Norderstedt. Immer mehr entscheiden sich gegen künstliche Hormone. Beraterin erklärt: So wirkt sich das auf sexuelles Verlangen und den Körper aus.

  • Katharina Dinzen hat viele Jahre die Pille genommen. Erst als sie die künstlichen Hormone abgesetzt hat, merkte sie, wie ihr Wesen beeinflusst war.
  • Heute berät sie andere Frauen. Bei Instagram folgen ihr knapp 6500 Menschen.
  • Laut Statistik setzen immer mehr Frauen die Pille ab.

Katharina Dinzen war stolz, als ihre Frauenärztin ihr die Antibabypille verschrieben hat. „Ich habe mich so erwachsen gefühlt“, erinnert sie sich. Damals war sie 15 Jahre alt, hatte ihre erste Beziehung. Viele ihrer Freundinnen haben künstliche Hormone genommen, um zu verhüten. Das war ganz normal. Was die Pille beinhaltet und mit dem Körper einer jungen Frau macht, hat sie nicht hinterfragt. „Dass sie meine Stimmung und mein ganzes Wesen beeinflusst, war mir damals nicht klar.“

Heute ist sie 30 Jahre alt und sagt: „Ich möchte nie wieder künstliche Hormone nehmen.“ Dinzen, die in Norderstedt aufgewachsen ist, nun aber in Hamburg wohnt, sitzt in einem Café in der Innenstadt. Sie nippt an ihrem Cappuccino mit Hafermilch. Um sie herum ist jeder Tisch besetzt. Sie hat kein Problem damit, offen über Themen zu sprechen, bei denen manche Frauen vielleicht anfangen würden zu flüstern. Auf ihrem Instagram-Account @ovulista_ klärt sie über hormonfreie Verhütung und den weiblichen Zyklus auf. Knapp 6500 Menschen folgen ihr.

Immer mehr Frauen setzen Pille ab und verhüten hormonfrei

Mehr als neun Jahre lang hat Dinzen Hormone geschluckt. Eigentlich lief alles gut. Dachte sie. Erst als sie die Pille abgesetzt hat, merkte sie plötzlich, dass all die Jahre etwas nicht mit ihr stimmte. „Es gab Situationen, in denen ich voll glücklich hätte sein müssen“, sagt sie. Momente, in denen für sie augenscheinlich alles perfekt war. Bei ihrem Bachelor-Abschluss zum Beispiel, beim Feiern mit Freunden, in Urlauben. „Doch da fehlten Emotionen. Ich habe einfach keine Euphorie gespürt.“

Katharina Dinzen unterstützt Frauen bei der hormonfreien Verhütung und Familienplanung. Darüber hat die 30-Jährige nun ein Buch geschrieben.
Katharina Dinzen unterstützt Frauen bei der hormonfreien Verhütung und Familienplanung. Darüber hat die 30-Jährige nun ein Buch geschrieben. © privat | Privat

Die Schwester einer Freundin inspirierte sie dazu, nach der Trennung von ihrem damaligen Freund auch mit der Pille Schluss zu machen. Sie schwärmte, wie toll sie sich ohne die zugeführten Hormone fühlen würde. Katharina Dinzen wollte es selbst erleben. Doch nach dem Absetzen funktionierte der Körper der jungen Frau nicht wie erwartet. Ihre Periode blieb aus. „Drei bis sechs Monate sind angeblich normal, bis sich der Körper umgestellt hat“, sagt Dinzen.

Ansehen der Pille hat sich verändert

Doch es passierte nichts. Die Monatsblutung ließ weiter auf sich warten. Das kann gefährlich werden und etwa das Risiko für Osteoporose erhöhen. „Irgendwann wurde ich immer unruhiger. Mit mir stimmte etwas nicht.“ Die damals Mitte 20-Jährige suchte mehrmals ihre Frauenärztin auf, bat um Hilfe. Doch die hätte ihr am liebsten einfach wieder die Pille verschrieben, um das Problem zu lösen. „Aber das wollte ich nicht. Das habe ich ihr gefühlte hundertmal gesagt.“

Ab 1961 konnten Frauen in der Bundesrepublik die Pille kaufen. Damals galt sie als Revolution. Heute setzen immer mehr Frauen sie wieder ab.
Ab 1961 konnten Frauen in der Bundesrepublik die Pille kaufen. Damals galt sie als Revolution. Heute setzen immer mehr Frauen sie wieder ab. © picture alliance / dpa Themendienst | Andrea Warnecke

Einst galt die Antibabypille als sexuelle Revolution, als Befreiung der Frauen. 1960 wurde sie erstmals auf dem US-amerikanischen Markt verkauft, ein Jahr später war sie auch in der Bundesrepublik Deutschland erhältlich. Damals wurde das Medikament, das den Eisprung mithilfe künstlicher Hormone unterdrückt, nur verheirateten Frauen mit mehreren Kindern verschrieben. Offiziell sollte es bei Menstruationsbeschwerden helfen. Die empfängnisverhütende Wirkung listeten die Hersteller in der Packungsbeilage nur als Nebenwirkung auf. Sie war jedoch weit bekannt und schenkte vielen Frauen eine neue Freiheit.

Papst nannte Pille einst „Todsünde im Ehebett“

Fortan waren Sexualität und Fortpflanzung für sie nicht mehr zwangsläufig miteinander verknüpft. Sie konnten später Mütter werden, es blieb mehr Zeit für Bildung und Beruf. Der Wunsch, eigenes Geld zu verdienen, wuchs. Die Pille brachte ihnen mehr Selbstbestimmtheit. Sie war ein entscheidender Schritt zur Emanzipation. Der Beginn einer neuen Ära. Die Kirchen hingegen verteufelten das Hormonpräparat, der Papst bezeichnete es gar als „Todsünde im Ehebett“.

Jahrzehntelang wurde die Pille bedenkenlos wie Hustensaft verschrieben. Sie entwickelte sich zur Allzweckwaffe. Sie verhinderte nicht nur ungewollte Schwangerschaften, sondern machte die Haut schöner und die Brüste größer. Doch mehr als 60 Jahre nach ihrer Erfindung sieht die Welt anders aus. Das Ansehen der Pille hat sich radikal verändert. Heute gelten Frauen als emanzipiert, wenn sie sich gegen eine hormonelle Verhütung entscheiden.

Immer mehr setzen die Pille ab. Sie klagen darüber, sich fremdbestimmt zu fühlen. Wie Roboter. Stattdessen wollen sie ihren natürlichen Zyklus zurück. Mit allen Emotionen und Empfindungen, die dazugehören. Öffentlich wird das Medikament plötzlich nicht mehr nur als sicheres und einfach zu nutzendes Verhütungsmittel gefeiert. Insbesondere in sozialen Medien formt sich eine Gegenbewegung: Dort thematisieren Frauen zahlreiche Nebenwirkungen. Sie klagen über Übelkeit, Kopfschmerzen, Gewichtszunahme, Depressionen und die fehlende Lust auf Sex.

„Künstliche Hormone werden kritischer gesehen als früher“

„Künstliche Hormone werden kritischer gesehen als früher. Viele junge Frauen möchten die Pille nicht mehr nehmen“, sagt auch Katharina Dinzen. Eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bestätigt diesen Trend. Demnach nahmen im Jahr 2023 38 Prozent der Befragten die Antibabypille, 2007 waren es noch 55 Prozent. Erstmals seit 2007 wird das Kondom mit 53 Prozent wieder zum Lieblingsverhütungsmittel der Deutschen und deutlich häufiger als die Pille eingesetzt.

Insbesondere jüngere Befragte sind laut Statistik künstlichen Hormonen gegenüber kritisch eingestellt. Der Rückgang der Nutzung der Pille ist bei 18- bis 29-Jährigen besonders ausgeprägt. 2011 verhüteten noch 72 Prozent von ihnen mit der Pille. Innerhalb von zwölf Jahren ist der Wert auf 46 Prozent gesunken.

Katharina Dinzen berät Frauen bei der natürlichen Verhütung

Während Katharina Dinzen zunehmend verzweifelt und mehr als ein Jahr lang auf ihre Periode wartete, begann sie, sich intensiv mit ihrem Körper zu beschäftigen. Auch das passt in eine Zeit, in der immer mehr Wert auf Achtsamkeit und einen bewussten Lebensstil gelegt wird. „Ich wollte verstehen, was im Zyklus passiert“, sagt sie. Die Hamburgerin war überrascht, wie wenig sie als Frau darüber wusste. Bei ihrer Recherche eignete sie sich so viel Wissen an, dass in ihr die Idee wuchs, es mit anderen zu teilen.

Ende 2020 eröffnete sie ihren Instagram-Account. Damals arbeitete sie noch Vollzeit in der Beratung bei Hapag-Lloyd. Inzwischen hat sie ihre Stundenanzahl reduziert und sich ein zweites Standbein aufgebaut: Sie bietet Frauen, die auf Hormone verzichten und sich selbst besser kennenlernen möchten, Einzelcoachings für 65 Euro und Onlinekurse mit acht Modulen für 299 Euro an. Kundinnen lernen bei ihr alles über NFP. Das ist die Abkürzung für „Natürliche Familienplanung“.

Hinter dem Begriff verbergen sich verschiedene Methoden, mit denen Frauen ihren Zyklus anhand von Körpermerkmalen beobachten und auswerten können, um fruchtbare und unfruchtbare Tage zu bestimmen. NFP kann sowohl genutzt werden, um gezielt schwanger zu werden – oder um auf natürliche Weise zu verhüten. Katharina Dinzen hat sich in diesem Fachgebiet mehrmals weiterbilden lassen. NFP wird immer populärer.

Frauen können etwa sechs Tage im Monat schwanger werden

Zum biologischen Hintergrund: Eine Frau kann nur an etwa sechs Tagen im Zyklus schwanger werden. Denn: Die Eizelle ist maximal 24 Stunden bereit, befruchtet zu werden. Und Spermien können maximal fünf Tage im Körper der Frau überleben. Diesen Zeitraum gilt es herauszufinden. Dinzen empfiehlt dafür die symptothermale NFP-Methode: Die Frau misst jeden Morgen noch vor dem Aufstehen ihre Basaltemperatur. Nach dem Eisprung steigt die Temperatur um circa 0,2 bis 0,5 Grad an und bleibt bis zur nächsten Menstruation erhöht. Die unfruchtbare Phase beginnt also nach dem gemessenen Temperaturanstieg.

Die Werte werden auf einem Zettel notiert, Kurven gezeichnet, Störfaktoren wie Alkohol, Stress oder Krankheit ausgeklammert. Manche Frauen nutzen Apps oder Zykluscomputer. Mindestens ein weiteres Körperzeichen sollte täglich untersucht werden. Entweder die Beschaffenheit des Zervixschleims oder des Muttermundes.

Die morgendliche Basaltemperatur wird in eine Zyklustabelle eingetragen. Anhand der Auswertung können Frauen deuten, wann sie fruchtbar oder unfruchtbar sind.
Die morgendliche Basaltemperatur wird in eine Zyklustabelle eingetragen. Anhand der Auswertung können Frauen deuten, wann sie fruchtbar oder unfruchtbar sind. © epd | Heike Lyding

Mit dem Eisprung kam die Euphorie zurück

„Man lernt sich dadurch selbst viel besser kennen“, sagt Katharina Dinzen. Nachdem sie nach dem Absetzen der Pille angefangen hatte, ihren Zyklus zu tracken, konnte sie genau auswerten, wann sie ihren Eisprung hatte. Eineinhalb Jahre hat das gedauert. Dann hatten sich ihre Hormone auf natürliche Weise wieder eingependelt. Die Pille war vergessen. Und: Mit dem ersten Eisprung kehrte auch ihre Euphorie zurück. „Ich habe mich wie ein Teenager mit 14 oder 15 gefühlt. Plötzlich habe ich meine Emotionen viel krasser gespürt“, sagt sie. Und auch ihre Libido kam zurück. „Ich hatte ein richtiges Verlangen – das habe ich jahrelang nicht gespürt.“

Manche Frauen nutzen auch Zyklus-Apps auf ihren Smartphones, um ihre fruchtbaren und unfruchtbaren Tage zu tracken.
Manche Frauen nutzen auch Zyklus-Apps auf ihren Smartphones, um ihre fruchtbaren und unfruchtbaren Tage zu tracken. © epd | Heike Lyding

Die NFP-Beraterin kennt ihren Körper inzwischen so gut, dass sie auf Anhieb schwanger geworden ist, als sie und ihr Freund den ersten Versuch gewagt haben. Sie konnte ihre fruchtbaren Tage genau bestimmen. Nun befindet sie sich im siebten Monat und lächelt breit, wenn sie über ihre Schwangerschaft spricht. „Wir waren selbst überrascht, wie schnell es funktioniert hat. Manchmal kann es länger dauern und das ist auch vollkommen in Ordnung“, sagt sie.

Immer wieder sei sie erstaunt, wie wenig Aufklärung in den Schulen offenbar stattfinde. „Mir hat mal ein Mädchen bei Instagram geschrieben, das mit ihren Freunden in den Freizeitpark wollte. Sie hatte gerade zum zweiten Mal ihre Periode und hat mich gefragt, ob sie damit überhaupt Achterbahn fahren könne.“ Dinzen belächelt die Frage nicht. Es bestätigt sie eher darin, dass Mädchen in der Pubertät kaum über ihren eigenen Zyklus aufgeklärt werden.

Zyklus lässt sich in Jahreszeiten einteilen

Dabei kann dieses Wissen so nützlich sein – in erster Linie für Frauen, aber auch für Männer. Anhand der unterschiedlichen Zyklusphasen lassen sich beispielsweise Stimmungsschwankungen erklären oder produktivere Phasen ableiten. Der Zyklus kann wie Jahreszeiten in Winter, Frühling, Sommer und Herbst eingeteilt werden. Katharina Dinzen erklärt: „Während der Periode, also im Winter, haben Frauen eher Lust, sich zurückzuziehen und allein zu sein.“

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Im Frühling hingegen, wenn die Eizelle im Körper heranwächst, steigt das Energielevel. Frauen möchten sich wieder mehr zeigen. Diese Zeit eignet sich besonders gut, um kreativ zu sein und Ideen zu entwickeln. Im Sommer, rund um den Eisprung, fühlen sich Frauen in der Regel am selbstbewusstesten. „Wenn man Verhandlungen führen muss, sollte man versuchen, sie in die Frühling- oder Sommerphasen zu legen“, empfiehlt die Expertin. In dieser Zeit ist auch das sexuelle Verlangen am größten und die Kreativität auf ihrem Höhepunkt.

Künstliche Hormone schalten Schwankungen aus

Nach dem Eisprung wird es dann wieder „stürmischer“, sagt Dinzen. „Im Herbst kommen mehr Themen hoch, vielleicht ist eine Frau weniger energiegeladen und schneller gereizt.“ Für sie sei dieses Wissen „super wertvoll“. Es nehme ihr selbst den Druck und liefere ihr Erklärungen, warum sie sich in bestimmten Phasen nicht so gut fühle. „Auch Männer können den Zyklus der Frau zum Beispiel bei der Teamführung berücksichtigen“, meint sie.

Bei Frauen, die mit der Pille oder anderen künstlichen Hormonen verhüten, ist das „Vierjahreszeiten-Modell“ nicht existent. „Wer die Pille nimmt, schaltet alles aus. Jeder Tag ist gleich, weil die Hormone nicht schwanken“, erklärt Dinzen.

Pille gehört zu sichersten Verhütungsmethoden

Die Auswertung des Zyklus erfordert Übung. Gerade bei unerfahrenen Frauen kann sie fehleranfällig sein. Deswegen wird oft infrage gestellt, wie sicher NFP-Methoden zur Verhütung wirklich sind. Der Pearl-Index, der die Sicherheit von Verhütungsmitteln angibt, liegt bei der symptothermalen Methode bei 0,4 bis 1,8. Das heißt: Zwischen vier und 18 Frauen von 1000, die ein Jahr lang korrekt verhütet haben, sind trotzdem schwanger geworden.

Zum Vergleich: Der Pearl-Index von Kondomen liegt weit höher bei 2 bis 12. Bis zu 120 Frauen werden also trotz Kondom ungewollt befruchtet. Der Antibabypille wird ein Wert von 0,1 bis 0,9 zugeschrieben.

Katharina Dinzen ist nicht gegen die Pille. Das ist ihr wichtig, am Ende des Gesprächs noch einmal zu betonen. „Ich finde es vollkommen legitim, wenn sich Frauen für eine hormonelle Verhütung entscheiden. Es ist eine sehr individuelle Entscheidung“, sagt sie. Trotzdem hat sie die Hoffnung, dass Frauenärzte die Pille Teenagern, wie sie es damals war, nicht mehr so leichtfertig verschreiben. „Zumindest sollten Ärzte junge Frauen darüber aufklären, dass es noch andere Wege gibt.“