Bad Segeberg. Stars in der Arena: Am Kalkberg in Bad Segeberg studieren Alexander Klaws und Co. das neue Karl-May-Stück „Winnetou II“ ein.
Es gibt Melodien, die hängen bleiben. Für immer und ewig. So eine Melodie erklingt auf dem Parkplatz vor dem Eingangstor zur Kalkberg-Arena. Diese Töne auf der Mundharmonika – unvergessen. Eigentlich müsste jetzt Charles Bronson um die Ecke kommen, aber es ist Nick Wilder, der auf der Mundharmonika selbstvergessen die berühmte Melodie aus dem Western „Spiel mir das Lied vom Tod“ spielt. Das reicht für ein bisschen Gänsehaut. Dieser Song spielt in der aktuellen Karl-May-Inszenierung „Winnetou II – Ribanna und Old Firehand“ eine wichtige Rolle.
Den Song „Man with Harmonica“, so der richtige Titel des Ohrwurms, hat Nick Wilder schon gut drauf. Den kann er im Schlaf – kein Wunder, denn er hat die Harmonica auf Schritt und Tritt dabei und übt. Ansonsten aber plagen ihn zwei Wochen vor der Premiere die müden Knochen. Tägliche Proben von 10 bis 22 Uhr – das ist keine Kleinigkeit, und das steckt niemand so schnell weg.
Winnetou und die Todesmelodie: Nick Wilder beherrscht den Song perfekt
Erst recht nicht im fortgeschrittenen Alter: Nick Wilder, der langjährige Schiffsarzt des „Traumschiffs“, ist im Dezember immerhin schon 71 Jahre alt geworden. Das sieht ihm niemand an, aber der Körper spricht seine eigene Sprache. „Ich steige abends in die Badewanne und schütte ganz viel Badesalz ins Wasser, dann geht‘s wieder.“
Wilder, der in der aktuellen Karl-May-Inszenierung den Bösewicht Emery Forster spielt, erzählt oben, am Rande der Arena, über sein neues Leben als Westernschurke, während unten in der Arena die Vorbereitungen für die 16-Uhr-Probe laufen. Das ZDF-Produktionsteam von Schauspielerin Eva Habermann und ihres Partners Alexander König und das Hamburger Abendblatt dürfen miterleben, wie Regisseur Nicolas König arbeitet, um aus den vielen Einzelszenen ein Gesamtwerk zu kreieren.
Sascha Hödl hebt die Arme und ruft Manitou an
Wie sich das Gesamtwerk in knapp zwei Wochen, bei der Premiere am 29. Juni, tatsächlich präsentiert, lässt sich in diesem Moment nur erahnen. Es geht um das Bild 16, „Der Fluch der bösen Geister“, in dem der Bösewicht mit der Mundharmonika, also Emery Forster alias Nick Wilder, dem kommenden Häuptling der Assiniboine, Enyeto (gespielt von Sascha Hödl) das Land abluchsen will. Unterstützt wird er dabei von seinem Kumpel, dem korrupten Kavallerie-Kommandanten Colonel Webster alias Joshy Peters. Eine Schlüsselszene also.
Regisseur Nicolas König, von allen nur Nico genannt, sitzt auf der Balustrade und ersetzt den Off-Sprecher Reiner Schöne: „Enyeto hatte eine geheimnisvolle Nachricht erhalten. Zögernd machte er sich zum Treffpunkt auf, der darin genannt war.“ König liest mit markanter Stimme aus dem Textbuch vor, während sich die übrigen Darsteller auf der Bühne gruppieren. Sascha Hödl hebt die Arme und ruft Manitou an: Er sei krank und schwach – wie alle im Dorf. Dann die Mundharmonika-Melodie live gespielt von Nick Wilder, der aus dem Hintergrund auf die Bühne marschiert.
Der Adler Ko-inta fliegt bisher nur in Gedanken
Alles wirkt noch etwas unfertig. Kleine Texthänger stören nicht und sind in diesem Stadium der Probe normal. „Die Schauspieler gehen unterschiedlich mit dem Text um“, sagt Bühnenautor Michael Stamp. „Einige können ihn von Anfang an, bei anderen wächst die Sicherheit während der Proben.“
Regisseur Nicolas König, der im Stück selbst mitspielt, unterbricht gelegentlich, stiefelt durch den Sand und zeigt den Schauspielern, welche Positionen sie einnehmen sollten. „Dann reite ich also hier lang“, sagt Jan Hartmann, Darsteller des Old Firehand, und zeigt mit der Hand den ungefähren Weg. Immerhin trennen sich seine Wege am Ende der Szene von denen der anderen Protagonisten. Und Michael Stamp ist zufrieden: „Alles völlig textgetreu.“
Kurios wird es, als Alexander Klaws heroisch in die Ferne zeigt. „Dort! Ko-inta – das Feuerauge“, ruft Winnetou seinen Freunden und Feinden auf der Bühne zu und blickt in Richtung Regieturm. Aber Ko-inta erscheint natürlich nicht. Der Karl-May-Adler von der Greifvogelstation Hellenthal ist noch nicht im Einsatz. Seinen Auftritt müssen sich alle Beteiligten vorstellen. Kein Problem, das funktioniert. „So lange der Adler in den Jagdgründen der Apachen und der Assiniboine lebt, so lange werden alle roten Völker geschützt sein.“ Winnetous gewichtiger Satz klingt ohne Adler noch etwas theoretisch.
Sila Sahin muss sich als Ribanna in einer von Männern dominierten Welt behaupten
Als einzige Frau muss sich Ribanna in der Männerwelt des Wilden Westens behaupten. Und das nimmt Sila Sahin sehr wörtlich: Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen spricht sie bereits in diesem frühen Stadium der Proben sehr laut, sehr deutlich und sehr akzentuiert während sie gelassen auf dem Pferd sitzt. Jeder Satz immer in Richtung der Zuschauerränge. „Das hier ist kein Zuckerschlecken“, sagt die Schauspielerin im Anschluss an die Probe. „Als einzige Frau, das ist schon eine Herausforderung.“ Sie zeigt Präsenz, auf der Bühne, aber auch hinter der Bühne
Sila Sahin war bereits 2017 Gaststar am Kalkberg in dem Stück „Old Surehand“, der damals übrigens von Alexander Klaws gespielt wurde. „Ich habe dazu gelernt“, sagt die Mutter von zwei Söhnen. „Heute bin ich selbstbewusster als 2017.“ Heute behauptet sie sich offenbar mühelos. Sie lobt den Regisseur: „Nico ist sehr menschlich bei der Arbeit, weil er ja selbst Schauspieler ist und weiß, was geht. Er denkt an alles und an jeden und hat sehr viel Energie.“
Die Stuntleute gehen auf Nummer sicher und kontrollieren alle Scharniere
Energie braucht auch Sila Sahin, die nach zwölf Stunden Probe erst um 22 Uhr wieder im Hotelzimmer ist. „Abends bin ich echt fertig.“ Die Zeit zum Regenerieren ist kurz: Am nächsten Morgen um 10 Uhr geht es weiter. Solange, bis alle Szenen sitzen und aus den einzelnen Bildern ein großes Ganzes für die Zuschauer geworden ist.
Während die Schauspieler zusammen mit dem Regisseur an der Szene feilen, machen sich drei Männer an einem Turm zu schaffen, der ganz links auf der Bühne direkt neben den ersten Zuschauerreihen steht. Laszlo Ujvari, sein Sohn Balint und Aden Csuti klettern im Gestänge umher und kontrollieren die Scharniere. Die drei gehören zur Crew des Ungarn Dr. Steve Szigeti, der seit 2008 Chef des Stuntteams ist. Es sind Stuntleute, die später die Aufführungen mit akrobatischen Einlagen bereichern.
Bühnenbilder Erik Rüffler und Stuntkoordinator Steve Szigeti arbeiten Hand in Hand
Der Ölturm am Rande der Bühne wird irgendwann im Laufe des Stücks langsam umknicken, die Männer auf dem Turm stürzen ab und landen genau in einer darunter stehenden Kutsche. Das muss sitzen und immer wieder geprobt werden Steve Szigeti weiß, dass er sich auf seine Männer verlassen kann. Die sind derartige Szenen gewohnt. Aber auch die Technik muss ausgefeilt sein, damit später alles sekundengenau ins Bild passt.
Der Turm ist ein Gemeinschaftswerk des Stuntkoordinators und des Bühnenbildners. Erik Rüffler hat bereits im Sommer vergangenen Jahre an den Entwürfen für die Bühnenbauten der Karl-May-Saison 2024 gearbeitet. Der Mann kennt die Karl-May-Bühne in- und auswendig und weiß genau, welche Elemente wichtig sind, um den Zuschauer am Ende ein großartiges Bild des Wilden Westens im Sinne von Karl May zu vermitteln.
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Erik Rüffler kennt die Bühne übrigens auch aus einer anderen Perspektive: 1979 spielte er in einer damals viel beachteten Jugendinzenierung die Rolle des Old Shatterhand. 1995 war er bereits einmal Bühnenbilder der Karl-May-Spiele, und nach vielen Jahre beim Fernsehen kehrte er zur Saison 2023 zurück zum Kalkberg.
Warum eine Karl-May-Inszenierung aufregender als die Traumschiff-Dreharbeiten sind
Nick Wilder, der Schauspieler mit Wohnsitz im US-Bundesstaat Montana, ist trotz aller Strapazen gerne im Team der Karl-May-Spiele. Er versteht sich mit seinen Kollegen und lobt die Stimmung hinter der Bühne – aber ein bisschen mulmig ist ihm trotz aller zur Schau gestellten Nonchalance dennoch. Schließlich hat er in seinem bisherigen Berufsleben nur einmal auf der Theaterbühne gestanden. „Meine Frau ist eine erfahrene Bühnenschauspielerin und hatte mich schon vorgewarnt, dass es ganz speziell werden könnte.“
Bisher hatte er – abgesehen von den schmerzenden Knochen am Abend – keine Probleme, aber eins hat er dennoch festgestellt: „So eine Inszenierung ist viel aufregender als die Dreharbeiten für das ‘Traumschiff‘“.
Premiere feiert „Winnetou II – Ribanna und Old Firehand“ am Sonnabend, 29. Juni, ab 20.30 Uhr im Bad Segeberger Freilichttheater am Kalkberg. Gespielt wird bis zum 8. September jeweils donnerstags, freitags und sonnabends ab 15 und 20 Uhr sowie sonntags ab 15 Uhr. Tickets gibt es auf www.karl-may-spiele.de.