Norderstedt. Stadt Norderstedt versendet gedruckte Version nicht mehr an die Haushalte. Sie will das Klima schonen. Werden Ältere ausgegrenzt?

Wann wird der Restmüll abgeholt, wann der Biomüll und wann der Weihnachtsbaum? Wie werde ich Sperrmüll los und wohin mit Gartenabfällen? Diese und viele weitere Fragen beantwortet der Norderstedter Abfallkalender. Jahrelang fanden die Norderstedter die Infobroschüre in ihren Briefkästen. Doch nun hat die Stadt mit der Tradition gebrochen: Die Informationen rund um den Abfall gibt es von 2024 an nur noch digital.

„Die digitale Variante kommt nachhaltiger daher, als die rund 40.000 Kalender in Papierform, die bis dato jährlich per Post zugestellt wurden“, hatte die Stadt mitgeteilt. Durch den Wegfall der gedruckten Version werde jährlich eine halbe Tonne Papier eingespart. Das verringere den CO₂-Ausstoß bei der Produktion um 500 Kilogramm. Zudem werde die Abfall-App immer beliebter, die kostenlos aufs Handy geladen werden könne.

Verzicht auf gedruckten Abfallkalender führt zu hitzigen Diskussionen

Obwohl die Stadt als Argument für den Verzicht auf die gedruckten Abfall-Infos den Klimaschutz anführt, hat die Ankündigung zu hitzigen Diskussionen geführt. Bei Facebook etwa hat die Neuigkeit einen heftigen Disput mit mehr als hundert Kommentaren losgetreten. Dabei regten sich vor allem Nutzer darüber auf, wie nicht-internetaffine Senioren nun erfahren sollen, wann bei ihnen in der Straße der Abfall entsorgt wird.

„Wahnsinn... An die ganzen alten Menschen wird bei der Digitalisierung überhaupt nicht mehr gedacht...
Die fallen komplett hinten runter...“, empört sich eine Frau. Eine andere Facebook-Userin ist nicht ihrer Meinung: „Also mein 83-jähriger Vater hat Internet, macht Online-Banking, kauft bei Ebay und ist weit davon entfernt, ,hinten runter‘ zu fallen. Ich kenne eigentlich nur Senioren, die durchaus auch digital unterwegs sind.“

Ältere ohne Internet und ärmere Menschen werden abgehängt

Ein weiterer Nutzer versteht den ganzen Wirbel um den Abfallkalender nicht. „Mein Gott, die alten Leute haben doch auch alle Handys“, schreibt er, „hier wird ja gerade so getan, als würden die jetzt alle nächstes Jahr im Müll versinken.“

Doch das Thema bewegt die Menschen offenbar. Auch das Abendblatt hat mehrere Leserbriefe dazu erhalten. „Abgehängt werden dadurch ältere Personen ohne Internet sowie ärmere ohne Drucker, denn laut Betriebsamt soll man Verwandte, Freunde und Nachbarn bitten, den Kalender auszudrucken. Eine Dreistigkeit, nur um die CO₂-Bilanz der Stadt zu schönen. Kein Angebot der Stadt, dass man sich den Kalender im Rathaus ausdrucken lassen kann“, schreibt Ute Oettel.

Wo bleibt der Service der Stadt für die Norderstedter und Norderstedterinnen?

Und Angela Mittag kommentiert den Verzicht auf die gedruckte Version des Abfallkalenders so: „Für Norderstedter, die offline sind und den Kalender in Papierform brauchen, ist dies ein weiterer Schritt in die Abhängigkeit von freundlichen Nachbarn oder sorgenden Familienangehörigen, sofern dort überhaupt ein Drucker zur Verfügung steht! Das Betriebsamt muss keine 40.000 Exemplare drucken, aber als Servicebetrieb muss für Kunden die Möglichkeit bieten, vor Ort einen Kalender zu bekommen. Ein Anruf dort heute Morgen hat mich aber eines Besseren belehrt, das Betriebsamt sei dafür nicht mehr zuständig. Servicewüste Deutschland.“

Wie digital sind denn nun Norderstedts Senioren? Karsten Bensel vom Seniorenbeirat organisiert regelmäßig kostenlose Smartphone-Sprechstunden in der Stadtbücherei Norderstedt-Mitte und der Stadtteilbücherei Friedrichsgabe. Hier haben ältere Menschen, die in einer analogen Welt aufgewachsen sind, die Möglichkeit, sich von Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums Harksheide helfen zu lassen.

Nicht alle Senioren kommen mit der modernen Technik klar

Senioren können ihr Smartphone oder Tablet mitbringen und den jungen Menschen in einem etwa 20-minütigen Gespräch Fragen stellen. „Im Durchschnitt kommen fünf Menschen, mal mehr, mal weniger“, sagt Bensel. Der 77-Jährige ist selbst „total vernetzt“, wie er sagt. „Wir lesen alles digital. Wir haben auch den Abfallkalender als App auf dem Handy“, so Bensel.

Doch durch die Smartphone-Sprechstunde weiß er, dass nicht alle Senioren mit der modernen Technik so gut klarkommen. Das kann auch seine Frau Anneke Bensel bestätigen. Sie begleitet Theaterbusse, die zumeist ältere Menschen zu Kulturveranstaltungen von Norderstedt nach Hamburg bringen. Dort verteilt sie Visitenkarten mit ihrer Handynummer. Falls jemand verloren geht, ist Bensel telefonisch erreichbar.

Stadt will Rückmeldungen der Bürger sammeln und auswerten

Das Problem: „Zwei Drittel haben ihr Handy gar nicht dabei, sondern lassen es zu Hause“, berichtet die 77-Jährige. „Es ist immer dasselbe.“ Aus dieser Erfahrung heraus findet das Ehepaar Bensel die Kritik an der Einsparung des gedruckten Abfallkalenders berechtigt. „Im Grunde muss die Stadt allen älteren Menschen einen gedruckten Plan zur Verfügung stellen.“

Trotz der Proteste bleibt die Stadt dabei: „Wir haben uns vor allem mit Blick auf Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit für das jetzige Verfahren entschieden. Der Abfallkalender 2024 wird nicht in gedruckter Form an die Norderstedter Haushalte versendet“, sagt Rathaussprecher Bernd-Olaf Struppek auf Nachfrage. Mit Blick auf die kommenden Jahre werde die Stadt die Rückmeldungen der Bürgerinnen und Bürger sammeln und auswerten

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.Nun springt Haus & Grund für die Stadt in die Bresche: „Unsere Mitglieder können sich den gedruckten Abfallkalender in unserer Geschäftsstelle in der Ochsenzoller Straße 115 abholen“, sagt Sven Wojtkowiak, Vorsitzender von Haus & Grund in Norderstedt. Auch Nichtmitglieder könnten den Service nutzen, müssen dafür aber drei Euro zahlen.