Kreis Segeberg. Tier-Drama am Jahresende: Böller und Raketen machen Vierbeinern Angst. Die Tricks der Tiertrainer bei den Karl-May-Spielen.
- Sozialisierung, Selbstbewusstsein und Temperament des Hundes spielen eine Rolle
- Knall-Training: Vor Silvester das Tier behutsam an Knallgeräusche gewöhnen
- Kauknochen und Leckerlis sorgen für Glückshormone und Beruhigung
- Hunde-Profi greift zur umstrittenen Wunderwaffe Eierlikör
Für Hunde birgt der Jahreswechsel ein Schreckensszenario: Kaum explodieren die ersten Böller, schrecken die Tiere ängstlich zusammen. An die Gassirunde ist nicht mehr zu denken, er sträubt sich, auch nur eine Pfote vor die Tür zu setzen. Knallt, pfeift und zischt es unterwegs, setzt der Fluchtreflex ein. Sie zerren an der Leine, wollen mit vollem Tempo nach Hause, wo es Schutz und Sicherheit gibt. Das Problem: Der Hund kann die Lärmquelle nicht zuordnen, das Gehirn kann den plötzlichen Reiz nicht einordnen.
Gibt es einen Ausweg aus dem alljährlichen Silvester-Drama? Und wenn ja, wie können Herrchen und Frauchen ihrem Hund helfen, die „Knallangst“ zu überwinden? Das Abendblatt hat bei Experten für das Verhalten von Hunden nachgehakt. Und bei den Profis von den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg. Denn dort hat man Jahrzehnte an Erfahrung im Umgang mit Tieren, die an Explosionen und Schüsse gewöhnt werden müssen.
Lärmempfindlichkeit kann sich schon bei Hunden aus einem Wurf stark unterscheiden
„Zunächst beobachten wir, dass nicht alle Hunde gleichermaßen erschrocken und ängstlich auf Böller und Raketen reagieren“, sagt die Hundetrainerin und zertifizierte Verhaltensberaterin Susanne David vom Hundeschulzentrum Kirmizi in Borstel-Hohenraden. Wie sensibel Hunde auf Geräusche reagieren, hänge stark davon ab, wo und wie sie aufgewachsen sind.
Kennen die Tiere eine Umgebung, in der es auch mal lauter zugeht, hätten sie weniger Probleme. „Wie bei uns sind Selbstbewusstsein und Temperament unterschiedlich ausgeprägt. Das kann sich schon bei Tieren aus einem Wurf stark unterscheiden“, sagt Susanne David, die auch als Sachverständige des Landes Hamburg zur Abnahme der Gehorsamsprüfung und der Leinenbefreiung gearbeitet hat.
Wachsen Hunde beispielsweise in Weinbau- oder Baumschulgebieten auf, wo Vögel durch Knallschreckgeräte abgehalten werden, gehören die Geräusche für sie zum Alltag dazu, sie werden normal und selbstverständlich. „Sind Tiere so sozialisiert, machen ihnen in der Regel auch Silvester-Knaller wenig aus“, sagt Susanne David.
Sehr sensible Hunde können auf die Knallerei mit Erbrechen reagieren
Bei sehr sensiblen Hunden kann der Stress zum Jahreswechsel bis zu körperlichen Reaktionen führen: „Erbrechen, Übelkeit oder Durchfall können die Folge sein“, sagt Sina Hanke, Vorsitzende des Rellinger Tierschutzvereins Animal Care, zu einem Problem, das sich längst nicht mehr auf den Jahreswechsel beschränkt. Auch Wochen davor und Tage danach fliegen Böller und Raketen durch die Luft, leiden die Tiere.
Um die Sensibilität gering zu halten und die Widerstandskraft gegen ungewohnte Geräusche zu stärken, sollten Hundebesitzer schon im Welpenalter mit dem Training anfangen. „In der Prägungsphase sollten die Hunde mit möglichst vielfältigen Reizen konfrontiert werden“, sagt Hundetrainerin David. So könnten durchaus mal ein kleines Feuerwerk abgebrannt oder Wunderkerzen angezündet werden
Abgelegene Hundepensionen oder böllerfreie Naturschutzgebiete
Es gebe auch Geräusch-CDs, die zu Hause leise im Hintergrund abgespielt werden können, während Herrchen und Frauchen sich mit dem Hund beschäftigen oder das Tier auf dem Sofa entspannt. „Entscheidend ist, behutsam und in kleinen Schritten vorzugehen, der Hund muss sich immer sicher und vertraut mit Besitzer oder Besitzerin fühlen“, sagt Susanne David. Wichtig ist, und darin sind sich alle Experten einig: Das Knall-Training braucht Zeit und Vorlauf. Wer erst ein paar Tage vor Silvester damit beginnt, wird kaum Erfolg haben.
Da Silvester wie Weihnachten und Ostern dann ja doch immer ganz plötzlich kommen, hier noch ein paar Last-Minute-Tipps: Optimal ist, die Flucht zu ergreifen und mit dem Hund dorthin zu reisen, wo nicht geböllert wird. Da finden sich im Internet Ziele, Adressen und Hinweise. Beliebt ist zum Beispiel das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide. Manche Hotels dort sind über Silvester von Hundebesitzern über Jahre ausgebucht.
Oder die Besitzer geben ihr Tier für einige Tage in eine Hundepension. „Bei uns wird natürlich nicht geknallt, und die nächsten Orte, wo Böller und Raketen fliegen, sind so weit entfernt, dass wir und unsere vierbeinigen Gäste davon kaum etwas hören“, sagt Bettina Bannes-Grewe, Hundetrainerin und Inhaberin der Hundeschule und Hundepension „Hundeleben“ in Bad Bramstedt. Regelmäßig brächten Hundehalter ihre Tiere über den Jahreswechsel in die Hundepension.
Den Hund tagsüber mit langen Spaziergängen oder Futterspielen auslasten
Den Hund tagsüber „auspowern“, lange Spaziergänge in der Natur abseits von Knallerei und Rauchgeruch ermüden das Tier genauso wie Futtersuchspiele oder Apportieraufgaben. „Man sollte nicht erst Silvester mit dem Hund in die Natur gehen, sondern schon vorher, denn die Knallerei fängt ja nicht erst Silvester an“, sagt Bannes-Grewe.
TV-Hundeexperte Martin Rütter empfiehlt, Kauknochen oder andere Leckereien, denn „Lecken und Kauen setzt auch Glücks- und Beruhigungshormone frei, die den Hund automatisch ein bisschen beruhigen – ähnlich wie das Schnullernuckeln eines Babys. Tipp: Ist das Leckobjekt gefroren, ist der Hund länger beschäftigt.“
Wenn es knallt und die Raketen fliegen, sollte der Hund gesichert sein
Egal, ob der Hund „ne coole Socke“ ist oder ein „Angsthase“ ist: „Rund um die Silvesterknallerei sollten Herrchen und Frauchen immer gut gesichert mit dem Vierbeiner unterwegs sein. Also auf jeden Fall angeleint, und bei ängstlichen Hunden empfiehlt sich auch eine Doppelsicherung, beispielsweise Halsband und zusätzlich ein Hundegeschirr“, sagt die Vorsitzende von Animal Care. Es gebe auch extra „Panikgeschirre“, in denen der Hund noch besser gesichert ist und nicht einfach im Rückwärtsgang herausschlüpfen kann.
In den eigenen vier Wänden ertragen die Hunde die Silvesterpanik besser, wenn Rollläden und Gardinen zugezogen sind, und eine andere Geräuschquelle als Böller und Raketen wie Radio oder Fernseher eingeschaltet sind. Leichte klassische Musik empfehle sich, Mozart etwa, von Heavy Metal und Wagner wird abgeraten. „Und den Hund auf keinen Fall alleine lassen, er braucht die Sicherheit, die ihm die Besitzer geben“, sagt Sina Hanke.
Bei sehr ängstlichen Hunden können auch Beruhigungsmittel helfen
„Den Hund nicht abends füttern, sondern mittags die letzte Mahlzeit geben, damit er nicht abends noch mal rausmuss“, sagt Bettina Bannes-Grewe. „Hunde sollten einen Rückzugsort haben“, rät Rütter. Eine faltbare Transportbox oder Decken könnten als Höhle dienen. Wenn der Hund plötzlich aufs Bett oder Sofa springt, was normalerweise nicht erlaubt ist, sollten Herrchen und Frauchen das an diesem besonderen Tag zulassen. Der Hund suche Nähe, will vielleicht kuscheln. „Allerdings sollte das Streicheln und Kraulen nicht übertrieben werden, um die Situation nicht noch außergewöhnlicher zu machen, als sie ist“, sagt Rütter.
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Klassische Beruhigungsmittel lehnen die Hundeexperten eher ab, aber: „Bei sehr ängstlichen Hunden kann in Absprache mit dem Tierarzt durchaus ein Medikament gegeben werden, das beruhigend wirkt“, sagt Bettina Bannes-Grewe. Auch homöopathische Mittel könnten gegen den Stress helfen. Martin Rütter hat da noch einen besonderen und besonders umstrittenen Tipp: Eierlikör, also Alkohol.
Ein ganz spezieller und umstrittener Tipp: Ein wenig Eierlikör für den Hund
Deutschlands bekanntester Hunde-Profi bezieht sich dabei auf einen Tierarzt. Beide ernten dafür jedes Jahr erneut Kritik, beharren aber darauf. Der Ulmer Tiermediziner Ralph Rückert will gute Erfahrungen damit gemacht haben, seinem Terrier Nogger (knapp 10 kg schwer) an Silvester um 20 und um 23 Uhr jeweils einen Esslöffel Eierlikör, gegeben zu haben. Es habe ihm bisher immer sehr gut geschmeckt und ihn auch beruhigt.
Wichtig sei die richtige Dosierung, und: Das sei nur ein kurzfristiges Hilfsangebot und eine Möglichkeit von vielen. Er habe lang und breit das tiermedizinisch perfekte Vorgehen beschrieben, sagt Rückert, nachdem die Gesellschaft für Tierverhaltensmedizin und -therapie heftig gegen die Gabe von Eierlikör als Beruhigungsmittel protestiert und davon abgeraten hatte.
Tiertrainer der Karl-May-Spiele härten die Tiere ab
Reiche Erfahrung in der Arbeit mit Tieren und der Gewöhnung der vierbeinigen Darsteller an Schüsse und Explosionen haben die Tiertrainer der Karl-May-Spiele in Bad Segeberg. Dort dreht es sich allerdings in erster Linie um Pferde. Doch das Prinzip ist ganz ähnlich wie bei den Hunden: Pferde brauchen hartes Knalltraining, eine regelrechte Lärmschule, bevor sie auftreten dürfen. „Die Pferde werden natürlich an das Knallen gewöhnt“, sagt Sprecher Michael Stamp. Ohne lange Vorbereitungen könnten sie die Aufführungen nicht durchstehen.
Die Waffen- und Gerätewarte Horst Lipsius und Heinrich Morsdorf sind auch außerhalb der Spielzeiten regelmäßig zu Gast auf dem Karl-May-Pferdehof in Groß Rönnau, um dort in der Nähe der Tiere Schüsse abzufeuern. Auf diese Weise lernen die jüngeren Pferde diese Geräusche kennen, während die erfahreneren Pferde erinnert werden: „Da war doch mal was...“
Ohne Vorbereitung werden Colts abgefeuert
Auch die beiden Pferdewirtinnen der Kalkberg GmbH, Reitstallchefin Sylvia Kassel und ihre Kollegin Hanna Schattner, haben gelegentlich einen Colt dabei, wenn sie die Pferde ausreiten. Den ziehen sie und feuern ab, wenn die Pferde nicht darauf vorbereitet sind.
Während jeder Karl-May-Saison werden ein bis drei jüngere Pferde in die Auftrittsherde eingebracht. Die orientieren sich an den erfahrenen Tieren. „Die Ruhe der älteren Pferde überträgt sich auf die jüngeren“, sagt Michael Stamp. Da Pferde von Natur aus Fluchttiere sind, werde bei den Inszenierungen darauf geachtet, dass nur dann geschossen wird, wenn die Tiere ohnehin in Bewegung sind und weggeritten werden. „Das stellt dann keine Bedrohung mehr dar. An die gesamte Pyrotechnik rundherum werden die Tiere langsam gewöhnt.“