Norderstedt. Mit Popmusik und Discokugel: Sonntag gibt’s in Nahe einen besonderen Gottesdienst. Was die Besucher und Besucherinnen erwartet.
Auf die kleine Gemeinde Nahe kommt etwas ganz Neues zu. In der Auferstehungskirche wird am Sonntagabend ein Gottesdienst gefeiert, wie es ihn dort noch nie gegeben hat – und zwar ein „queerer“ Gottesdienst. Also eine Messe, die explizit alle Menschen in den Mittelpunkt stellt, die sich nicht als heterosexuell definieren, beziehungsweise sich nicht in traditionellen Geschlechterrollen zu Hause fühlen. Eingeladen ist aber natürlich jede und jeder – und vor allem soll es ein fröhliches Fest werden.
Federführend bei der Organisation sind Vikarin Julia Issa (43) sowie Kantorin Daniela Hellwig (37) und Pianistin Elisa Meyer-Bohe (38). Die drei werden dann noch von mehr als 20 Personen aus der Kirchengemeinde unterstützt. „Wir freuen uns schon wahnsinnig auf den Gottesdienst!“, sagt Julia Issa.
Evangelische Kirche: Erster queerer Gottesdienst in der Dorfkirche Nahe
Die Messe am Sonntagabend wird in vieler Hinsicht unkonventionell. Es soll ein Abend mit viel Musik werden. Choräle werden eher nicht gesungen, dafür „neuere Kirchenlieder und auch Popmusik“, wie Daniela Hellwig sagt. Viele Lieder wurden thematisch passend zum Abend gewählt, und so wird etwa „Born this Way“ von Lady Gaga zu hören sein. Und in der Kirche wird eine Discokugel zum Einsatz kommen – auch das dürfte eine Premiere sein.
Weiterhin sind einige besondere Aktionen geplant, so können sich Paare oder Einzelpersonen während des Gottesdienstes segnen lassen. „Jeder soll spüren, dass er ein gewolltes Gotteskind ist!“, sagt Julia Issa. Der Gottesdienst soll queere Menschen aller Altersstufen sichtbar machen, ihnen Kraft geben und eben zeigen, dass sie Teil der Christengemeinschaft sind.
Vikarin Julia Issa ist selbst mit einer Frau verheiratet
Für Julia Issa, die aus Achim bei Bremen stammt, ist das ein ganz persönliches Anliegen. Denn sie ist mit einer Frau verheiratet, lebt mir ihr seit 2021 in Nahe. Sie betont, dass sie in der ländlichen Gemeinde noch nie angefeindet worden sei, auch die evangelische Kirchengemeinde sei „sehr offen“. Pastor Ekkehard Wulf habe man von diesem Gottesdienst nicht überzeugen müssen – ganz im Gegenteil.
Aber warum ist dann ein Gottesdienst speziell für queere Menschen überhaupt notwendig? Es gebe auch in der evangelischen Kirche „sehr konservative Kräfte“, sagt Julia Issa. Und vor allem gebe es eine Tendenz in der Gesellschaft, die ihr Sorgen bereite. Es geht um Hass auf queere Menschen, um Intoleranz und gezielte Bedrohungen.
In Spremberg flog ein Brandsatz gegen eine Kirche mit Regenbogenfahne
Julia Issa nennt nur zwei aktuelle Beispiele, beide stammen aus diesem Juni. In dem Ort Spremberg in Brandenburg, gelegen zwischen Cottbus und Hoyerswerda, flog ein Brandsatz gegen eine Regenbogenfahne, die an dem Glockenturm einer Kirche aufgehängt war. Und beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg hielt Quinton Ceasar eine Predigt, Pastor aus Wiesmoor bei Wilhelmshaven. Er wurde massiv dafür im Internet angegriffen und bedroht, nachdem er gesagt hatte: „Gott ist queer.“
Aus der Sicht von Julia Issa seien solche Taten nicht repräsentativ für die Haltung der Mehrheit. Vielmehr seien es meistens „einzelne, laute Schreihälse“. Das Problem sei aber: „Manche lassen sich dadurch übertönen und auch einschüchtern.“ Deshalb wolle man mit diesem Gottesdienst ein Zeichen setzen. „Es ist ganz wichtig, dass die Kirche Haltung zeigt“, sagt Julia Issa.
Vorbild: Steffen Paar, früher Pastor in Sülfeld und heute Propst
Haltung zeigen und auch neue, unkonventionelle Wege gehen – dafür steht auch der Geistliche Steffen Paar. Der 43-Jährige, mittlerweile Propst im Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf, war bis Ende 2022 Pastor im benachbarten Ort Sülfeld. Paar ist verheiratet mit einem Mann, steht schon deshalb für gesellschaftliche Vielfalt in der Kirche. Aber vor allem machte er mit kreativen Ideen auf sich aufmerksam, die alle den Sinn hatten, neue Bevölkerungsschichten für die Kirche und den Glauben zu begeistern. So organisierte er Schlager-Gottesdienste, Gottesdienste in Supermärkten und viele weitere besondere Aktionen – unter anderem war er auch vor Kurzem Schirmherr des ersten Christopher Street Days in Kellinghusen im Kreis Steinburg.
„Steffen Paar hat uns Wege geebnet“, sagt Julia Issa. Und nun möchte sie selbst mit dem queeren Gottesdienst die Kirche noch ein Stück weiter öffnen – und eben auch Menschen begeistern, die sich sonst vielleicht nicht unbedingt von der Kirche angezogen fühlen. „Eine ältere Frau hat geklatscht, als ich in der Gemeinde von der Idee des Gottesdienstes erzählt habe. Das hat mich berührt“, sagt sie.
Die Messe am Sonntagabend ist auch Julia Issas Abschiedsgottesdienst
Wie Steffen Paar, ist auch Julia Issa durch ihre offen gelebte Homosexualität ein Vorbild. „Dass ich hier bin mit meiner Frau und das offen lebe, macht es auch leichter für queere Konfirmandinnen und Konfirmanden, zu sagen: ,Ich mag lieber Mädchen’ beziehungsweise ,ich mag lieber Jungs’.“
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Bald wird die Kirchengemeinde allerdings auf ihre Vikarin verzichten müssen. Denn der Gottesdienst ist gleichzeitig Julia Issas Abschiedsgottesdienst. Ihr Vikariat – also die zweijährige Ausbildung zur Pastorin – endet. Und danach, so ist es üblich, geht es in eine andere Gemeinde. Wo ihre neue Stelle sein wird, weiß Julia Issa allerdings noch nicht. „Erst einmal wird am Sonntag gefeiert!“, sagt sie.
Gottesdienst „Coming in – Komm so, wie du bist“, Sonntag, 9. Juli, 18 Uhr, Auferstehungskirche, Mühlenstraße 11 in Nahe.