Norderstedt. Julia Karsten-Plambeck steht als einzige Frau an der Spitze eines norddeutschen Regionalliga-Fußballvereins. Wie sie tickt.
- Julia Karsten-Plambeck bildet mit Horst Plambeck den Vorstand von Eintracht Norderstedt
- Die 42-Jährige wünscht sich mehr Platz für den Breitensport
- Mit der sportlichen Situation des Regionaligisten ist die Präsidentin unzufrieden
Zeitenwende beim 500 Mitglieder starken FC Eintracht Norderstedt: Nach der Demission von Reenald Koch, der den Verein 20 Jahre und sieben Monate lang geführt hatte, ist die bisherige Vizepräsidentin Julia Karsten-Plambeck auf den Chefposten nachgerückt. Bis zur nächsten ordentlichen oder außerordentlichen Mitgliederversammlung bildet die 42-Jährige zusammen mit ihrem Vater Horst Plambeck, der sich als Schatzmeister noch bis Dezember 2025 um die Finanzen des 2003 gegründeten Fußballclubs kümmert, den Vereinsvorstand.
Im Interview mit dem Hamburger Abendblatt verrät Karsten-Plambeck, die als junges Mädchen das Handballtor des 1. SC Norderstedt hütete, wie und wohin sie die Eintracht führen möchte.
Hamburger Abendblatt: Frau Karsten-Plambeck, wie gut ist Ihr Draht nach Braunschweig?
Julia Karsten-Plambeck: Ich habe leider noch gar keinen Draht nach Braunschweig.
Dort ist Nicole Kumpis mit 71 Prozent der Stimmen als Präsidentin von Eintracht Braunschweig wiedergewählt worden. Sie ist und bleibt damit die einzige Frau an der Spitze eines deutschen Profifußball-Clubs. Sie dagegen sind seit dem 5. Dezember 2023 die einzige Frau, die Chefin eines Vereins in der Regionalliga Nord ist. Ist der Erfahrungsaustausch noch geplant?
Um eines richtigzustellen: Da mein Vorgänger Reenald Koch von seinem Amt zurückgetreten ist, bin ich formal Interimspräsidentin von Eintracht Norderstedt – und zwar so lange, bis die nächste ordentliche oder außerordentliche Mitgliederversammlung stattfindet. Dort wird dann ein neuer Vizepräsident gewählt, um das Präsidium zu komplettieren. Doch zurück zur Frage: Es gab noch keinen Kontakt zwischen mir und Nicole Kumpis; ich weiß ja nicht, ob sie diesen auch mit mir möchte. Ein Anruf bei ihr hatte für mich erst einmal keine Priorität. Ich bin aber für alles offen und würde mich freuen, wenn wir zu einem passenden Zeitpunkt mal miteinander reden. Ich bin mir sicher, dass sie wie auch ich zurzeit viel Arbeit auf dem Tisch hat, aber irgendwann wird sich hoffentlich die Gelegenheit ergeben.
Wo holen Sie sich denn Rat und Unterstützung?
Ich habe überall Ansprechpartner und verfüge über ein sehr großes Netzwerk. Bei Eintracht Norderstedt, in den Unternehmen, in denen ich tätig bin, und auch privat. Ich habe immer noch engen Kontakt zu Reenald Koch. Wenn es Fragen gibt, rufe ich ihn an und frage ihn nach seiner Meinung – oder er ruft mich an und schildert mir die Dinge aus seiner Sichtweise. Ich spreche generell viel mit Menschen und mag den Meinungsaustausch. Speziell im Verein gibt es ganz, ganz viele tolle Personen, die mir jede Menge Input geben.
„Es als ein absolutes Privileg, an der Spitze von Eintracht Norderstedt zu stehen“
Wie fühlt es sich für Sie an, eine führende Rolle in der ansonsten ausschließlich von Männern dominierten Regionalliga-Welt zu spielen?
Ich bin total stolz, es ist ein absolutes Privileg, an der Spitze von Eintracht Norderstedt zu stehen. Ich habe mich sehr geehrt gefühlt, dass Reenald Koch mich gefragt hat, ob ich seinen Posten übernehmen möchte. Es fühlt sich sehr besonders, sehr schön an. Allerdings möchte ich nicht auf mein Geschlecht reduziert werden. Auch wenn ich ein Mann wäre, wäre es für mich großartig, zum Präsidium eines so tollen Vereins wie Eintracht Norderstedt zu gehören.
Die Fußballszene gilt ja als raues Geschäft. Gab es schon respektlose Kommentare in Ihre Richtung?
Bis jetzt noch nicht. Auf sachliche Kritik lasse ich mich gern ein, das belebt das Geschäft. Klar, im Zweifel habe ich die rosarote Eintracht-Brille auf. Aber ich bin dankbar, wenn man auf einer sachlichen Ebene konstruktiv über Themen und Probleme miteinander diskutieren kann. Sollte es dann irgendwann dumme Bemerkungen geben – sorry.
Was waren Ihre Stationen auf dem Weg an die Spitze des 2003 gegründeten Fußballclubs Eintracht Norderstedt?
Ich bin am 28. November 2016 als Vizepräsidentin ins Präsidium von Eintracht Norderstedt gekommen. Meine Absicht war damals übrigens nicht, irgendwann mal Präsidentin zu werden.
Welche Rolle hat dabei Ihr Vater Horst Plambeck gespielt?
Ich habe mich selbstverständlich mit ihm ausgetauscht und nach seiner Meinung gefragt. Aber selbst wenn er mich nicht gern an der Spitze der Eintracht gesehen hätte, wäre das für meine Entscheidung nicht ausschlaggebend gewesen. Mein Vater hat mich schon als Kind mit auf den Fußballplatz genommen; das war die einzige Möglichkeit, um ihn am Sonntag sehen zu können, also bin ich hinterher marschiert. Vermutlich ist das der Grund dafür, warum ich die für meine Familie typische Fußballleidenschaft entwickelt habe.
Das Herz von Julia Karsten-Plambeck schlägt für die Eintracht und den BVB
Auf Viertliga-Ebene sind Sie also familiär vorbelastet, dort schlägt Ihr Herz nur für die Eintracht. Drei Etagen höher ist der Ballspielverein 09 e. V. Borussia Dortmund ihr Lieblingsverein. Warum eigentlich?
Weil ich diesen Club liebe. Ich weiß noch genau, wie mich mein Vater zu einem Bundesligaspiel nach Dortmund mitgenommen hat. Wir saßen in der Nordkurve gegenüber der legendären Südtribüne. Als das BVB-Team aufs Feld lief, herrschte eine solche Gänsehautatmosphäre, dass ich fast geheult hätte. Das war Wahnsinn und hat mich so gepackt, dass ich seitdem ein großer Fan dieses Vereins bin. Mir gefällt die Mentalität in Dortmund: Als die Mannschaft am letzten Spieltag der Saison 2022/2023 kurz vor dem großen Ziel, der Deutsche Meisterschaft, gescheitert war, wurden die am Boden zerstörten Spieler selbst eine Stunde nach dem Abpfiff noch gefeiert – das gibt es so in keinem anderen Stadion.
Schnell zurück vom Signal Iduna Park an die Ochsenzoller Straße. Sie bilden zusammen mit Geschäftsführer Finn Spitzer und dem Sportlichen Leiter Denny Schiemann ein Triumvirat an der Vereinsspitze. Wie sieht die Aufgabenverteilung aus, was fällt in den Bereich der Präsidentin?
Finn Spitzer ist für das operative Geschäft zuständig, er kümmert sich um alle Themen, die täglich anfallen. Diese können strategisch, aber auch mal kleinteiliger sein Denny Schiemann ist zuständig für die sportlichen Belange. Ich treffe am Ende Entscheidungen, und zwar immer mit dem Ziel, den Verein weiterzuentwickeln. Zu unserem Führungsteam gehören außerdem noch unser Medienbeauftragter Marcus Sellhorn, Teammanager Olaf Bösselmann, Greenkeeper Oliver Schaper, Sponsoren-Koordinator Eddy Münch, Geschäftsstellenmitarbeiterin Corinna Kröger sowie alle Trainer von Eintracht Norderstedt. Wir pflegen ein gutes Miteinander.
Um das Breitensport-Angebot zu verbessern, braucht der Club mehr Platz
Wohin wollen Sie Eintracht Norderstedt führen, worin sehen Sie die künftigen Schwerpunkte Ihrer ehrenamtlichen Arbeit?
Zum einen möchte ich, dass wir größer werden. Das bedeutet, dass wir intensiver in den Breitensport hineingehen wollen – und dafür brauchen wir mehr Platz. Dafür sind Gespräche mit der Stadt, aber auch mit Investoren und Sponsoren, die uns auf diesem Weg unterstützen, erforderlich. Im Sommer 2023 hätten wir 100 Jugendliche mehr aufnehmen können, aber unsere Kapazitäten sind mit zwei großen und einem kleinen Kunstrasenplatz erschöpft. Das Edmund-Plambeck-Stadion steht für den Trainingsbetrieb ja nicht zur Verfügung. Es wäre schön, wenn wir auch Kindern, die nur einmal pro Woche zusammen mit Freunden kicken wollen, eine Heimat bieten könnten. Außerdem würde ich bei uns gern den Frauen- und Mädchenfußball etablieren. Aber auch das ist zurzeit leider nicht möglich.
Was wäre denn erforderlich, um den großen Bedarf besser managen zu können?
Vier zusätzliche Plätze wären traumhaft. Aber das ist natürlich illusorisch. Wenn wir einen weiteren Kunstrasenplatz umsetzen könnten, wäre das schon ein Riesenschritt nach vorn. Aber man darf nicht nur nehmen und gierig sein. Und wir sind ja auch nicht bei „Wünsch dir was“.
Wie sehen die Pläne für den Leistungsbereich aus?
Im Erwachsenen-Wettkampfbetrieb ist das Ziel, dass unser Unterbau, die U-19- und die U-23-Mannschaft, noch enger mit dem Regionalliga-Team zusammenwachsen, das Ganze noch durchlässiger wird. Das leben wir schon; und ich möchte diesen Zustand nicht nur erhalten, sondern weiter ausbauen, weil das unseren Verein für Talente aus der Region unglaublich attraktiv machen würde.
„Wir müssen ein solides Gerüst plus die jungen Wilden haben“
Das hört sich interessant an. Aber mal ganz ehrlich: Ist die Eintracht Norderstedt mit einem solchen Modell in der Regionalliga Nord künftig noch konkurrenzfähig?
Wir brauchen in unserem Kader natürlich einige gestandene Regionalliga-Spieler als Stützen, das ist de facto so. Klar ist aber auch: Wir haben nicht das Budget wie andere Viertliga-Clubs, die ihr gesamtes Geld nur ins erste Herrenteam pumpen, müssen demzufolge ein solides Gerüst plus die jungen Wilden haben. Es wird auf diesem Weg immer mal wieder holprig und ruckelig werden. Aber es gibt angesichts unserer Rahmenbedingungen keinen anderen Weg. Ich möchte, dass der Verein wächst, und zwar gesund wächst.
Stichwort Bündelung der Kräfte und Kapazitäten: Reenald Koch hatte die Vision von einem großen Fußballverein, dem FC Norderstedt, in dem sich alle Clubs der Stadt zusammenschließen. Was halten Sie von dieser Idee?
Ich finde diese Idee total super, wäre da gesprächsbereit. Ich würde mich freuen, wenn wir Vereinsvertreter uns mal zu einer Tasse Kaffee treffen und darüber reden würden, ob ein solches Konstrukt sinnvoll oder nicht wäre.
Sportlich läuft es derzeit nicht besonders gut, die Eintracht ist mit zwei Punktspielniederlagen gegen die SV Drochtersen/Assel und Holstein Kiel II schlecht ins Jahr 2024 gestartet. Der Vorsprung auf die Gefahrenzone beträgt im schlimmsten anzunehmenden Fall – der VfB Lübeck steigt aus der 3. Liga ab, der Meister der Regionalliga Nord steigt nicht auf – aktuell sechs Punkte, das ist nicht allzu komfortabel. Wie erklären Sie die sportliche Talfahrt?
Es gibt mehrere Gründe für den Abwärtstrend. Das Regionalliga-Aufgebot von Eintracht Norderstedt befindet sich im Umbruch. Wir haben uns in der ersten Oktoberwoche 2023 von Trainer Olufemi Smith getrennt, Reenald Koch hat sich zurückgezogen, es gibt mit Denny Schiemann einen neuen Sportlichen Leiter. Das ist eine ganze Menge Holz. Das Drochtersen-Match war eine Katastrophe, in Kiel hat die Mannschaft gewollt und trotz des enttäuschenden Ergebnisses gezeigt, dass sie intakt ist. Keine Frage: Wir müssen aufpassen, dass wir in der Tabelle nicht noch weiter nach unten abrutschen, uns das Glück auf dem Platz zurückerkämpfen. Keiner von uns will, dass das Abstiegsgespenst in Norderstedt umgeht. Deshalb ist unsere Heimpartie gegen den Bremer SV am kommenden Sonntag ein absolutes Schlüsselspiel; mit einem Sieg könnten wir uns etwas Luft verschaffen, das wäre sehr wichtig. Hoffnungsvoll stimmt mich, dass wir noch gegen alle anderen Mannschaften aus dem unteren Drittel spielen, wir haben also unser sportliches Schicksal selbst in der Hand. Ich denke, jetzt sollten alle die Ruhe bewahren. Uns war auch schon zu Saisonbeginn klar, dass der Klassenerhalt eine Mammutaufgabe wird. Es ist zehn vor zwölf, aber ich glaube an unser Team.
Die Bilanz von Cheftrainer Max Krause ist nicht überzeugend
Als Olufemi Smith vom Verein freigestellt wurde, hielt die Eintracht noch Kontakt zu den Topteams der 18er-Staffel. Seitdem ist die Mannschaft auf den zwölften Tabellenplatz abgerutscht. War es ein Fehler, Smith so frühzeitig durch den im Trainergeschäft noch sehr unerfahrenen Max Krause zu ersetzen? Dessen Bilanz ist mit zwei Siegen, einem Unentschieden und sechs Niederlagen nicht überzeugend.
Die Frage, ob der Trainerwechsel ein Fehler war, habe ich mir auch schon gestellt. Im vergangenen Oktober haben wir einstimmig die Entscheidung getroffen und diesen Schritt gemeinsam für richtig befunden. Doch manchmal laufen die Dinge im Leben anders, als man es sich erhofft. Wir haben uns damals ganz bewusst für Max Krause entschieden, weil er ein Supertyp ist und über sehr viel Fußball-Sachverstand verfügt. Das Spiel in Kiel hat gezeigt, dass er die Mannschaft noch erreicht. Er ist jung, er darf auch Fehler machen. Allerdings gilt immer die Prämisse: Wir dürfen auf keinen Fall absteigen, das darf nicht passieren.
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Ihr Vorgänger Reenald Koch war als Präsident 20 Jahre und siebeneinhalb Monate lang im Amt. Wie lange wollen Sie Eintracht-Chefin bleiben?
Da bin ich total offen. Ich habe jetzt erst einmal das Vertrauen bekommen und hoffe, dass ich auf der nächsten Mitgliederversammlung gewählt werde. Wenn man mir dann nach vier Jahren sagt ,Du bist raus, weil Du einen Scheißjob gemacht hast‘, dann ist das so. Ich bin nicht Eintracht Norderstedt. Es geht nicht um mich, es geht um den Verein. Ich würde den Job gerne lange machen, aber das habe ich nicht zu entscheiden. Und das ist auch gut so.