Norderstedt. Konsequenzen der Großdemonstration von Landwirten in Norderstedt und im Kreis: Zwei Bundestagsabgeordnete – zwei Meinungen.

Heimspiele hatte Bengt Bergt in dieser Woche, während der Bauernprotest das Gesprächsthema Nummer eins in Deutschland ist, nicht. Der SPD-Bundestagsabgeordnete aus Norderstedt war erst am Montag vor Ort am Kulturwerk, als sich viele Landwirte und andere Mittelständler mit ihren Traktoren, Lastern und Transportern versammelten, um zur Großdemonstration durch die Region aufzubrechen. Hier diskutierte Bergt intensiv, versuchte die Position der viel kritisierten „Ampel“-Bundesregierung zu erklären – aber auch den Bauern verständlich zu machen, dass er einige Standpunkte auch nachvollziehen könne.

Tags darauf traf sich der Politiker sowohl mit den Kreisbauernverbänden Segeberg und Stormarn als auch mit Christian Fölster, einem Landwirt aus Kisdorf. Und hatte nicht nur Gutes zu berichten. Denn das Bundeskabinett hat trotz der erheblichen Proteste daran festgehalten, die Streichung der Agrardiesel-Subvention zwar zu strecken, aber keinesfalls zurückzunehmen. „Den Vertretern der Landwirtschaftsverbände habe ich gesagt: Dass bei der Befreiung der Kfz-Steuer nicht gespart wird, ist ein Erfolg – das sind 480 Millionen Euro, die nicht von den Landwirten aufgebracht werden müssen“, so Bergt.

Politik zum Bauernprotest: Wie es jetzt weitergehen soll in Norderstedt, im Kreis und bundesweit

Offen sagte er: „Auch ich hätte mir die Rücknahme weiterer Belastungen vorstellen können. Der jetzige Vorschlag der Bundesregierung ist nicht perfekt, ist aber ein diskutabler Kompromiss, über den wir nun in Berlin weitersprechen werden. Am Ende entscheidet das Parlament. Allerdings mache ich mir keine Illusionen: Sparen ist nie populär. Und es bestehen Sparzwänge. Jeder muss seinen Beitrag leisten.“

Bengt Bergt besuchte in Kisdorf den Milchbauern Christian Fölster. Im Gespräch ging es um die geplanten Subventionskürzungen für die Landwirtschaft und die Zukunft der Branche.
Bengt Bergt besuchte in Kisdorf den Milchbauern Christian Fölster. Im Gespräch ging es um die geplanten Subventionskürzungen für die Landwirtschaft und die Zukunft der Branche. © Marc Dominique Krampitz | Marc Dominique Krampitz

Ihm sei bewusst, dass der Unmut über die Subventions-Kürzungen hinausgehe. „Die Kennzeichnung von Tierhaltung oder die Regulierung der Düngernutzung sind hier nur zwei Beispiele. Ich sehe es als meine Aufgabe, unsere Bauern bei diesem Wandel zu begleiten und ihre Anliegen mit nach Berlin zu nehmen. Für zu große Belastungen haben unsere Landwirtinnen und Landwirte berechtigterweise kein Verständnis.“ Wie schon am Montag wiederholte er seine Kritik an den Einzelhandelskonzernen und deren Preispolitik: „Auf längere Sicht müssen wir unsere lokale Produktion stärken – dazu gehört auch eine Verhandlungsposition gegenüber großen Lebensmittelkonzernen oder großen Schlachthöfen auf Augenhöhe.“

Melanie Bernstein von der CDU: „Große Mogelpackung und kein Entgegenkommen“

Eine ganz andere Meinung hat die zweite Bundestagsabgeordnete aus dem Kreis Segeberg, Melanie Bernstein (CDU). Auch sie hatte sich Montag mit Landwirten getroffen, war in Fahrenkrug, wo der größte der drei Konvois losgefahren war. „Diese Kürzungen bedeuten für die Betriebe in vielen Fällen eine harte Belastung von mehreren Tausend Euro. Insbesondere in Zeiten, in den die bürokratischen Hürden immer weiter zunehmen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen täglich schwieriger werden, dürfen die Pläne der Ampel-Regierung nicht umgesetzt werden“, sagte sie nun.

Sie nennt es eine „große Mogelpackung und kein Entgegenkommen“, dass zwar die Kfz-Steuerbefreiung bleibe, die Bundesregierung beim Agrardiesel hingegen weiterhin kürzen will. „Die Höfe haben auf lange Sicht keine Alternative zum Diesel auf dem Acker. Diese zusätzliche Belastung der Landwirtschaft betrifft deshalb alle Betriebe, in ganz besonderem Maße die vielen kleineren Familienbetriebe, denen das Wasser durch immer neue Auflagen, immer mehr Einschnitte und immer geringere Planungssicherheit ohnehin schon bis zum Hals steht.“

Sie warnt: „Wenn die Ampel weiter so fahrlässig handelt, dürfen wir uns nicht wundern, wenn immer mehr Bäuerinnen und Bauern ihre Höfe aufgeben und unsere Grundnahrungsmittel zunehmend aus dem Ausland importiert werden müssen. Dies ist weder eine gesunde Wirtschaftspolitik für Deutschland noch ist es vernünftig im Sinne des Klimaschutzes.“

Bauernprotest: Protokoll eines denkwürdigen Tages in Norderstedt und im Kreis Segeberg

Am Montag hatte es im Morgengrauen begonnen – und wurde ein Wochenstart, wie ihn die Region noch nicht erlebt hat. Rund 1000 Fahrzeuge sind es, die jeweils ab 9 Uhr an drei Startpunkten im Kreis Segeberg, in Norderstedt, Bad Bramstedt und Fahrenkrug bei Bad Segeberg, losrollen. Es formieren sich große Konvois mit Hunderten Treckern, Lkw und anderen Fahrzeugen. Der Bauernprotest ist gerichtet gegen die Politik der Bundesregierung und angekündigte Kürzungen bei Subventionen, aber auch generell gestiegene Kosten für Landwirtschaft und Mittelstand. „Die Traktoren fahren im Uhrzeigersinn zwischen Bad Bramstedt, Fahrenkrug und Norderstedt, auf den Bundesstraßen 206, 432 und 4“, sagt Polizeisprecherin Sandra Firsching schon am frühen Vormittag. Auf diesen Straßen solle man „mehr Zeit einplanen.“

Bauern blockieren zwischen 6 und 9 Uhr auch an der Autobahn 7 die Anschlussstellen Bad Bramstedt und Großenaspe. Um 7.45 Uhr kommt es deshalb an der Anschlussstelle Bad Bramstedt zu einem Unfall. Ein Autofahrer habe die Blockade umfahren wollen, indem er von der B 206 in die Ausfahrt der Autobahn fuhr, so Sandra Firsching. Dabei sei es zu einem Unfall mit einem anderen Auto gekommen. Eine Person sei leicht verletzt worden.

In Norderstedt überquert ein rund 350 Fahrzeuge langer Konvoi mittags die Kreuzung Ulzburger Straße/Rathausallee/Alter Kirchenweg. Es dauert knapp eine halbe Stunde, bis alle Trecker und Laster den Verkehrsknoten passiert haben.
In Norderstedt überquert ein rund 350 Fahrzeuge langer Konvoi mittags die Kreuzung Ulzburger Straße/Rathausallee/Alter Kirchenweg. Es dauert knapp eine halbe Stunde, bis alle Trecker und Laster den Verkehrsknoten passiert haben. © Christopher Mey | Christopher Mey

Bauernprotest: Ein denkwürdiger Tag in Norderstedt und im Kreis Segeberg

Wegen der Proteste kommen auch Schülerinnen und Schüler zu spät zum Unterricht. Im Schulbusverkehr gibt es „vereinzelt Verspätungen“ wegen der Bauern-Proteste, sagt eine Sprecherin der Autokraft GmbH, die im Kreis Segeberg für den Schulbusverkehr zuständig ist. Letztlich hätten aber alle Busse ihre Ziele erreichen können, komplette Ausfälle habe es nicht gegeben.

Auf dem Parkplatz vor dem Kulturwerk am Stadtpark Norderstedt sind die ersten Teilnehmer schon gegen 8 Uhr angekommen. Nach und nach reihen sich Traktoren, Laster und Transporter auf. An vielen sind Schilder und Banner mit prägnanten Botschaften befestigt. „Wozu Arbeit, Blut und Schweiß, wenn die Politik uns in den Abgrund reißt?“, heißt es dort.

„Bauer sucht Zukunft“ steht auf einem Plakat

Oder: „Bauer sucht Zukunft“, angelehnt an die Fernsehserie „Bauer sucht Frau“. Ein anderer hat eine Stoffkuh aufgehängt, „Wer erklärt das unseren Kindern?“, fragt das Schild eines Rinderzucht-Unternehmens.

Organisator Wulf Mette, ein Milchbauer aus Ellerau, bei der Besprechung vor dem Start der Demonstration.
Organisator Wulf Mette, ein Milchbauer aus Ellerau, bei der Besprechung vor dem Start der Demonstration. © Christopher Mey | Christopher Mey

Wulf Mette, Landwirt aus Ellerau, er hat dort einen Milchbetrieb und ist einer der Organisatoren im Kreis, bespricht derweil die motorisierte Demonstration mit der Polizei. Bestimmte Botschaften, etwa solche, die Gewalt androhen, waren untersagt worden, auch das Anhalten zwischendurch nicht gestattet. Die Beamten fahren mit einen Einsatzwagen vorneweg, über den Langenharmer Weg schwenkt der Konvoi in nördlicher Richtung auf die Ulzburger Straße ein, dann geht es weiter nach Henstedt-Ulzburg, wo sich Dutzende weitere Fahrzeuge anschließen.

Klare Worte: Diese Landwirte und Handwerker sind morgens am Kulturwerk in Norderstedt zusammengekommen.
Klare Worte: Diese Landwirte und Handwerker sind morgens am Kulturwerk in Norderstedt zusammengekommen. © Christopher Mey | Christopher Mey

Handwerker aus Quickborn: „Wir arbeiten ja nicht alle zum Spaß“

Mit dabei ist auch René Wolters, Inhaber eines Heizungs- und Sanitärbetriebs aus Quickborn. Er ist solidarisch mit den Bauern. „Es sind die Steuererhöhungen, die Steuerbelastungen, das Bürgergeld, das Heizungsgesetz, so viele Faktoren, die überdacht werden sollten. Die Politiker sitzen da oben mit ihrem Weihnachtsgeld, der kleine Bürger kann sich gar nichts mehr leisten. Man möchte doch auch etwas überhaben, wir arbeiten ja nicht alle zum Spaß.“

Neben ihm steht Christian Rose, Landwirt aus Ellerau, auch er hat Milchkühe. „Wir machen und tun. Und für unsere Milch bekommen wir 40 Cent. Das passt vorne und hinten nicht, deswegen gehen wir heute auf die Straße. Das hat nicht nur mit dem Diesel zu tun. Wir sind sowas von unzufrieden, bekommen kein Gehör.“

Landwirtin Kathrin Rehders: Subventionen sorgen in Deutschland für günstige Lebensmittel

Kathrin Rehders, Betreiberin des traditionsreichen, gleichnamigen Hofes in Glashütte, spricht über die Lebensmittelpreise. „Wir sind zum einen jetzt auf der Straße wegen der Diesel-Rückvergütung und der Kfz-Steuerbefreiung.“ Aber das habe nur das Fass zum Überlaufen gebracht. „Damit in Deutschland günstige Lebensmittel gekauft werden können, bekommt die Landwirtschaft Subventionen. Wenn wir auf dem freien Markt bestehen müssten, wären die Lebensmittelpreise ganz andere. Das ist in Deutschland nicht gewollt. Das kann man so oder so sehen. Natürlich wäre es schon, davon so leben zu können, dass man den richtigen Preis bekommt.“ Der Liter Milch würde beim Direktvermarkter bis zu „1,60 oder 1,80 Euro“ kosten, sagt sie. „Dann wären keine Subventionen mehr nötig.“

Kathrin Rehders, Landwirtin aus Norderstedt, sagt: Würde ein Liter Milch 1,80 Euro kosten, wären keine Subventionen nötig.
Kathrin Rehders, Landwirtin aus Norderstedt, sagt: Würde ein Liter Milch 1,80 Euro kosten, wären keine Subventionen nötig. © Christopher Mey | Christopher Mey

Jens-Walter Bohnenkamp ist Schweinezüchter in Norderstedt. Und damit fast schon eine Rarität. Viele Betriebe in Norderstedt hätten „von einer Orientierung auf Lebensmittelproduktion umgestellt auf Pferde“, berichtet der frühere Vorsitzende des Kreisbauernverbandes. Er müsse bis Ende Februar einen Umbauplan für seine Zuchtsauenanlage vorlegen. „Dann muss ich spätestens 2026 angefangen haben und 2029 fertig sein. Die Umbaukosten machen 200.000 Euro aus.“

Er sagt, man müsse differenzieren. „Die Ackerbauern haben 2022 und 2023 gutes Geld verdient. Aber nur, weil wir den Krieg in der Ukraine haben und die Spekulanten dafür gesorgt haben, dass sich der Weizenpreis in einem halben Jahr verdoppelt hat.“ Zum System der Subventionen hat er eine klare Meinung. „Wenn die Politik verkündet, dass wir Landwirte eine Subvention bekommen, drückt im Einzelhandel der Chefeinkäufer auf eine Rechnertaste und zehn Minuten später bekommen die Verkäufer der Molkereien und Fleischereien Bescheid, um wie viel der Einkaufspreis sinkt. Diese Subventionen bleiben nicht bei uns auf dem Konto.“

Die Kuh baumelt am Haken: Viele verwenden deutliche Symbolik.
Die Kuh baumelt am Haken: Viele verwenden deutliche Symbolik. © Christopher Mey | Christopher Mey

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Bauernprotest: Die Landwirte fahren mit ihren Traktoren über die Segeberger Chaussee in Norderstedt.
Bauernprotest: Die Landwirte fahren mit ihren Traktoren über die Segeberger Chaussee in Norderstedt. © Axel Behrmann | Axel Behrmann

Norderstedt: Traktoren versperren Einfahrten auf Segeberger Chaussee

Der mit rund 350 Fahrzeugen größte Konvoi ist jener, der in Fahrenkrug auf dem Gelände eines Landhandels abfährt. Dieser trifft mittags in Norderstedt ein, rollt mit rund 15 km/h über die Segeberger Chaussee, den Ochsenzoll-Kreisel und biegt dann auf die Ulzburger Straße ein. Der Anblick sorgt auch sofort für Diskussionen. „Genau richtig“, ruft ein Mann den Landwirten zu. Und startet sogleich ein Gespräch mit einer weiteren Frau darüber, wie viel ein Bauer denn heutzutage für 100 Kilogramm Kartoffeln noch erhält.

Bis alle Trecker, Lkw und weitere Autos, die sich angeschlossen haben, weiter nördlich die Kreuzung Ulzburger Straße/Rathausallee passieren, dauert es fast 30 Minuten. Viele Fußgänger filmen den Protest. Dieser hält übrigens auch an der roten Ampel, sodass etwa Mütter mit Kindern die Fahrbahn sicher überqueren konnten. Eine vollständige Blockade der Straßen für einen ganzen Tag, wie es befürchtet worden war, bleibt somit aus. Ebenso scheint in der Region die Sorge unbegründet gewesen zu sein, wonach die Demos von Rechtsextremen instrumentalisiert werden könnten, denn entsprechende Plakate sind nicht zu sehen.