Norderstedt. Abendblatt-Praktikant trifft Stadtschreiber: Ein Gespräch über bestehende Vorurteile und überraschende Erkenntnisse.

Auch ich komme, wie der Stadtschreiber, nur für eine kurze Zeit nach Norderstedt. Für ein studentisches Praktikum wohne ich in Hamburg und arbeite beim Hamburger Abendblatt in Norderstedt. Als Neuling hatte ich ziemlich wenig Ahnung davon, wie Norderstedt eigentlich ist: aber klare Vorurteile.

Norderstedt ist einfach ein bockiger Teil Hamburgs, dachte ich mir. Ein Blick auf die Landkarte half in der Selbstbestätigung. Das kenne ich schließlich auch aus meiner Heimat – wir Franken sind ja auch keine Bayern, obwohl wir es eben doch sind. Welche Vorurteile wohl der Stadtschreiber hatte, bevor er in die Stadt kam? Er ist ja auch ein Neuling, so wie ich. Und wie nehmen wir beide Norderstedt nun wahr, seit wir hier leben und arbeiten?

Gesellschaft: Wie ticken Norderstedter? Zwei Neue in der Stadt berichten

Norderstedts Stadtschreiber Huug van't Hoff zeigt Abendblatt-Praktikant Ulli Kuhn seinen Open-Air-Arbeitsplatz.
Norderstedts Stadtschreiber Huug van't Hoff zeigt Abendblatt-Praktikant Ulli Kuhn seinen Open-Air-Arbeitsplatz. © Annabell Behrmann

Der Rücken wird schnell etwas schwitzig, wenn man an einem sonnigen Tag eine längere Zeit in dem Arbeits-Strandkorb des Norderstedter Stadtschreibers im Stadtpark sitzt – und der Stadtschreiber sitzt hier oft, und öfters lange. Doch er scheint sehr zufrieden mit seinem Arbeitsplatz: „Im Nachhinein bin ich sehr froh, wie es gelaufen ist“, sagt Huug van’t Hoff. Anfangs plante die Stadt, ihren Stadtschreiber in einem umgebauten Bauwagen inmitten des Stadtparks unterzubringen, wo er hätte leben und arbeiten sollen – doch daraus wurde kurz vor dem Einzug van’t Hoffs dann doch nichts.

„Nun habe ich hier meinen Strandkorb am Rande des Stadtparks und hinter mir im Kulturwerk ein Schreibatelier – das finde ich super“, sagt er. Und auch ich finde, dass es wirklich schlechtere Arbeitsplätze gibt – so mit dem Blick auf den See und dem Stadtpark-Café direkt vor der Nase. Auch für die Wohnung statt des Bauwagens sei er im Nachhinein dankbar.

Neben der nun doch eigenen Dusche sei vor allem die Privatsphäre von Vorteil: „Es ist unglaublich, was für einen Zuspruch ich von den Norderstedtern bekomme – das hätte ich so nicht gedacht“, sagt er. Er sei von morgens bis abends unterwegs, der Andrang sei groß. In dem Bauwagen hätte er keine Rückzugsmöglichkeit gehabt, so der Stadtschreiber. „Teilweise kommen die Leute bis 23 Uhr zu mir.“ So könne er irgendwann sagen: So, für heute reicht’s – und nach Hause gehen.

Nicht alles schreibt der Stadtschreiber auf – den „Mammut-Man“ aber schon

Zu ihm kämen alle möglichen Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und jeden Alters. „Es ist erstaunlich, über was die Leute alles mit mir sprechen wollen“, sagt er. Von persönlichen Schicksalsschlägen bis hin zu politischen Vorstellungen aller Couleur sei alles dabei gewesen. Vieles könne und wolle er deshalb auch nicht verschriftlichen. „Doch so manch einer wird zu einem Charakter in meinen Stadt-Geschichten“, sagt er.

So wie der Norderstedter Umweltaktivist Hans-Jürgen Oltrogge. Zu Beginn des Interviews ist er gerade mit Huug van’t Hoff ins Gespräch vertieft. Sie sprechen über Balkonsolaranlagen, über Oltrogges Wunsch nach mehr Unterstützung durch staatliche Institutionen in Sachen Umwelt – und über Mammutbäume. „Ich pflanze oft Mammutbaumsetzlinge in Norderstedt und schenke den Baum einer politischen Persönlichkeit – als Zeichen für den Umweltschutz“, erklärt der Aktivist.

Am Vortag seien die beiden durch die Stadt gegangen, Oltrogge habe dem Stadtschreiber die Bäume zeigen wollen. „Wir waren den ganzen Tag unterwegs“, fügt van’t Hoff hinzu. Der Stadtschreiber schrieb just eine Geschichte über die schillernde Persönlichkeit. „In meiner Geschichte bist du der Mammut-Man“, verkündet der Stadtschreiber dem Umweltaktivisten – beide schmunzeln.

Aber jetzt mal Tacheles: Wie sind sie denn, die Norderstedter?

Angeregtes Plaudern im Strandkorb am Kulturwerk im Stadtpark Norderstedt.
Angeregtes Plaudern im Strandkorb am Kulturwerk im Stadtpark Norderstedt. © Annabell Behrmann

Nicht immer ist der Stadtschreiber mit einem Termin den ganzen Tag beschäftigt, meist sind es gleich mehrere Termine. „Heute nach dem Interview bin ich vom Netzwerk Norderstedt zum Thema Robotik und Senioren eingeladen worden, auch für morgen stehen drei Verabredungen im Kalender“, sagt van’t Hoff. Und nun mal Tacheles: Wie sind sie denn, die Norderstedter?

„Niemand hier ist Norderstedter. Jeder, den ich kennenlerne, sagt mir: ,Ich bin Garstedter, ich bin Friedrichsgabener, oder, oder. Als Norderstedter sieht sich kaum einer“, so van’t Hoff. Eine Erfahrung, die ich teilen kann. Van’t Hoff sagt, er sei fasziniert von der knapp 80.000-Einwohner-Stadt und ihren Einwohnern. „Ich habe noch nie eine Stadt wie Norderstedt erlebt.“

Dadurch, dass sie gerade mal 50 Jahre alt, ein Zusammenschluss vierer Dörfer und trotzdem so groß sei, habe sie etwas, was andere Städte nicht hätten. Vieles sei hier anders, als in anderen „Großstadt-Speckgürteln“, so van’t Hoff. „Zum Beispiel gibt es viele Leute, die in Norderstedt arbeiten, aber in Hamburg wohnen – in den meisten Speckgürteln ist es doch anders herum.“ Zum Beispiel in meiner Wahlheimat München: Ich studiere und wohne seit drei Jahren dort, die Kommunen rund um die bayerische Hauptstadt kann man getrost als Schlaf-Städte bezeichnen.

Eine nette Begegnung unterstreicht van’t Hoffs Beobachtungen

„Bevor ich hierher kam, sagte meine Schwägerin, ,Norderstedt? Das ist doch ein Stadtteil Hamburgs’“, sagt van’t Hoff. Und er stellt nun fest: „Nein, das ist es nicht. Darauf legen die Norderstedter auch großen Wert.“ Ein Vorurteil, dass ich in meiner kurzen Zeit hier auch schon abgebaut habe. Wenn man einmal in die Entstehungsgeschichte der Stadt einsteigt, wird einem die Vierfaltigkeit der Gründungsgemeinden bewusst.

Hamburg würden Norderstedter allenfalls kulturell nutzen, sagt van’t Hoff. „Wobei auch Norderstedt unglaublich viel Kultur zu bieten hat.“ Zu diesem Thema schaltet sich eine ältere Dame ein, die gerade auf den Stadtschreiber zukommt. Sie widerspricht: „Kultur findet man bei uns aber nicht so viel“, meint sie. Der Stadtschreiber entgegnet, dass es vielleicht nicht für jede Person genügend Auswahl gibt, sehr wohl aber für jeden etwas dabei sei. Nach einer kurzen, netten Diskussion lenkt die Dame ein und verabschiedet sich mit einem Lächeln.

Die Norddeutschen sind unnahbar? Keine Ahnung, wovon die Leute reden.

Die Verabredung zum Wasserski-Fahren steht!
Die Verabredung zum Wasserski-Fahren steht! © Annabell Behrmann

„Und von wegen, wir Norddeutsche sind so unnahbar“, sagt van’t Hoff. „Das stimmt nicht – und schon gar nicht für Norderstedter.“ Was das angeht, kam ich mit ganz anderen Vorstellungen nach Norderstedt. Ich fühle mich in München überhaupt nicht wohl, weil die Leute da so unnahbar sind. Und in den Norden kam ich in der freudigen Erwartung, hier endlich einmal nahbare Menschen zu finden. Und die finde ich tatsächlich jeden Tag.

Als Journalist sprecht man jeden Tag mit unterschiedlichsten Personen – in München sind solche Kontaktaufnahmen immer sehr geschäftlich. Immer „Sie“, „Sehr geehrte/r“ oder „Ich danke Ihnen vielmals“. Hier in Norderstedt habe ich oft gleich das Gefühl, mit einem Bekannten zu sprechen – alle sind sehr herzlich, und man landet blitzschnell beim Du.

Bei den Norderstedtern landet man schnell beim Du

Der Stadtschreiber sagt, die Leute seien vielleicht anfangs etwas vorsichtig mit anderen Menschen, würden erst einmal wissen wollen, mit wem sie es zu tun haben. „Doch die Menschen begegnen auch mir immer neugierig, nett, reden viel und gerne.“ Also nieder mit dem Vorurteil: Die Norddeutschen sind einfach viel ungezwungener, lockerer und vor allem offener als andere Deutsche.

Zum Abschied verabrede ich mich mit Huug van’t Hoff zum Wasserskifahren, irgendwann. Und beim Gehen sagt der Stadtschreiber: „Wir in Deutschland leben doch wirklich in einem Paradies – und ich gerade ganz besonders.“ Kann ich unterschreiben.