. Land zieht Finanzierungszusage zurück. Kommunen weigern sich, einzuspringen. Wie Politik versuchen will, das wichtige Projekt zu retten
Er galt seit Planungsbeginn vor acht Jahren als das Schlüsselprojekt für die Verkehrswende im Hamburger Umland. Nun steht der Bau des Radschnellweges, der nach Hamburger Vorgaben jetzt in „Radroute plus“ umbenannt wurde, von Bad Bramstedt über Kaltenkirchen und Henstedt-Ulzburg bis Norderstedt zur Hamburger Stadtgrenze vor dem Aus.
Nachdem das Land seine Finanzierungszusage von vor einem Jahr jetzt plötzlich revidiert hat, wird das Vorzeige-Vorhaben für den Klimaschutz zumindest nördlich von Norderstedt so nicht mehr realisiert werden können. „Das ist natürlich bitter“, sagt Arne Hansen, Fraktionschef der Grünen im Segeberger Kreistag und Vorsitzender des Kreis-Umweltausschusses.
Radschnellweg vor dem Aus: Kein Geld vom Land
Der Grund dafür ist einfach: Die betroffenen Kommunen weigern sich zum großen Teil, für das Land einzuspringen und die Millionensummen – für die 33 Kilometer lange Gesamtstrecke werden „mindestens 100 Millionen Euro“ aufzubringen sein, wie Hansen schätzt - jetzt allein stemmen zu müssen. Nur Norderstedt und Bad Bramstedt haben der Kreisverwaltung signalisiert, die neuen Bedingungen zu akzeptieren.
Doch für den geplanten Radschnellweg an der Schleswig-Holstein-Straße entlang der L 184 bis zur Bundesstraße 432 müsste ohnehin das Land die Kosten tragen, weil es sich um eine Landesstraße handelt. Und in Bad Bramstedt hat Bürgermeisterin Verena Jeske diese Entscheidung offenbar ohne vorherige politische Beratung allein getroffen.
Norderstedt und Bad Bramstedt würden zahlen
Alle anderen Kommunen – Kaltenkirchen, Henstedt-Ulzburg, Nützen und Lentföhrden – lehnen es ab, die Absichtserklärung („letter of intent“) von Landrat Jan Peter Schröder zu unterzeichnen. Darin heißt es, es sollten zwar weiterhin alle Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten für die „Radroute plus“ ausgeschöpft werden. Aber „eine Eigenbeteiligung der kommunalen Straßenbaulastträger wird dabei vorausgesetzt.“ Und das sind zwischen Norderstedt und Bad Bramstedt mit 13,2 Kilometern zu 40 Prozent die Städte und Gemeinden. Weitere 5,6 Kilometer (17 Prozent) sind in privater Hand und müssten ebenfalls überwiegend von den Kommunen getragen werden. Die Kreisstraßen sind gar nicht betroffen.
Noch vor einem Jahr versprach die Landesregierung, ihrerseits in einer Absichtserklärung, dass es über seinen Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr „die Federführung für die Planung und den Bau des Radschnellweges Bad Bramstedt–Hamburg auf schleswig-holsteinischem Gebiet“ übernehmen werde. Das sollte jetzt der Kreis Segeberg für das Land machen.
Radschnellweg: Bundesförderung geht flöten
Und es hieß darin vollmundig: „Da das Land für den überwiegenden Anteil des Radschnellweges Baulastträger ist, wird die Finanzierung vorbehaltlich der in den jeweiligen Haushaltsjahren für Radschnellwege zur Verfügung stehenden Mittel durch das Land sichergestellt.“ Dieses Versprechen ist jetzt obsolet.
Damit nicht genug: Das Bundesförderprogramm, das bis zu 75 Prozent der Baukosten für Radschnellwege bezuschusst hat, läuft nach Angaben von Kreispolitiker Hansen zum Jahresende aus. „In Schleswig-Holstein ist bislang kein einziger Meter Radschnellweg gebaut worden“, sagte Alina Frenz, Regionalmanagerin in der Kreisverwaltung, jetzt vor dem Kreis-Umweltausschuss.
Kommunen reagieren verärgert: „So nicht hinnehmbar!“
Entsprechend ablehnend haben die betroffenen Kommunalpolitiker darauf jetzt reagiert. Dass die ursprüngliche Zusage des Landes jetzt plötzlich nicht mehr gelten solle und dass das Land nun „die Organisation, den Bau und auch die Finanzierung in die Zuständigkeit der Baulastträger der jeweiligen Abschnitte“ geben will, „ist für die Stadt Kaltenkirchen so nicht hinnehmbar“, heißt es klipp und klar ein einem Beschluss der politischen Gremien Kaltenkirchens..
Schließlich sei die Radroute plus „ein übergeordneter Radschnellweg, der Ortschaften miteinander verbindet – also über die Grenzen des eigenen Hoheitsgebietes der Kommune hinausgeht“, heißt es dazu in der Begründung von Kaltenkirchen. Sollte tatsächlich geplant sein, die jeweiligen Baulastträger für die Realisierung der einzelnen Abschnitte in die Verantwortung zu nehmen, würde dies zu einer Stückelung der Radroute plus führen, „die in Gänze wahrscheinlich nie fertig gestellt wird.“ Weil sie dann an den unterschiedlichen Zuständigkeiten und damit auch an der personellen und finanziellen Leistungsfähigkeit der Verantwortlichen scheitern würde.
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Eine ganz ähnliche ablehnende Position nimmt die Gemeinde Henstedt-Ulzburg ein, die ebenso die neuen Spielregeln des Landes nicht akzeptieren will. So heißt es in der Beschlussempfehlung der Verwaltung, die der Planungsausschuss der Gemeindevertretung am Montag, 17. Juni, beraten wird, dass „die Entscheidung des Landes, die jeweiligen Straßenbaulastträger für die Realisierung der einzelnen Trassenabschnitte in die Verantwortung zu nehmen, nicht hinnehmbar (ist). Angesichts der Tatsache, dass die gemeindlichen Belange bisher anscheinend unberücksichtigt geblieben sind, empfiehlt die Verwaltung, der neuen Realisierungsvereinbarung nicht zuzustimmen.“
Verständnis für die Ablehung im Kreis
Kreispolitiker Hansen zeigt Verständnis für diese ablehnende Haltung der Kommunen. Zumal sie dem Trassenverlauf des Radschnellweges, wie sie die Machbarkeitsstudie 2021 ausgearbeitet hatte, – anders als Norderstedt - ebenfalls nicht zugestimmt hatten. Sie wünschten sie sich insbesondere in Henstedt-Ulzburg eine engere Anbindung des Radschnellweges an die AKN-Strecke.
Der Kreis-Umweltausschuss hat auf seiner jüngsten Sitzung versucht, „das Projekt irgendwie zu retten“, wie Vorsitzender Hansen es ausdrückt. So hat der Ausschuss nach eingehender Beratung dieser Hiobsbotschaften beschlossen, es solle „an dem Konzept einer durchgängigen regionalen Radwegeverbindung im Verlauf der Siedlungsachse Norderstedt - Bad Bramstedt festgehalten werden.“ Dazu sollen nun möglichst bald weitere Gespräche mit den betroffenen Gemeinden geführt werden „mit dem Ziel, realisierbare Umsetzungslösungen zu entwickeln.“
Diese könnten darin bestehen, vorhandene Radwege auszubauen, ohne den vier Meter breiten Abstand der Radschnellwege einzuhalten. Auch Lückenschlüsse und Umgestaltungen von Knotenpunkten oder in Form von abschnittsweisen Sanierungen von Radwegen könnten eine Alternative sein. Vorsitzender Hansen plädierte sogar dafür, sich abzugucken, wie Radwege in den vorbildlichen Niederlanden realisiert werden. „In Holland geht man da pragmatisch vor: Man macht das, was möglich ist und dort, wo es möglich ist.“
Radschnellweg vor dem Aus: Radverkehrsziele „völlig illusorisch“
Hier in der Metropolregion habe allein die Planung der Radschnellwege viel zu lange gedauert, bis jetzt die Fördertöpfe versiegt sind, ärgert sich der Kreispolitiker. An der Ruhr und in München, wo gerade ein nagelneuer Radschnellweg eröffnet werden konnte, sei man offenbar schneller gewesen. Immerhin soll der Radschnellweg in Lübeck bislang als einziger in ganz Schleswig-Holstein fertig geplant und die Förderung des Bundes noch beantragt worden sein.
Und auch im Kreis Pinneberg gibt es noch eine Vereinbarung mit dem Land für den Bau eines Radschnellweges zwischen Pinneberg, Halstenbek und Elbgaustraße, deren Realisierung Projektleiter Hartmut Teichmann noch für realisierbar hält. Dort hat aber auch der Kreis entschieden, die Kosten für die Kommunen zu übernehmen. Das sei im Kreis Segeberg bei einem Haushaltsdefizit von aktuell 54 Millionen Euro kaum machbar, sagt Arne Hansen.
Mit dem Bau der geplanten Radschnellwege im Hamburger Umland sollte der Anteil des Radverkehrs bis 2030 von jetzt etwa zehn Prozent auf ein Drittel mehr als verdreifacht werden. Dieses Ziel sei jetzt „völlig illusorisch“, sagt Hansen. „Das kriegen wir nicht mehr hin. Das ist bitter.“