Nahe. Naher Auferstehungskirche lud zur Regenbogen-Feier. Wie eine lesbische Vikarin die biblische Schöpfungsgeschichte deutete.

Vor der Tür begrüßt eine Seifenblasen-Pustemaschine die Gäste mit ihren bunt glitzernden, durchsichtigen Kugeln, im Foyer steht Vikarin Julia Issa, gleich dahinter Kantorin Daniela Hellwig mit einigen Sängerinnen der jungen Pop- und Gospelkantorei der Auferstehungskirche Nahe. Sie alle strahlen vor Vorfreude und laden zu einem ganz besonderen Gottesdienst ein – zum queeren Gottesdienst. Es ist eine Premiere in der Kirche an der Mühlenstraße gegenüber dem Jugend- und Familienzentrum Nahe.

Der erste Pride-Gottesdienst in der Naher Kirche steht unter dem Motto „Coming in – Komm so, wie du bist und bring alles an dir mit“ und lädt alle Menschen in die protestantische Kirche ein. Egal, ob Hetero oder Homo, binär oder queer, bisexuell, Frau oder Mann, ob schwarz, weiß, gelb oder rot oder dazwischen.

Glaube: „Gott ist queer!“ – Erster Pride-Gottesdienst auf dem Dorf

„Die Zeit ist vorbei, ihr kriegt uns nicht klein, denn da, wo wir sind, wird immer Liebe sein“, lautet die Ansage an alle, die Menschen nach alten Mustern in Schubladen stecken wollen. In Nahe gibt es auch die Initiative „Nahe ist bunt – weltoffen, tolerant, solidarisch“ gegen Ausgrenzung und Einschüchterung, für Integration, Inklusion und ein angstfreies Gemeindeleben.

Im traditionellen Talar, mit Schuhen in Regenbogenfarben und Regenbogenmuster auf dem weißen Bäffchen tritt Vikarin Julia Issa vor den Altar und leitet den Gottesdienst: „Wir feiern ein Fest der Vielfalt für alle queeren Menschen und für alle, die zu ihnen gehören.“ Vor zwei Jahren sei sie mit ihrer Ehefrau Yvonne Issa in Nahe angekommen uns trat ihr Vikariat an. „Die Reaktionen auf uns waren so selbstverständlich, und wir sind in Nahe gut aufgenommen worden“, sagte die 43-Jährige aus Achim bei Bremen.

„Erhöhte Aufmerksamkeit“ bei öffentlichen Küssen

Andererseits spüre sie doch eine erhöhte Aufmerksamkeit, wenn sie mit ihrer Ehefrau Hand in Hand gehen würde, wenn sie sich öffentlich einen Kuss geben würden. „Wir müssen also noch viele Pride-Feste feiern, bis die ganze Gesellschaft uns als selbstverständlich akzeptiert“, sagte die Theologin.

Während des modernen Kirchenlieds „Komm, wie du bist“ ziehen die Sängerinnen und Sänger des Chores bunte Bänder von der Disco-Kugel, die mitten in der Kirche glitzert, quer durch das Kirchenschiff. „Gott ist queer“ beginnt Julia Issa ihre Predigt nach der Bibellesung des langjährig an der Auferstehungskirche wirkenden Pastors Ekkehard Wulf.

Queere und Heteros – sie sprechen zwei Sprachen

„Die queere Szene hat eine ganz eigene Sprache, die Heteros oft nicht verstehen“, beobachtet sie und erklärt, dass Queersein ein Sammelbegriff sei für alle Menschen, die eben nicht hetero sind. „Doch wie kommen wir zueinander, wenn wir verschiedene Sprachen sprechen und uns nicht verstehen?“, schlussfolgert die künftige Pastorin.

„Mein Queersein führt dazu, dass ich Gott ganz anders deuten muss“, fährt sie fort. Denn „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“ So steht es im Ersten Buch Mose, Kapitel 1, Vers 27. So allerdings hat es Martin Luther aus der Tora (Altes Testament) übersetzt, und der war bekanntlich ein Antisemit.

Fürbitten für alle, die Hass und Ausgrenzung erfahren

„Gott ist Mann und Frau und alles dazwischen, und ich bin überzeugt, Gott lässt sich nicht in eine Kategorie pressen“, sagt Julia Issa und ergänzt: „Wir haben alle Farben des Regenbogens“. Zudem fordert sie, nicht übereinander, sondern miteinander zu reden und einen respektvollen Umgang miteinander zu pflegen.

Entsprechend dem Motto des Queer-Gottesdienstes sprach die Vikarin mit den jungen Chorsängerinnen auch die Fürbitten für alljene, die unter Ausgrenzung, Hass und Zurückweisung leiden, und für alle Eltern, die mit ihren Kindern für manche nicht in die Gesellschaft passen würden.

Glaube: Queerer Gottesdienst in Norderstedt geplant

Von der Norderstedter Vicelin-Schalom-Kirche kamen Michael Hein (Vorsitzender Kirchengemeinderat v. l.), Susanne Mieding, Mirko Hein, Pastorin Heike Shelley, Stefan Schmidt-Brockmann und Gudrun Rieffel zum queeren Gottesdienst.
Von der Norderstedter Vicelin-Schalom-Kirche kamen Michael Hein (Vorsitzender Kirchengemeinderat v. l.), Susanne Mieding, Mirko Hein, Pastorin Heike Shelley, Stefan Schmidt-Brockmann und Gudrun Rieffel zum queeren Gottesdienst. © Heike Linde-Lembke

Die Gemeindeglieder umarmten ihre Vikarin voll Bewunderung für diesen ersten queeren Gottesdienst, den sie mit Kantorin Daniela Hellwig, Pianistin Elisa Meyer-Bohe und 20 weiteren Gemeindegliedern organisierte. Auch einige Vorstandsmitglieder der Norderstedter Vicelin-Schalom-Kirche nahmen an dem Gottesdienst in Nahe teil. „Wir wollten einmal sehen, wie die Naher Kirche einen Pride-Gottesdienst feiert“, sagte Vicelin-Pastorin Heike Shelley.

Denn die Norderstedter wollen es der Gemeinde in Nahe nachmachen: In der Vicelin-Schalom-Kirche (Immenhorst 3) soll unter der Leitung von Kirchengemeinderat Michael Hein am Freitag, 21. Juli, von 19 Uhr an, ein queerer Gottesdienst gefeiert werden – ehe am Sonnabend darauf, 22. Juli, der 2. Norderpride um 13.30 Uhr mit einem Umzug durch die Stadt auf dem Norderstedter Rathausmarkt startet.