Kreis Segeberg. Zahnmediziner zahlte Rechnungen von Laborfirmen nicht und tischte dem Amtsgericht Norderstedt eine kuriose Geschichte auf.

Als der Zahnarzt dem Gericht seine Leidensgeschichte erzählt, ist die Betroffenheit bei den Anwesenden einerseits groß – wenn alles stimmt, was der Angeklagte da erzählt, muss man wirklich Mitleid mit dem 55-Jährigen haben. Andererseits ist die Geschichte, die der Mediziner, der eine Praxis im Westen des Kreises Segeberg hatte, vorträgt, stellenweise auch sehr kurios – oder wie es der Norderstedter Amtsrichter Jan Willem Buchert ausdrückt: „Sie müssen verstehen, dass das alles wirklich schwer zu glauben ist.“

Der Zahnarzt sitzt in Norderstedt auf der Anklagebank, da er bei zwei Labortechnikfirmen mit insgesamt 55.000 Euro in der Kreide steht. Der Vorwurf: Der Angeklagte habe bei den Firmen Zahnprothesen und Laboruntersuchungen für seine Kunden in Auftrag gegeben, obwohl er wusste, dass er diese niemals wird bezahlen können. Als das erste Labor ihm wegen unbezahlter Rechnungen die weitere Zusammenarbeit verweigert, geht er zur nächsten Firma und wiederholt sein falsches Spiel.

Amtsgericht Norderstedt: Angeklagt wegen Betrugs – Zahnarzt ruiniert seine Praxis

Er selbst räumt die Schuld für alle Taten ein, während er gleichzeitig aber behauptet, dass er nicht wirklich schuldig sei. Finanzielle Angelegenheiten habe immer seine Prokuristin erledigt. „Sie war eine langjährige Freundin der Familie, ich habe ihr zu einhundert Prozent vertraut“, so der Angeklagte. Es habe nicht einmal einen Arbeitsvertrag gegeben, so groß sei das Vertrauen gewesen.

Er selbst habe lediglich das zahnärztliche Alltagsgeschäft geführt, die Patienten behandelt. „Ich habe mich gewundert, warum wir Zahlungsschwierigkeiten haben, ich bin jeden morgen in die Praxis und hatte zwölf Stunden am Stück zu tun – es gab genug Kunden“, erklärt er.

Urgroßeltern hatten die Zahntechnikerfirma gegründet

Fest steht, dass sich die Prokuristin aus dem Staub gemacht hat. Es sieht also in der Tat so aus, als habe sie das familiäre Verhältnis ausgenutzt. Fest steht auch: Schon seit 2014 hat das Unternehmen keine Steuererklärung mehr abgegeben, ab dem Jahr 2018 kommt dann die zunehmende Zahlungsunfähigkeit der Praxis hinzu. Schließlich kam es zu mehreren Insolvenzverfahren – der Praxisbetrieb musste eingestellt werden.

Auch eine Zahntechnikfirma, die der Angeklagte in Hamburg besaß, wurde mittlerweile geschlossen. Seine Urgroßeltern hatten den Betrieb aufgebaut, alle in seiner Familie seien Zahntechniker- oder -ärzte gewesen, sagt der Mediziner.

Amtsgericht Norderstedt: Ist der Zahnarzt wirklich so ahnungslos?

All das habe mit seiner Prokuristin zu tun, er habe keine Ahnung, was sie hinter seinem Rücken mit dem Geld, das er mit der Praxis erwirtschaftet hatte, angestellt habe. „Ich habe auch keine Ahnung, wie viel Geld sie sich selbst bezahlt hat.“ Da sie alle Tätigkeiten im Namen des Angeklagten erledigte, ist er nun formell der Verantwortliche.

Das Gericht ist sich angesichts dieser recht abstrus klingenden Geschichte allerdings nicht sicher, ob der mittellose Zahnarzt wirklich so ahnungslos ist, wie er vorgibt. Hat er als Betreiber der Praxis wirklich keinen Überblick über die finanzielle Lage seines Unternehmens gehabt?

Der Angeklagte betont, dass seine Prokuristin ihm immer versichert habe, dass alles gut sei und dass es „viele Gewinne“ gebe. „Wo sind dann diese Gewinne?“, will Richter Buchert vom Angeklagten wissen. „Meine Prokuristin hat immer gesagt, es geht alles in Investitionen für die Firma, Versicherungen und solche Dinge – ich habe ihr geglaubt“, antwortet der 55-Jährige. Auch seine Mutter habe auf Anraten der Prokuristin angeblich mehr als 700.000 Euro ihres Privatvermögens in die Praxis gesteckt. „Auch dieses Geld ist einfach weg, ich weiß nicht, wo das geblieben ist“, sagt der Angeklagte.

Insolvenzverwalter: „Die Prokuristin ist flüchtig“

Auch der Insolvenzverwalter kam zu dem Schluss, dass eigentlich genug Umsatz produziert wurde. „Jedes Jahr wurde durch die Praxis rund eine Million Euro erwirtschaftet, eigentlich lief das Geschäft gut.“ So steht es in seinem Bericht. Auch er wollte mit der Prokuristin über die verschwundenen Finanzmittel sprechen. „Sie ist flüchtig, sie war für uns leider nicht mehr greifbar“, sagt der Insolvenzberater vor Gericht. „Wir haben aber herausgefunden, dass sie gar keine Steuerfachkraft ist, so wie sie das behauptet hat. So viel wissen wir.“ Auch die Steuerfahndung suche sie, wegen mehrerer offener Verfahren.

Vom Angeklagten selbst hat der Insolvenzberater auch keine gute Meinung: „Er verweigerte eigentlich durchgehend die Zusammenarbeit. Normalerweise versuchen wir, dafür zu sorgen, dass der Praxisbetrieb während der Abwicklung der Insolvenzverfahren weiterlaufen kann. Das war wegen der fehlenden Bereitschaft zur Zusammenarbeit leider nicht möglich.“

Die betrogenen Firmen sind sichtlich sauer auf den Zahnarzt

Im Prozess kommen auch Vertreterinnen der geschädigten Labortechnikfirmen zu Wort. Eine der Zeuginnen ist die Geschäftsführerin – sie ist sichtlich sauer auf den Angeklagten: „Ich habe mich verarscht gefühlt. Ich habe eine lange Zündschnur, hier war sie leider zu lang. Der Firma der Geschädigten schuldet der Angeklagte 46.000 Euro.

Auch die Vertreterin der zweiten geschädigten Firma findet klare Worte: „Wissen Sie, für eine große Firma wie unsere sind diese 9000 Euro, die uns der Angeklagte schuldet, nicht existenzgefährdend – für kleinere Labore wären solche Einbußen aber sicherlich ein großes Problem.“

Amtsgericht Norderstedt: Ehe des Zahnarztes ist in die Brüche gegangen

Der 55-Jährige gibt zerknirscht zu verstehen, dass er die volle Verantwortung für alles trage, er sei einfach zu blauäugig gewesen. Auch seine Ehe sei aufgrund der Insolvenzverfahren in die Brüche gegangen, er bereue sehr, was er seiner Frau und auch seinen Kindern angetan habe.

„Was meiner Frau zugestoßen ist, auch durch meine Schuld, ist unverzeihbar.“ Er wolle einfach nur, dass er endlich einen Schlussstrich unter alles setzen könne, wolle einen Neuanfang. Zurzeit arbeit der Angeklagte seinen Angaben zufolge als Angestellter in einem zahnmedizischen Betrieb. „Ich liebe trotz allem noch meinen Job, und ich würde gerne weiter darin arbeiten“, sagt er.

Am Montag, 17. Juli, 9 Uhr, wird der Prozess vor dem Amtsgericht Norderstedt fortgesetzt.