Boostedt/Kreis Segeberg. Pilotprojekt Kreis Segeberg: Wie Integrationsministerin Aminata Touré das Job-Potenzial der Landesunterkunft Boostedt heben will

Fachkräftemangel herrscht bei vielen Betrieben im Kreis Segeberg, wie überall in Schleswig-Holstein, ja in ganz Deutschland. Die Politik und Arbeitsmarktexpertinnen werden nicht müden zu betonen, dass die millionenfach ins Land gekommenen Geflüchteten aus aller Welt bei der Lösung des demografischen Problems eine zentrale Rolle einnehmen könnten. Mit einem Pilotprojekt, das jetzt unter anderem in Boostedt im Kreis Segeberg angelaufen ist, will Schleswig-Holsteins Integrationsministerin Aminata Touré nachweisen, wie das möglichst schnell und weniger bürokratisch gelingen kann.

Der Kerngedanke: Geflüchtete, die in Boostedt in der Landesunterkunft ankommen und eine feste Bleibeperspektive haben, sollen vom ersten Tag an wie potenzielle Fachkräfte behandelt werden. „Das neue Konzept zur Arbeitsmarktintegration für Geflüchtete direkt nach Ankunft wird ein Gamechanger für die Arbeitsmarktintegration in Schleswig-Holstein werden“, sagte Touré in Boostedt. Sie macht auch schon klar, für welche Jobs die Geflüchteten am ehesten infrage kommen. „Mir ist dabei als Sozialministerin sehr wichtig, einen Schwerpunkt auf den sozialen und pflegerischen Berufen zu haben.“

Fachkräftemangel: 270.000 gehen in den nächsten 12 Jahren in Rente

„Über 120.000, also 11,4 Prozent unserer 1,065 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in den Unternehmen Schleswig-Holsteins gehen in den nächsten sieben Jahren in Rente“, sagte der Leiter der Regionaldirektion Nord Markus Biercher, der das Pilotprojekt gemeinsam mit Touré vorstellte. „Blicken wir weitere fünf Jahre in die Zukunft, sind es sogar 270.000 Beschäftigte, die mit ihrem Know-how den Betrieben fehlen. Motivierte Arbeits- und Fachkräfte sind aber schon heute über alle Branchen hinweg schwer zu finden. Was liegt also näher, als vorhandene berufliche Kompetenzen von Geflüchteten möglichst schnell festzustellen, um den gesamten Integrationsprozess bis zur gewünschten Arbeitsaufnahme zu verkürzen.“

Nach dem Willen von Land und Arbeitsagentur sollen Geflüchtete in Boostedt nach ihre Ankunft und der Prüfung ihres Asylstatus rasch entsprechend den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes integrationsorientiert auf Kreise und kreisfreie Städte weiterverteilt werden. In Boostedt und auch in der Landesunterkunft in Rendsburg läuft der Prozess bereits seit dem 22. April.

Eignung als Fachkraft: Prozess mit acht Schritten

Jede infrage kommende Person wird direkt in der Unterkunft systematisch in acht Schritten geprüft. Schritt 1: Zunächst müssen der Asylstatus klar und die Bleibeperspektive gegeben sein. Das gilt in der Regel für Geflüchtete aus Syrien oder Afghanistan. Außerdem wichtig ist ein Alter zwischen 18 und 63 Jahren sowie eine grundsätzliche Arbeitsfähigkeit.

Schritt 2: Erklärt sich ein Geflüchteter bereit, kann er einen Termin mit Mitarbeitenden des Landesamtes für Zuwanderung und Flüchtlinge haben. Im Gespräch werden über einen Fragebogen (mit Dolmetscher) Berufsabschlüsse, Qualifikationen, Kenntnisse und berufliche Erfahrungen erfasst. Schon hier soll der Schwerpunkt auf der Eignung für soziale und pflegerische Berufen liegen.

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Schritt 3: Der Fragebogen wird die Bundesagentur für Arbeit ausgewertet. Schritt 4: Es folgt ein Beratungsgespräch mit Agenturexperten in Boostedt. Dem geflüchteten werden individuelle Möglichkeiten und Perspektiven aufgezeigt. Schritt 5: Entsprechend dem Ergebnis des Gesprächs, erarbeiten Bundesagentur für Arbeit, die Jobcenter und das Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge den möglichen Berufsweg des Geflüchteten.

Geflüchtete werden dahin verteilt, wo Jobchancen bestehen

Erst danach erfolgt im 6. Schritt die Verteilung auf einen Kreis oder eine kreisfreie Stadt. Denn dort müssen ja die Jobchancen für den Geflüchteten passen. Schritt 7: Im Zuge der Kreisverteilung werden die jeweiligen Daten an das zuständige Jobcenter und die Zuwanderungsbehörde übermittelt. Was dazu führt, dass im 8. Schritt und letzten Schritt im Idealfall vor Ort die Vermittlung in den Arbeitsmarkt gelingt. Ministerin Touré: „Wir denken die Arbeitsmarktintegration bei Kreisverteilung künftig viel stärker mit. Damit die Arbeit dort hingeht, wo sie gebraucht wird. Wir brauchen ein besseres Matching, wenn wir den Fachkräftemangel beheben und die Integration vor Ort vorantreiben wollen.“

„Ankommenden Menschen signalisieren wir, dass wir in Schleswig-Holstein gemeinsam berufliche Perspektiven erarbeiten wollen und konkret anbieten“, sagte Biercher. Das freiwillige Angebot setze niemanden unter Druck. „Denn der Verlust der Heimat und die vielen damit verbundenen individuellen Herausforderungen sind enorm. Und auch Unternehmen werden mit etwas Geduld auf motivierte Newcomer treffen, die die Wirtschaft dringend benötigt.“ Ministerin Touré hofft auf Menschen, die sich vor allem für soziale Berufe begeistern. „Wir haben deshalb zum Beispiel auch den Quereinstieg für Kita für ausländische Abschlüsse vereinfacht.“

Pilotprojekt: Bis 2025, danach wird Fortsetzung geprüft

Für das Pilotprojekt in Boostedt und Rendsburg wurden fünf Mitarbeitende des Landesamtes für Zuwanderung und Flüchtlinge abgestellt, die vor Ort die arbeitsmarktrelevanten Kompetenzen Geflüchteter erfassen. Zusätzliche Kosten für den Landeshaushalt entstehen nach Ministeriumsangaben nicht. Das Projekt ist zunächst bis Ende Juni 2025 befristet. Danach sollen die Ergebnisse evaluiert und über eine Forsetzung des Projektes beschlossen werden.

Ministerin Touré ist überzeugt von dem Projekt: „Wir gehen das Pilotprojekt mit sehr viel Optimismus an. Ziel ist es, den Geflüchteten eine gute berufliche Integration in den hiesigen Arbeitsmarkt und damit auch in die Gesellschaft zu ermöglichen. Uns ist gleichzeitig klar, dass Aspekte der zukünftigen Unterbringung, Gesundheit, Sprachförderung oder auch die Anerkennung von beruflichen Abschlüssen herausfordernd sind. Erfolge werden vor allem auf lange Sicht deutlich werden. Aber mit persönlicher Beratung, Geduld und Engagement schaffen wir die dafür notwendigen Voraussetzungen und Perspektiven auf allen Seiten.“