Norderstedt. Genossen empfehlen CDU-Kandidaten als Oberbürgermeister: Jetzt spricht der SPD-Fraktionschef. Andere Parteien üben Kritik.

Dass es in der Norderstedter SPD zum Scherbengericht kommen musste, war klar. Denn nach der krachenden Abwahl von Oberbürgermeisterin und Genossin Elke Christina Roeder und dem desaströsen 20-Prozent-Wahlergebnis bei der Kommunalwahl (minus 6,1 Prozent) müssen der angeschlagene Ortsverein und die geschrumpfte Fraktion prüfen, wie man in Zukunft überhaupt noch SPD-Politik in der Stadt umsetzen kann.

Erwarten konnte man einiges. Dass der Vorstand des Ortsvereins dann aber am Mittwoch als Reaktion auf die Wahlniederlage bei der Oberbürgermeister-Wahl ausgerechnet die Nähe zur Norderstedter CDU suchte, verwunderte die politische Öffentlichkeit massiv. Die Vorsitzende Katrin Fedrowitz rief im Namen der Partei die Genossinnen und Genossen in Norderstedt zur Wahl von CDU-Kandidat Robert Hille zum neuen Chef der Stadtverwaltung auf. Eine Empfehlung, die auch manche Sozialdemokraten fassungslos machte.

Erste Parteiaustritte wurden bekannt

Erste Parteiaustritte sind schon bekannt geworden. Die internen Kritiker verstehen nicht, warum man Hille der überparteilich geschätzten Kandidatin Katrin Schmieder vorziehen soll. Schließlich gibt es doch inhaltlich viel mehr Überschneidungen mit der als unabhängige OB-Kandidatin angetretenen Grünen.

Dagegen nun ausgerechnet Robert Hille und die CDU? Plötzlich herrscht inhaltliche Übereinstimmung mit einem Kandidaten, den man im Wahlkampf noch hart anging, ob seiner Law-and-Order-Thesen und dem mangelnden Norderstedt-Stallgeruch? Und Engagement, Problemlösungskompetenz, Führungsstärke und Einfühlungsvermögen in der Stadt sieht man plötzlich nicht mehr bei Schmieder, sondern nur noch bei Hille?

„Mit dem linken Lager haben wir keine Mehrheit mehr!“

„Ich kann schon nachvollziehen, dass sich bei so einer Entscheidung des Ortsvereinsvorstandes nicht alle mitgenommen fühlen“, sagt der SPD-Fraktionschef Nicolai Steinhau-Kühl. „Wir haben lange überlegt, ob wir überhaupt eine Empfehlung aussprechen sollen. Dann kristallisierte sich aber heraus: wenn, dann für Hille.“

Eine Befragung aller Mitglieder zum Thema wäre in der Kürze der Zeit zu aufwendig gewesen. „Aber etliche Mitglieder wurden schon gehört.“ Steinhau-Kühl geht davon aus, dass eine Mehrheit in der Partei die Entscheidung mittrage. Er eingeschlossen.

Offenbar steckt hinter der Wahlempfehlung eine taktische Erwägung. „Es gibt in der Stadtvertretung keine Mehrheiten mehr mit dem sogenannten linken Lager. Da können wir nichts mehr erreichen“, sagt Steinhau-Kühl. SPD (13) und Grüne (10) kommen zusammen nur auf 23 von 57 Sitzen. Also biete sich die Große Koalition mit der CDU (17) geradezu an, um Norderstedt mit parlamentarischer Mehrheit und CDU-Bürgermeister zu gestalten.

SPD will „Mauer des Schweigens“ zur CDU abbrechen

In der Stadtvertretung mit einer CDU allerdings, zu der in der letzten Legislaturperiode die Gesprächsfäden nahezu vollständig gekappt worden waren. Man war sich im Parlament nicht mehr grün, setzte auf gegenseitiges Blockieren. „Ich nenne das mal die Mauer des Schweigens. Es ist doch gut für die Stadt, wenn wir die jetzt einreißen und wieder ins Gespräch kommen.“

Was Katrin Schmieder angehe: Die habe ja auch nur zwei Jahre mehr Verwaltungserfahrung als Hille. Und beim Thema Sicherheit in der Stadt seien Hille und Schmieder auch nicht weit voneinander entfernt, so Steinhau-Kühl. „Die will jetzt ja auch den Einsatz von Überwachungskameras.“ Die SPD hält das Thema sowieso nach wie vor für aufgebauscht.

„SPD ist beleidigt, weil es Roeder nicht geworden ist“

Hille hingegen habe Kompetenz im Bereich Kultur. „Und beim Wohnungsbau müssen wir vorankommen und bezahlbaren Wohnraum schaffen“, sagt der SPD-Fraktionschef. Wie aber passt die von der SPD favorisierte städtische Wohnungsbaugesellschaft mit der kategorischen Ablehnung der CDU zu dem Thema zusammen?

Für die Wohnungsbaugesellschaft gebe es in der Stadtvertretung so oder so keine Mehrheit mehr, sagt Steinhau-Kühl. „Am Ende haben wir ja nur eine Empfehlung ausgesprochen. Die Wählerinnen und Wähler entscheiden ja am 5. November.“

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Bei anderen Fraktionen in der Stadtvertretung sorgt der SPD-Kurs ins CDU-Lager für Unverständnis. Die Gerüchteküche brodelt. „Die SPD ist in erster Linie beleidigt, weil es die Roeder nicht geworden ist“, sagt Ingrid Betzner-Lunding von den Grünen. Und Co-Fraktionsvorstand Marc Giese sagt: „Die SPD macht mir Sorgen. Ich habe sie immer als besonnen und bedacht erlebt. Und nun so eine unverständliche Entscheidung.“

WiN: „Das ist ein legitimer Politik-Deal“

„Die mussten sich bei Schmieder und Hille entscheiden: Setzen sie auf Kompetenz oder auf Strategie? Sie haben sich für Strategie entschieden“, sagt Betzner-Lunding. „Ob das klug war oder ob das in die politische Bedeutungslosigkeit führt, das wird man sehen. Ich weiß von ersten Austritten aus der Partei.“

Reimer Rathje, Fraktionschef von „Wir in Norderstedt“ (WiN) und Freie Wähler, findet politische Deals legitim. „Es war klar, dass die auf die CDU zugehen werden. Man muss sich seine Mehrheiten suchen.“ Irritiert sei er von üblen Gerüchten, die kursieren. Wonach die „GroKo“ Schmieder ganz loswerden und stattdessen jemanden mit SPD-Parteibuch ins Sozialdezernat setzen wolle. Das könne nur Fake-News sein. „So blöd sind die nicht, das wäre mehr als befremdlich, wenn das Parteibuch zählt und nicht die Qualifikation“, sagt Rathje.

FDP: „GroKo-Mehrheit lässt politische Diskussionen an die Wand fahren“

FDP-Fraktionschef Tobias Mährlein schließlich sah die Entwicklung der SPD hin zur CDU schon länger durchs Rathaus wabern. „Die sind beleidigt, weil eine andere Dame ihrer OB den Schneid abgekauft hat.“ Die Hinwendung zur CDU sei bestimmt mit handfesten Versprechungen seitens der CDU unterstützt worden, mutmaßt Mährlein.

„Mit ihrer guten Mehrheit könnten die gemeinsam den Haushalt durchbringen. Die plumpe GroKo-Mehrheit würde dafür sorgen, dass die Diskussionen gegen die Wand fahren.“ Basta-Politik statt mühsame Konsensfindung. „Das müssen die Wählerinnen und Wähler im Kopf haben, wenn sie am 5. November ihr Kreuzchen machen. Denn sie entscheiden.“