Norderstedt. Tablet statt Schiefertafel: Wie Physik und Geschichte am Coppernicus Gymnasium Norderstedt zum multimedialen Erlebnis wird.

Medine (15) ist schon ziemlich weit. Der Strom fließt. Die Magnetnadel zittert. Anfassen kann man die Nadel nicht, sie wackelt nur virtuell auf dem Bildschirm. Die 15-Jährige und ihre Mitschüler vollziehen auf ihren Tablets einen Versuch nach, den Physiklehrer Thomas Münch gerade in echt vorgeführt hat. Minus- und Pluspol samt Magnetnadel und Leitung dazwischen stehen zum Anfassen auf dem Pult – gelernt wird aber digital am Coppernicus-Gymnasium.

„Der Unterricht mit dem Tablet bringt Spaß“, sagt Amelie (15) vom Coppernicus-Gymnasium, die das reale Strom-Experiment am Bildschirm nachstellt.
„Der Unterricht mit dem Tablet bringt Spaß“, sagt Amelie (15) vom Coppernicus-Gymnasium, die das reale Strom-Experiment am Bildschirm nachstellt. © Michael Schick | Michael Schick

Die Mädchen und Jungen aus der 9b suchen am Bildschirm die Bestandteile des Versuchs zusammen, lassen den virtuellen Strom fließen. Der wird mit ganz unterschiedlichen Animationen dargestellt, mal als blaue Punkte, mal als Schmetterlinge, wie es beliebt. „Für diese Klasse war das heute die Premiere, die erste Aufgabe am Tablet“, sagt Lehrer Münch.

Verlinken und Videos einbetten – digitale Bildung macht Lernen spannender

Da ist die Q 1 schon souveräner. Für die Jugendlichen aus der 11. Klasse ist das Tablet längst selbstverständlicher Stoffvermittler. So wie jetzt in Geschichte. Da geht es um Menschenrechte. Lehrer Christian Lehmann hatte den Schülern und Schülerinnen freigestellt, ob sie eine Klausur schreiben wollen oder die Tabletts für eine sogenannte Klausurersatzleistung nutzen wollen. „Mit deutlicher Mehrheit hat sich die Klasse für die Tablets entschieden“, sagt Lehmann.

In Gruppenarbeit haben die Schüler und Schülerinnen E-Books erarbeitet, „Menschenrechte – eine Erfindung der Antike“ heißt das Erste, das sich die anderen jetzt ansehen und bewerten. Und hier zeigt digitale Bildung, was sie kann: vielfältig und interaktiv lehren. Keine seitenlangen Textblöcke, sondern aufgelockert mit eingebetteten Erklärvideos, Verlinkungen zu verwandten Themen und Quellen.

Die Oberstufe arbeitet komplett mit Tablets, die die Stadt zur Verfügung stellt.

Lehrer Lehmann ist digitalaffin, ist schon früh ins Lernen mit Medien eingestiegen, war unter denen, die Kollegen geschult haben. „Meine Tafel sind Leinwand und Beamer“, sagt er – eine Ausstattung, die inzwischen in die weitaus meisten Norderstedter Klassenzimmer eingezogen, günstiger und weniger anfällig ist als die elektronischen Whiteboards.

„Bei uns hat ab Klasse 7 so gut wie jeder Schüler und jede Schülerin ein Tablet“, sagt Heike Schlesselmann, Leiterin des Coppernicus-Gymnasiums. In der Mittelstufe seien die Geräte zum letzten Mal von den Eltern finanziert worden. Die Oberstufe arbeite komplett mit Tablets, die die Stadt zur Verfügung stellt.

Digitales Lernen: „Norderstedt gehört bundesweit zu den führenden Kommunen“

Unterricht im Computerraum des Coppernicus-Gymnasiums: Die Klasse 9b beteiligt sich am internationalen Wettbewerb „Informatik Biber“.
Unterricht im Computerraum des Coppernicus-Gymnasiums: Die Klasse 9b beteiligt sich am internationalen Wettbewerb „Informatik Biber“. © Michael Schick | Michael Schick

Die Stadtverwaltung sieht sich ganz vorn, wenn es um die digitale Bildung geht: „Da gehört Norderstedt bundesweit zu den führenden Städten und Gemeinden“, sagt Verwaltungssprecher Bernd-Olaf Struppek. Die Verwaltung habe in enger Absprache mit den Schulen alle 490 pädagogisch genutzten Räume mit Beamern, elektrischen Leinwänden, Whiteboards und Aktiv-Lautsprechern ausgestattet, heißt es in der Zwischenbilanz zum Stand der Digitalisierung.

„Zusätzlich haben wir sogenannte schulgebundene mobile Endgeräte für den flexiblen Unterrichtseinsatz für Schülerinnen und Schüler angeschafft“, sagt Struppek. Es stünden 4800 Endgeräte für die Schülerinnen und Schüler in den 21 Norderstedter Schulen zur Verfügung. Damit kann rein rechnerisch mehr als jeder Zweite digital lernen.

Pädagoge sieht Künstliche Intelligenz als „schlauen Helfer“

„Mit den Tablets lässt sich der Unterricht deutlich spannender gestalten, und die Schüler und Schülerinnen lernen, wichtige Tools eigenständig zu nutzen“, sagt der Geschichtslehrer Chrsitian Lehmann. Und was ist mit der Künstlichen Intelligenz (KI)? Wird auch digital geschummelt? „Wir müssen die Aufgaben eben so stellen, dass sie eine Eigenleistung der Schüler und Schülerinnen erfordern“, sagt Lehmann. Er sieht die KI als „schlaue Helfer“ beim Lernen.

Und die KI hat dem Copp einen unerwarteten Erfolg beschert: Beim Bundeswettbewerb Künstliche Intelligenz wurde das Norderstedter Gymnasium als „KI-Schule des Jahres“ ausgezeichnet. Beworben hatte sich das Informatik-Profil, das es, so Schulleiterin Schlesselmann, nur an zehn Schulen in Schleswig-Holstein gibt.

Schüler des Informatik-Profils gewinnen beim Bundeswettbewerb Künstliche Intelligenz

Ein Kirchenbau aus dem 3-D-Drucker und ein ferngesteuertes Elektroauto – damit haben Vahe (links) und Simon (beide 17) und ihre Mitschüler aus dem Informatik-Profil vom Coppernicus-Gymnasium beim Bundeswettbewerb Künstliche Intelligenz gewonnen.
Ein Kirchenbau aus dem 3-D-Drucker und ein ferngesteuertes Elektroauto – damit haben Vahe (links) und Simon (beide 17) und ihre Mitschüler aus dem Informatik-Profil vom Coppernicus-Gymnasium beim Bundeswettbewerb Künstliche Intelligenz gewonnen. © Michael Schick | Michael Schick

16 Schüler werden im nächsten Frühjahr mit die ersten im Norden sein, die in Informatik Abitur machen. „Die Frauenquote ist gleich null, aber im Folgekursus sind Mädchen dabei“, sagen Vahe, Arved und Simon, die wie ihre Mitschüler für den Bundeswettbewerb getüftelt haben. „Man muss schon eine gewisse Affinität zum Fach haben, sonst wählt man es nicht“, sagt Arved (16).

„Was wir da lernen, ist auf die Zukunft ausgerichtet und verspricht gut bezahlte Jobs“, ergänzen Vahe und Simon (beide 17). Und so haben sie sich daran gemacht, in Programmiersprachen wie Javascript und Python einzutauschen und gelernt, wie Datenbanken und Netzwerkstrukturen funktionieren. Für den Wettbewerb sind sie Schritt für Schritt tiefer in die KI eingestiegen, haben sich mit der Geschichte beschäftigt und zunehmend komplexere Aufgaben gelöst. Sie haben ein ferngesteuertes Elektroauto konstruiert und programmiert oder den Code geschrieben, damit der 3-D-Drucker einen stattlichen Kirchenbau ausspuckt – und überhaupt nicht damit gerechnet, damit aufs Siegertreppchen zu kommen.

„Man muss nicht jede Menge Hefte und Bücher mit sich schleppen“

Schließlich waren die künftigen Informatiker unter den besten Fünf in Deutschland. Das Finale haben sie in am Bildschirm in der Schule verfolgt, mit Pizza und passenden Getränken und Riesenjubel, als der Sieg feststand. Lohn der vielen Stunden, die die Schüler neben dem Unterricht in ihrer Projekte gesteckt haben, sind fünf Bausätze für „bionische Tiere“ – Hard- und Software für die Funktion eines Elefantenrüssels, das Greifen eines Chamäleons und das Schwimmen eines Fisches.

Die Programmier-Spezialisten des Copp sind von der digitalen Bildung natürlich begeistert, aber auch die anderen Schüler finden das Lernen via Tablet gut: „Man muss nicht jede Menge Hefte und Bücher mit sich schleppen“, sagt Johanna (16), dafür aber ein geladenes Tablet. „Der Unterricht ist einfach spannender und abwechslungsreicher“, sagen Noel (16) und Leonie (17).

Neue Medien: „Weg vom Konsumieren, hin zum Produzieren“

Allerdings wird am Copp nicht in allen Fächern und zu jeder Zeit Stoff elektronisch vermittelt wird. Die Schiefertafel und kopierte Texte kommen auch noch zum Einsatz. „Die Digitalisierung sorgt dafür, dass Kinder und Jugendliche die neuen Medien anders kennenlernen als im Privatgebrauch“, sagt Physiklehrer Thomas Münch, der am Copp auch zuständig ist für den Bereich „Schule und Unterrichtsentwicklung, Schwerpunkt Digitales“. Der Leitspruch laute: „Weg vom Konsumieren, hin zum Produzieren.“

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In Klasse 7 werden die Schüler und Schülerinnen auf die Arbeit mit den Tablets vorbereitet. „Da machen sie den PC-Führerschein und erfahren beispielsweise auch, wie Computer und Handys missbraucht werden können“, sagt die Schulleiterin.

Kinder werden zu früh mit problematischen Fotos und Inhalten konfrontiert

Gerade erst hatte die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, darauf hingewiesen, dass Kinder viel zu früh über das Internet, aber auch durch ältere Geschwister, mit Inhalten, Fotos, Videos oder auch Chats konfrontiert, mit denen sie nicht umgehen können. Dauerhafte Grenzverletzungen seien mittlerweile Normalität für die meisten Heranwachsenden. Das mache es für sie schwer, einen guten Kompass für Risiken zu entwickeln.

Ist denn das digitale Lernen nun das Allheilmittel für erfolgreichen Unterricht? „Nein“, sagt Lehrer Münch. Es bestehe die Gefahr, dass sie irgendwann übersättigt sind, wenn sie den ganzen Vormittag vor dem Tablet sitzen und am Bildschirm arbeiten. Er plädiert für Methodenvielfalt, wo „klassischer Unterricht“ durchaus seinen Platz habe.