Henstedt-Ulzburg. Bauarbeiten für Stromtrasse durch Henstedt-Ulzburg sind in vollem Gange. Trotzdem könnte das Jahrhundertprojekt noch gestoppt werden.
Die Lieferung, adressiert an das Rathaus in Henstedt-Ulzburg, ist bereits angekündigt, es soll sich um mehrere Umzugskartons handeln, randvoll mit Dutzenden Aktenordnern und allen wichtigen Unterlagen zu einem Milliardenprojekt. Die Ostküstenleitung ist das neben der Fehmarnbelt-Querung derzeit bedeutendste Infrastrukturvorhaben in Schleswig-Holstein, sie ist elementar für die Energiewende in Deutschland.
Die 380-Kilovolt-Stromtrasse soll in einigen Jahren, nach Fertigstellung, Offshore-Windstrom bis zu einem Umspannwerk an der A7 transportieren, von dort verläuft eine weitere Leitung in Richtung Süden. Seitdem vor rund fünf Wochen der offizielle Planfeststellungsbeschluss erfolgt ist, darf der durch den Bund beauftragte Netzbetreiber Tennet sämtliche Baumaßnahmen durchführen. Nur: Theoretisch könnte weiterhin alles wieder gekippt werden.
Der Weg dorthin führt über das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Und deswegen sind besagte Unterlagen so wichtig, sie sind der bis in kleinste Detail ausformulierte Planfeststellungsbeschluss, dieser wird ab dem 16. November öffentlich für vier Wochen ausliegen. Und genau in diesem Zeitraum kann auch eine Klage gegen das Vorhaben eingereicht werden. Das allerdings dürfen bei weitem nicht alle Bürgerinnen und Bürger von Henstedt-Ulzburg. Einerseits berechtigt sind Grundeigentümer, über deren Land die Leitung gespannt wird – beziehungsweise unterirdisch als Erdkabel, zum Teil in Dükern, verläuft.
Milliardenbau Ostküstenleitung: Die letzte Chance zur Klage für Henstedt-Ulzburg
Absehbar ist das derzeit nicht. Dem Vernehmen nach haben die meisten, in der Regel sind es Landwirte, einem Verkauf an die Tennet zugestimmt. „Wir sind mit allen Eigentümern entlang der geplanten Trasse im konstruktiven Austausch im Hinblick auf die Klärung sämtlicher Fragen“, sagt Sören Wendt, Sprecher des Unternehmens. Auch der über Jahre prominenteste Gegner hat seinen Widerstand aufgegeben. Es handelt sich um Tile Abel, Gemeindevertreter und stellvertregender Fraktionschef der Wählergemeinschaft BFB (Bürger für Bürger).
Abel ist Landwirt, auf einem Feld im Gebiet Beckershof, das ihm und seiner Familie gehört, soll direkt an der Autobahn ein mehrere Hektar großes Umspannwerk entstehen. Lange Zeit hatte er sich geweigert, das Grundstück zu veräußern, ihm drohte daher eine Enteignung. Doch wie er nun gegenüber der „Segeberger Zeitung“ sagte, habe er sich umentschieden. Abel „wolle nicht enteignet werden“, er gehe davon aus, dass die Ostküstenleitung gebaut wird, es lasse sich nichts aufhalten.
Die Politik müsste Bürgermeisterin Ulrike Schmidt beauftragen, vor Gericht zu ziehen
Der zweite Klageweg: Die Politik beauftragt per Beschluss Bürgermeisterin Ulrike Schmidt, den Rechtsweg einzuschlagen. In der Vergangenheit hatten sich CDU, BFB und FDP als Allianz zusammengeschlossen, selbst umfangreiche Gutachten erstellen lassen und gefordert, dass die Stromtrasse weiter nördlich an einer künftigen A20 gebaut werden müsse. Das hatten Tennet und auch die Landesregierung zurückgewiesen.
Die drei Fraktionen hätten eine Mehrheit, halten sich momentan aber bedeckt. Sie stehen vor der Herausforderung, in den Planfeststellungsunterlagen rechtliche Ansatzpunkte zu finden, um Tennet Verstöße nachzuweisen, etwa bei der Abwägung unterschiedlicher Korridore. Hinter vorgehaltener Hand sagen viele im Ort, dass die Erfolgschancen gering sind. Der Planungsausschuss wird voraussichtlich am Montag, 4. Dezember (18.30 Uhr, Ratssaal), hierüber diskutieren, zuvor wird es Gespräche mit der Kieler Verwaltungsrechtlerin Angelika Leppin geben, die Henstedt-Ulzburg seit vielen Jahren in der Sache berät. Zur Erinnerung: Anfang des Jahres war die Gemeinde schon einmal vor Gericht gescheitert, als man versuchte, vorbereitende Baumaßnahmen zu stoppen.
Henstedt-Ulzburg: Am 28. November Einwohnerversammlung zur Ostküstenleitung
Ein weiterer wichtiger Termin: Am Dienstag, 28. November (19 Uhr, Bürgerhaus), findet eine Einwohnerversammlung zur Ostküstenleitung statt. Tennet wird das Projekt hier vorstellen, auch die Politik hat Rederecht, aber allen voran gilt die Veranstaltung als wichtiger Indikator, wie die Stimmung in der Bevölkerung ist. Denn bislang nehmen die Menschen die kommende Stromtrasse eher zur Kenntnis, im Kommunalwahlkampf war diese kein Thema, wichtiger waren da Wohnungsbau, Kitaplätze oder Flüchtlingspolitik.
Was hinzu kommt: Da die Ostküstenleitung im Bereich der Pinnauwiesen unterirdisch verläuft, kann die bestehende Freileitung weiter südlich abgebaut werden, was die dortigen Anwohner natürlich begrüßen. Am Ortsrand, etwa an der Götzberger Straße, wird der Unterschied zwischen alter 220-Kilovolt-Trasse und neuer Leitung bereits sichtbar, hier sind die neuen, höheren Masten schon aufgestellt, wenn auch inaktiv. Sollte das Bundesverwaltungsgericht das Vorhaben stoppen, müsste Tennet gegebenfalls umplanen, was wiederum zur Folge hätte, dass möglicherweise ein Verlauf analog zur alten Trasse Priorität bekommt. Das könnte neue Diskussion in der Gemeinde entfachen.
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Der Netzbetreiber selbst geht sowieso davon aus, dass das Vorhaben ungebremst weiter geht. Ab Ende September habe man „konsequent mit dem Bauarbeiten“ begonnen, so Sören Wendt. „Es finden sowohl Arbeiten an den Masten als auch an den Erdkabel nstatt – dies umfasst auch erste Maßnahmen am Düker.“ 14 von 45 Masten sollen in diesen Tagen errichtet sein, an der Dükerbaustelle nahe der Norderstedter Straße wird die Zufahrt geschaffen, einzelne Bäume werden gefällt, temporär werden die Flächen mit sogenannten Geotextilien und mit Schotter befestigt. Und bei Kisdorferwohld wurden bereits 850 Meter Leerrohre verlegt.
Ostküstenleitung: Netzbetreiber verweist auf „strenge Umweltkriterien“ beim Stromtrassenbau
Und auch den BFB-Antrag für den Umwelt- und Naturausschuss am Montag, 13. November (18.30 Uhr, Ratssaal), sieht Tennet gelassen. Dieser besagt, dass die Verwaltung eine Unterrichtung vorlegen solle, „aus der die verheerenden Umweltaspekte der aktuell laufenden Trassenbauarbeiten auf Kisdorfer und Henstedt-Ulzburger Gebiet hervorgehen“, so Fraktionschef Jens Iversen.
Die Replik von Sören Wendt: Die Bauarbeiten würden „strengen Umweltkriterien“ unterliegen, eine „dezidierte Kontrolle“ erfolge durch eine Baubegleitung eines externen Unternehmens. „Tennet berichtet weiter regelmäßig an die zuständigen unteren und oberen Natur- und Bodenschutzbehörden sowie an das Amt für Planfeststellung Energie über die umweltfachlichen Aspekte der Baumaßnahmen.“