Norderstedt. Richtfest für neue Tagesaufenthaltsstätte für Wohnungslose am Herold-Center: angesichts steigenden Bedarfs, war der Neubau überfällig
Sie gehören zum Bild der Stadt, auch wenn sie von den meisten Passanten in Norderstedt eher bewusst ignoriert werden. Gerade rund um das Herold-Center und die De-Gasperi-Passage in Garstedt, allerdings auch an anderen öffentlichen Orten, halten sich täglich Obdachlose auf – unterschiedlichen Alters, unterschiedlichen Geschlechts, verschiedener Herkunft und mit Biografien, so vielfältig wie das Schicksal.
Deswegen ist es umso wichtiger, was gerade am Lütjenmoor, in unmittelbarer Nähe zum Herold-Center und dem U-Bahnhof Garstedt, passiert. Denn hier entsteht derzeit die neue Tagesaufenthaltsstätte (TAS) für diejenigen Menschen, die kein festes Zuhause haben. Anlässlich des Richtfestes wurde nun noch einmal deutlich: Die Sorgen werden immer größer.
„Elendsverwaltung!“. Menschen finden keine Wohnungen mehr
Die wohnungslosen Menschen in Norderstedt haben in der neuen TAS zukünftig viel mehr Platz als zuvor. Das Diakonische Werk des Kirchenkreises Hamburg-West/Südholstein investiert in den Neubau rund 2,2 Millionen Euro, wovon die Stadt Norderstedt die Hälfte der Baukosten trägt.
„Dies ist ein wichtiger Meilenstein für diese Menschen, die kein eigenes Zuhause haben“, sagte Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder. Die Diakonie sei dabei für die Stadt ein wichtiger Partner. Schmieder gab zu, „ein wenig neidisch“ zu sein, weil dieser zweigeschossige Bau für die wohnungslosen Menschen in der Stadt schon viel weiter vorangeschritten sei als das Bildungshaus, das nur einen Steinwurf entfernt für rund 50 Millionen Euro für das Stadtarchiv, die Stadtbücherei, die Musikschule und die Volkshochschule errichtet wird.
Alte TAS im Container war nicht mehr ausreichend
Die TAS gibt es seit 1998, am jetzigen Standort wurde sie 2006 eröffnet. Das Gebäude ist ein zweckmäßiger Containerbau, bietet 144 Quadratmeter Platz, gilt längst als nicht mehr angemessen, sowohl wegen des baulichen Zustands auch mit Blick auf die vielen, teils komplexen Aufgaben und Angebote der TAS.
Denn Menschen ohne Wohnung, Bedürftige, Arme, sie bekommen hier von Montag bis Sonnabend ein Frühstück sowie an Wochentagen auch ein warmes Mittagessen. Sie haben die Möglichkeit zur Körperpflege, also insbesondere zu duschen, können ihre Kleidung waschen, dazu auch die Postadresse für persönliche Briefe nutzen.
Zur Verfügung stehen auch Tageszeitungen, Bücher, es gibt einen kostenlosen Internetzugang und Schließfächer. Die Beratungsstelle bietet Unterstützung an, sie ist vernetzt ist mit anderen Einrichtungen. Auch Arztsprechstunden oder Suchthilfe gehören zu den Hilfsangeboten, gleichermaßen gemeinsame Ausflüge – oder Feste, etwa zu Weihnachten.
TAS Norderstedt: Dreimal so viel Raum im Neubau
Projektleiter Christian Goßler vom Diakonischen Werk sagt, dass den bedürftigen Menschen im Neubau bald mit 400 Quadratmetern dreimal so viel Raum zur Verfügung stehe, worüber sich Tabea Müller freut, die mit kleinen Unterbrechungen die TAS am Herold-Center seit 2003 leitet.
Der Bedarf wachse stetig an, immer mehr Menschen können sich wegen der hohen Mietpreise keine Wohnung mehr leisten oder finden erst gar keine. Etwa 40 bis 50 wohnungslose Menschen kämen täglich vorbei, um sich dort zu waschen, zu duschen, etwas Warmes zu essen, ihre Post abzuholen, Hilfe und Beratung einzuholen. „Manche wünschen sich auch nur, dass ihnen mal jemand zuhört“, sagt sie. „Das ist der Spiegel der Gesellschaft“ erklärt sich Tabea Müller diese Entwicklung. „Wir machen hier Elendsverwaltung.“ Etwa 12.000 Hilfesuchende seien es im Jahr, die die TAS regelmäßig aufsuchen. Etwa ein Drittel davon seien Frauen.
Armut: Stammkunde (76) kommt seit 19 Jahren
Einer von ihnen ist ein inzwischen 76 Jahre alter Mann aus Tangstedt, der aber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er komme schon seit 19 Jahren hierher, erzählt er. Meist freitags, wenn ohnehin Wochenmarkt am Herold-Center ist. Dann nehme er meistens seine Hunde mit und könnte so von den Passanten etwas Geld erhalten. Und in der TAS werde er dann mit einer warmen Mahlzeit versorgt, sagt der betagte Stammgast.
Das Problem der Wohnungslosigkeit werde zunehmend größer, sagt Norderstedts Sozialamtsleiter Sirko Neuenfeldt. Allein in den städtischen Unterkünften würden etwa 120 Menschen leben, die keine eigene Wohnung hätten. „Viele finden einfach keinen günstigen Wohnraum in der Stadt, den sie sich leisten können. Darum ist heute ein guter Tag“, sagte er auf dem Richtfest.
Neubau TAS Norderstedt: „Umweltschonend und zukunftsgerichtet“
Architekt Paul Günter Frank, der schon seit rund zwei Jahrzehnten diese Einrichtung in Norderstedt unterstützt, habe seine Dienstleistung für den Neubau pro bono angeboten, sagt TAS-Leiterin Müller. „Er unterstützt uns seit vielen Jahren“, sagt sie. Gleichwohl sei der Neubau umweltschonend und zukunftsgerichtet erstellt worden, betonte der Architekt.
Neben einer Fußbodenheizung und Solarstromanlage auf dem Dach würden die Innenräume über eine moderne Wärmepumpe beheizt. Zudem sei kein Beton, sondern ein ökologischer Baustoff mit einer Zementart verbaut worden, die eine viel bessere CO₂-Bilanz als der herkömmliche Zement aufweise.
Neubau TAS Norderstedt: Finanzierung war schwierig
2,3 Millionen Euro kostet der zweigeschossige Neubau. Reibungslos ist die Planung hierfür keinesfalls verlaufen, und das hängt mit der immensen Steigerung der Investition zusammen. Ursprünglich auf 1,5 Millionen Euro kalkuliert, stieg die benötigte Summe auf 2,3 Millionen Euro. Die Diakonie trat deswegen an die Stadt Norderstedt heran, bat um eine Aufstockung des Zuschusses von anfangs 800.000 auf 1,1 Millionen Euro. Die Verwaltung zögerte, empfahl vielmehr, das Vorhaben kleiner zu gestalten, ehe die Politik die höhere finanzielle Unterstützung bewilligte.
Außer der Stadt Norderstedt beteiligen sich an dem Neubau der Tagesaufenthaltsstätte die Aktion Mensch mit 250.000 Euro und die Stiftung Wohnhilfe mit 125.000 Euro an den Baukosten. 180.000 Euro an privaten Spenden habe die Diakonie dafür einsammeln können, die somit nur einen Eigenanteil von rund 400.000 Euro übernehmen müsste, sagte Projektleiter Goßler.