Norderstedt. Er hatte Laboraufträge erteilt, ohne Geld zu haben. Dass daran allein seine Prokuristin Schuld war, wollte ihm keiner glauben.
Der Zahnarzt aus dem Kreis Segeberg, der vor dem Amtsgericht in Norderstedt wegen Betruges angeklagt worden war, kommt mit einer Bewährungsstrafe davon. Das Urteil am Montag: Ein Jahr und acht Monate Haft, auf zwei Jahre Bewährung. Zusätzlich wird die gesamte Schadenssumme bei dem 55-Jährigen eingezogen. „Der Angeklagte hat noch Glück. Bei einer Haftstrafe von über zwei Jahren, wäre keine Bewährung mehr möglich gewesen“, sagte Richter Jan Willem Buchert.
Der Zahnarzt stand vor Gericht, da er zwei Labortechnikfirmen betrogen hatte. Im vollen Bewusstsein, die Rechnungen niemals bezahlen zu können, hatte er bei den Firmen 63 Zahnprothesen und Laboruntersuchungen im Gesamtwert von 55.000 Euro in Auftrag gegeben.
Amtsgericht Norderstedt: Betrug in 63 Fällen – Zahnarzt zu hoher Haftstrafe verurteilt
Beim ersten Gerichtstermin am 5. Juli brach der Zahnarzt aus dem westlichen Kreis Segeberg am Ende in Tränen aus. Er zeigte sich von Beginn an geständig, wies aber im gleichen Atemzug die Schuld von sich. Seine Prokuristin habe ihn belogen, sein Geld gestohlen, verprasst oder falsch investiert.
„Ich weiß nicht, was sie im Hintergrund mit den finanziellen Mitteln der Praxis gemacht hat“, sagte der 55-jährige Zahnarzt damals. Er selbst habe nie eine Ahnung von seinen finanziellen Angelegenheiten gehabt. Seine Prokuristin habe ihm jahrelang fälschlich versichert, dass alles in Ordnung sei. Im Jahr 2019 flatterten dann mehrere Insolvenzverfahren ins Haus, die Praxis musste schließen. Richter Jan Willem Buchert hatte Zweifel an dieser Geschichte: „Sie müssen verstehen, dass das alles wirklich schwer zu glauben ist“, sagte er.
Schaden beläuft sich auf 55.000 Euro
„Es gab eigentlich genügend objektive Anzeichen, um zu erkennen, dass es finanzielle Schwierigkeiten in der Praxis gab“, sagte auch die Staatsanwältin. Dass der Zahnarzt davon nichts wisse, sei einfach nicht glaubhaft. Eigentlich sollten am zweiten und letzten Verhandlungstag noch die Ex-Frau des Zahnarztes und die Mutter des Angeklagten als Zeuginnen vorsprechen – beide erschienen jedoch nicht zum Termin. So fiel die weitere Beweisführung aus, umso mehr Zeit blieb für die langen Plädoyers von Staatsanwältin und Rechtsanwalt.
Die Staatsanwältin sprach den Angeklagten in 61 Betrugsfällen schuldig. Nur von zwei Vorwürfen sah sie den Angeklagten entlastet. In einem Fall habe der Kunde, für den die erschlichene Prothese angefertigt wurde, die Auftragsfirma bezahlt, im andern Fall hatte der Insolvenzberater des Angeklagten die Rechnung beglichen. Sie nennt gleich mehrere Gründe warum die Geschichte von der fehlenden Finanzeinsicht nicht glaubhaft, und er deshalb in allen anderen Fällen schuldig sei.
Erklärungen des Angeklagten haben viele Löcher
„Es gab immer wieder einschneidende Vorgänge, die der Angeklagte hätte bemerken müssen. Schon 2016 ging seine andere Zahntechnik-Firma pleite, er hatte seit Jahren keine Steuererklärung abgegeben, seit 2018 zahlte er keine Sozialversicherungen mehr, auch der Leasingvertrag seiner Praxis lief aus.“ So könne sie sich nicht vorstellen, dass er solche Briefe nie zu Gesicht bekam, oder sie ungeöffnet an seine Prokuristin weitergab, wie er es behauptet.
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Ihre Forderung an den Richter: Zwei Jahre Haft. „Da es seine erste Haftstrafe ist, sehe ich die Möglichkeit die Strafe auf Bewährung auszusetzen“, sagt sie. Darüber hinaus solle der Angeklagte die geschädigten Firmen auszahlen. Der Rechtsanwalt des Angeklagten stimmt mit der Staatsanwältin überein, bis auf zwei Punkte. „Für mich ist es nicht so klar wie für sie, dass mein Mandant das alles hätte überblicken müssen.“ So sei er sehr wohl ein guter Zahnmediziner, aber – in netteren Worten gepackt – sei er wohl kein allzu guter Betriebswirtschaftler. Außerdem forderte er eine Haftstrafe auf Bewährung die ein Jahr und sechs Monate nicht überschreitet.
Amtsgericht Norderstedt: „Angeklagter hat noch Glück gehabt“
Daraufhin zogen sich Richter und Schöffen für die Urteilsfindung zurück. Angelegt waren hierfür 30 Minuten, am Ende wurden es 75. Die Schöffen und Richter Buchert gewährten zwar die Bewährungsstrafe. Sprachen ihn aber in allen 63 Fällen schuldig: „Auch wenn in den zwei Fällen andere das Bezahlen für den Angeklagten übernommen haben, ist doch der Tatbestand des Betruges erfüllt“, sagte Richter Buchert. Schließlich habe der Angeklagte die Aufträge erteilt, ohne zu wissen, dass später ein dritter für ihn zahlen werde.
Der Angeklagte nahm das Urteil an und gab gleich zu verstehen, dass er nicht in Berufung gehen werde. Die letzten Worte des 55-Jährigen: „Ich weiß ich habe vielen Leuten Schaden zugefügt. Das wollte ich so nicht, und es tut mir leid.“