Bad Segeberg. Schlagerrock, Sentimentalität und gemischte Gefühle: Der „Volksrocker“ spielte vor 9500 Fans in der Kalkberg-Arena Bad Segeberg.
Auf Parkplatz P1 vor der Kalkberg-Arena in Bad Segeberg gibt es Käse-Häppchen und Oliven. Katja und Martin aus Osnabrück haben vor ihrem 6,50 Meter langen und 5,5 Tonnen schweren Wohnmobil einen Tisch aufgebaut und laute Musik aufgedreht. Sie lieben Rammstein, Gossip – und: Andreas Gabalier. Wegen dem sind sie heute hier, haben sich dort mit Vera aus Kiel getroffen und zufällig noch Ulrike und Rolf kennengelernt, deren Haus an den Parkplatz grenzt.
Die Musik lockte sie an. Jetzt prosten sich alle mit kühlem Bier zu. Drinnen im Wohnmobil schlafen vier Katzen, nebenan im Garten laufen Wachteln. Fan-Idylle unterhalb der Freilichtbühne am Kalkberg, mehr als eine Stunde, bevor das Konzert des österreichischen Volks-Rock‘n‘Rollers beginnt.
Andreas Gabalier im „Dirndl-Wahnsinn“
Fragt man Martin, was er an Gabalier so mag, nennt er unter anderem, dass dieser seine politische Meinung offen ausspricht, auch wenn er damit gerne mal anecke. Ulrike hingegen schüttelt energisch den Kopf, Politik habe bei so einem Konzert doch gar nichts zu suchen.
Fakt ist, dass Andreas Gabalier in der Vergangenheit mehrfach rechtspopulistische und homophobe Tendenzen vorgeworfen wurden und er für einen nicht immer unumstrittene Heimatbegriff stand. In der letzten Zeit allerdings wurde es, was das betrifft, eher ruhiger um den Österreicher, nachdem er in Interviews so manches versucht hatte, klarzustellen, seine Musik als „modern gelebte Tradition“ bezeichnete und den Medien zugleich bewusstes Kalkül vorwarf.
Beim Gabalier werden Krachlederne getragen
An der Treue seiner Fans änderte all das nichts, sie füllen ungebrochen ganze Stadien. So auch die restlos ausverkaufte Kalkberg-Arena, die an diesem Abend einem Volksfest ähnelt. 9500 Menschen. Frauen in Dirndeln und mit lieblichen Blümchen-Bändern im Haar. Männer in Lederhosen und knackigen Waden in Wollsocken. Manche allerdings auch in Shirts der stark polarisierenden Band „Rammstein“ oder der umstrittenen Südtiroler Deutschrocker „Frei.Wild“.
Dann ein ohrenbetäubendes Jubeln, als Andreas Gabalier um kurz nach 19 Uhr auf die Bühne kommt. Und eigentlich sieht er ganz genau so aus wie seine Musik, wie rockiger Schlager, wie fetzige Volksmusik: Er trägt eine kurze Lederhose, dazu ein blaues Shirt, das seine aus der Muckibude gestählten Oberarme betont. Um den dicksten Muskel hat er ein Band gebunden, ein zweites um sein Handgelenk. Beide rot-weiß kariert.
Gabalier sei „ein ziemlich attraktiver Typ“
Solche Bänder, erzählt später ein Verkäufer vom Fan-Shop, verkaufen sich neben den rot-weiß karierten Sonnenbrillen jedes Mal am besten. Und wenn man es einmal weiß, sieht man sie überall: Fans in rot-weiß karierten Hemden, jubelnde Hände mit genau diesen Bändern drumherum.
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Jeder möchte hier offenbar so sein wie der Mann auf der Bühne. Und so manch eine bedirndelte Zuschauerin schwärmt ein bisschen für ihn. „Ja, den mögen wir“, sagen Bea, Anni und Christina, die extra aus Bremen angereist sind, hübsche Trachtenkleider tragen und wegen der ausverkauften Hotelzimmer stilecht auf einem Campingplatz in einem Fass wohnen. Die Musik sei toll, und Gabalier ein ziemlich attraktiver Typ.
„Hulapalu!“: Kleines Mädchen darf auf die Bühne
Mal rockig, mal sanft sind die Klänge, die der smarte Sänger aus der Steiermark bis zum Sonnenuntergang über den Kalkberg klingen lässt. Hits wie „So liab hob i di“, „I sing a Liad für di“, aber auch Tina Turners „The Best“ und sein Megahit „Hulapalu“, zu dem er ein kleines Mädchen auf die Bühne heben lässt, sie auf seine Schultern setzt und gemeinsam mit ihr und den 9.500 Gästen weitersingt.
Ganz zum Schluss, als die Menschenmenge lautstark eine Zugabe fordert, wird es sentimental und besinnlich. Hunderte Handy-Lichter leuchten in den Abendhimmel, als Andreas Gabalier sein Lied „Amoi seg ’ma uns wieder“ singt, das er seinem Vater und seiner Schwester gewidmet hat, die sich beide das Leben nahmen. Damals war Gabalier Anfang 20, kaufte sich eine steierische Harmonika, begann mit der Musik die schlimme Erfahrung zu verarbeiten und wurde mit den Jahren berühmt.
So berühmt, dass ihn seine Fans in Bad Segeberg gar nicht gehen lassen wollen. Und diese Mischung aus Familienausflug, Volksfest und gemischten Gefühlen bleibt bis zum Schluss. Bis man Parkplatz P1 wieder erreicht, wo inzwischen die Katzen im Fenster des Wohnmobils liegen und verschlafen auf Katja und Martin warten, während ihnen jemand eine Packung frischer Wachteleier vor die Tür gelegt hat. Musikleidenschaft, die verbindet.