Kreis Segeberg. Eigenanteil liegt in Schleswig-Holstein im Schnitt bei 2406 Euro. So ist die Situation im Kreis Segeberg.
Das Leben in den Alten- und Pflegeheimen wird teurer. Der Eigenanteil ist kräftig gestiegen. Die Bewohner und Bewohnerinnen und ihre Familien müssen in vielen Fällen 500 Euro mehr im Monat zahlen. Reicht die Rente dafür nicht, ist kein Vermögen vorhanden oder können Kinder die Lücke nicht schließen, springt das Sozialamt ein, denn: Niemand wird auf die Straße gesetzt, wenn er oder sie die Mehrkosten nicht aus eigener Tasche zahlen kann.
Bevor staatliche Hilfe fließt, prüft das Sozialamt, ob der Bewohner oder die Bewohnerin über Vermögen verfügt. Herangezogen werden sowohl das Einkommen und das Vermögen der pflegebedürftigen Person als auch das Einkommen des Ehegatten bzw. Lebenspartners. Die Vermögensfreigrenzen sind zum 1. Januar 2023 für Alleinstehende auf 10.000 Euro und für Eheleute auf 20.000 Euro angehoben worden. Für jede weitere Person, die unterhalten wird, liegt der Freibetrag bei 500 Euro.
Pflegenotstand: Heimplatz kostet 500 Euro mehr – wann das Sozialamt zahlt
Das eigene Haus fällt solange nicht unter das Vermögen, wie der Ehepartner dort noch wohnt. Haben die Eltern ihr Haus an ihre Kinder verschenkt, kann der Sozialhilfeträger die Immobilie zurückfordern, wenn die Schenkung weniger als zehn Jahre zurückliegt. Kinder werden nur zur Zahlung des Eigenanteils verpflichtet, wenn ihr Einkommen mehr als 100.000 Euro beträgt.
Im Bundesschnitt zahlen die Senioren und Seniorinnen laut Verband der Ersatzkassen nach einer Analyse vom 1. Juli einen Eigenanteil von 2411 Euro, der sich mit der Summe in Schleswig-Holstein deckt. Unsere Umfrage unter den Einrichtungen im Kreis Segeberg ergab eine Spanne von gut 2300 bis 3000 Euro.
Altenheime: Durch den hohen Eigenanteil ist die Lage dramatisch
„Die Lage ist dramatisch.“ So kommentiert Ute Algier, langjährige Vorsitzende und jetzt Ehrenvorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Heimmitwirkung, die gestiegenen Kosten für die Heimbewohner. Wenn der Eigenanteil weiter so steigt, könne sich kaum noch jemand einen Heimplatz von der eigenen Rente leisten.
Die Leitungen der Alten- und Pflegeheime nennen folgende Ursachen für den massiven Anstieg des Bewohneranteils: Seit vorigem September gilt Tarifpflicht in den Einrichtungen. Dadurch sind die Personalkosten deutlich gestiegen, die Heimleitungen beziffern das Plus auf gut 23 Prozent. Weitere Preistreiber seien die Energiekosten und die Inflation, die den Einkauf von Pflegematerialien und Lebensmitteln verteure.
Teure Heimplätze: „Wir spüren eine deutliche Verunsicherung und Sorge“
„Wir spüren eine deutliche Verunsicherung und Sorge angesichts des teilweise drastisch gestiegenen Eigenanteils“, sagt Matthias Grandke vom Sozialverband Deutschland, Ortsverband Norderstedt. Es stehe außer Frage, dass der Ortsverband eine gerechte Entlohnung der Pflegekräfte für ihre aufopferungsvolle Arbeit unterstütze. „Wir sehen es jedoch nicht als gerechtfertigt an, dass die Kosten dafür zu großen Teilen von den Pflegebedürftigen selbst getragen werden sollen. Der teilweise extrem gestiegene Eigenanteil treibt nicht wenige von ihnen in die Armut, während die Politik sich aus der Verantwortung stiehlt“, kritisiert Grandke.
„Seit längerem schon wird der Eigenanteil der Pflegebedürftigen in den Pflegeheimen immer weiter in die Höhe katapultiert. Die eingeführten Pflegereformen führen nicht wirklich langfristig zu einer Verbesserung der Situation, sondern sind quasi Heftpflaster, die die Wunde kurz versorgen, aber nicht behandeln“, sagt Christine Schmidt, Vorsitzende des Norderstedter Seniorenbeirats. Die finanziellen Mehrbelastungen brächten Pflegebedürftige in den Pflegeeinrichtungen in Not.
Teure Heimplätze: Viele schämten sich, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen
„Für unsere Bewohner werden die steigenden Eigenanteile zur psychischen Belastung. Sie haben Angst, dass sie immer mehr zahlen müssen und die Rente nicht reicht, obwohl sie 45 Jahre gearbeitet haben, oder dass die Kinder zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie ihnen ihre Häuser vererbt haben“, sagt Kirsten Krause, Leiterin des Alten- und Pflegeheims „Zum Steertpogg“ in Norderstedt, wo 115 Männer und Frauen leben. Viele schämten sich, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen.
Eine Situation, die Dagmar Landrock-Junge, die das Haus Lütjenmoor in Norderstedt leitet, bestätigt: „Selbst unsere Bewohnerinnen mit einer guten Witwenrente bekommen Probleme, ihre Zuzahlungen zu leisten.“ Und die Frauen, die jetzt mit Anfang 80 aufgenommen werden, könnten auf weniger Rente zurückgreifen. Durch den gestiegenen Eigenanteil sei jetzt mehr als die Hälfte der 64 Bewohner auf Geld vom Sozialamt angewiesen.
Teure Heimplätze: Mehr Bewohner sind auf Sozialhilfe angewiesen
Im städtischen Haus im Park wird jeder fünfte der 79 Bewohner und Bewohnerinnen vom Sozialamt unterstützt. „Dieser Anteil ist jetzt um rund vier Prozent gestiegen“, sagt Norderstedts Sozialdezernentin Katrin Schmieder.
Ganz anders stellt sich die Situation in Ellerau dar, wo offensichtlich Menschen mit guter Rente oder Vermögen in der Seniorenresidenz wohnen: „Von unseren 80 Bewohnern und Bewohnerinnen ist nur einer auf staatliche Unterstützung angewiesen“, sagt Jürgen Sturm, Leiter der Einrichtung, die nach der Insolvenz des Betreibers Convivo unter das Dach der Alloheim-Gruppe geschlüpft ist – der zweitgrößte Pflegeanbieter in Deutschland war in der Vergangenheit mehrfach wegen mangelhafter Pflege in die Kritik geraten. „Seit einiger Zeit engagiert sich das Unternehmen aber stark, um die Qualität der Pflege zu gewährleisten“, sagt Sturm.
Altenheime: Sozialamt bearbeitet 1100 Anträge auf finanzielle Hilfe
Immer mehr Heimbewohner und -bewohnerinnen sind auf Finanzhilfe des Sozialamts angewiesen: „Dort werden etwa 180 Fälle mehr bearbeitet als vor einem Jahr“, sagt Kreissprecherin Sabrina Müller. Kreisweit gebe es 54 Pflegeeinrichtungen mit 4202 Plätzen. 1100 Anträge auf Sozialhilfe würden im Sozialamt bearbeitet, in 700 Fällen zahle das Sozialamt Unterstützung.
Dass die Kosten weiter steigen können, werde bei der Haushaltsplanung berücksichtigt. Eine Summe zu nennen, sei aber wegen der vielen Einflussfaktoren nicht möglich. Das Land erstatte einen Teil der Ausgaben, der Rest werde aus Kreismitteln finanziert.
Teure Heimplätze: Sozialamt muss Bescheide laufend neu berechnen
„Es dauert extrem lange, bis die Anträge bearbeitet sind. Dadurch fehlen uns Einnahmen in beträchtlicher Höhe“, sagt Dagmar Landrock-Junge, Leiterin des Pflegeheims Haus Lütjenmoor. „Das stimmt so nicht. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Kreises Segeberg geben stets ihr Bestes, um die Anträge so schnell wie möglich zu bearbeiten und Leistungen zeitnah gewähren zu können“, entgegnet Kreissprecherin Sabrina Müller. Die Bearbeitung sei komplex, es gebe oft Rückfragen zur Einkommens- und Vermögenssituation.
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Erschwerend komme hinzu, dass oft nicht schon im Vorweg ein Bedarf geprüft werden könne, weil das Sozialamt erst durch eine Mitteilung des Heims von einer Neuaufnahme erfahre und dann akut prüfen müsse, ob Leistungen gezahlt werden. Drei oder vier Änderungen pro Jahr in den finanziellen Grundlagen erforderten zudem, dass Bescheide neu berechnet und verschickt werden müssten.
Heimkosten: Eigenanteil steigt, Zulage der Pflegekassen stagniert
Pro laufendem Fall müssten mehr als acht Bescheide pro Jahr verfasst werden. „Zur Antragsprüfung benötigen wir vom ersten Kontakt bis zum Bescheid im Regelfall zwei bis drei Monate, wenn der Antrag schnell und vollständig eingereicht wird. Bei unvollständigen Anträgen und besonders gelagerten Einzelfällen kann eine Prüfung aber auch deutlich länger dauern“, sagt Sabrina Müller.
„Der Eigenanteil steigt leider so deutlich und spürbar, da die Leistungszulage der Pflegekassen nicht im gleichen Verhältnis wächst. Diese Zahlungen, die ein pflegebedürftiger Bewohner erhält, sind über Jahre festgeschrieben und wurden und werden nicht dynamisiert“, sagt Norderstedts Sozialdezernentin Schmieder. Darüber werde zurzeit bundesweit diskutiert.
Pflegenotstand: Heimplatz kostet 500 Euro mehr – wann das Sozialamt zahlt
Zwar werden zum 1. Januar 2024 auch die Entlastungszuschläge erhöht. Der Eigenanteil für die reine Pflege soll so im ersten Jahr im Heim um 15 statt 5 Prozent verringert werden, im zweiten Jahr um 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 Prozent, ab dem vierten Jahr um 75 statt 70 Prozent. „Das wird leider zu keiner spürbaren Entlastung führen“, sagt Katrin Schmieder.
Ute Algier von der Landesarbeitsgemeinschaft Heimmitwirkung fordert, den Eigenanteil zu deckeln. „Außerdem muss das Land die Investitionskosten in den Heimen übernehmen, die bisher von den Bewohnern zu zahlen sind und den Eigenanteil nach oben treiben.“ Das würde, so der Ersatzkassenverband, jeden Bewohner aktuell im Schnitt um 477 Euro pro Monat entlasten.