Norderstedt. Im Neubaugebiet „4 Höfe“ an der Ulzburger Straße entsteht ein landesweites Vorzeigeprojekt. Was daran so besonders ist.
Wie können in Zukunft große Bauvorhaben so realisiert werden, dass möglichst wenig Treibhausgase dabei anfallen? Und wie lässt sich das machen, wenn auch noch kostengünstig gebaut werden muss – wie im sozialen Wohnungsbau? Diese Fragen werden jetzt unter ganz realen Bedingungen erforscht – in Norderstedt, im Wohnquartier „4 Höfe“ an der Ulzburger Straße.
Bei den „4 Höfen“, gelegen in der Nähe des Vitalia-Gesundheitszentrums, handelt es sich um eines der größten, wichtigsten Neubauprojekte Norderstedts. Rund 300 Wohnungen werden hier gebaut, auf vier Baufeldern. Federführend ist das Unternehmen „Behrendt & Struck Wohnwerte“.
Die Firma aus Kellinghusen hatte die Grundstücke gekauft und entwickelt sie auch. Es entstehen Eigentumswohnungen, Mietwohnungen und auch besondere Seniorenwohnungen. Angrenzend an das Gelände ist auch ein neues Kino geplant, aber das ist ein anderes Projekt.
Norderstedt: Pilotprojekt – Wie man 71 klimaschonende Sozialwohnungen baut
Eines der vier Baufelder hat Behrendt & Struck nun an die Firma „Blu“ verkauft, eine Tochter des Hamburger Bauunternehmens „Aug.Prien“. Und Blu wird nun auf dem Gebiet architektonisches Neuland beschreiten, 71 Sozialwohnungen auf ungewöhnliche Weise bauen.
Das Projekt soll Schule machen, Modell für viele andere Zukunftsprojekte werden. Die Bedeutung hat auch das Land Schleswig-Holstein erkannt und das Projekt zu einem landesweiten Modellvorhaben ernannt.
Die Eckdaten des Bauprojekts präsentierten die Macher am Mittwochabend in der Freien Akademie der Künste in Hamburg, vor rund 200 Gästen aus der Branche und aus der Politik. Bauherr Carsten Joost, Geschäftsführer von Blu, stellte dabei erst einmal sein eigenes Unternehmen vor. Denn die Tochter von Aug.Prien gibt es erst seit gut einem Jahr. „Wir bauen nur Pilotprojekte. Und das ist unser erstes“, sagte Joost.
Die neue Firma Blu wird Eigentümer und Vermieter der 71 Sozialwohnungen
Bei dem Projekt in Norderstedt, das unter dem Namen „UBS4“ firmiert, wird Blu nach Fertigstellung auch als Eigentümer und Vermieter agieren. Die Langfristigkeit ist Programm, denn man will aus dem Vorhaben viel lernen – über Jahrzehnte. „Wir wollen herausfinden, wie möglichst viel CO2-Einsparung im sozialen Wohnungsbau möglich ist“, sagte Joost.
Auf dem rund 4000 Quadratmeter großen Baufeld 4 werden nun drei vier- bis fünfgeschossige Gebäude entstehen, für die insgesamt 71 Wohnungen. „Ein langer Gebäuderiegeln wird an der Ulzburger Straße stehen, die anderen Gebäude an der Bahnlinie“, so Joost.
Zuerst entsteht ein Holzskelett, dann wird mit neuartigem Beton gebaut
Besonders an dem Bau sind erst einmal die Materialien. Und zwar wird, anders als sonst üblich, in Holz-Skelettbauweise gebaut. Außerdem soll ein neuartiger Beton zum Einsatz kommen, genannt Geopolymerbeton.
„Damit wurde in Deutschland noch nie ein Haus gebaut. Wir müssen uns das Verfahren erst noch genehmigen lassen“, so Joost. Anders als bei anderen Beton-Arten, kommen Zusatzstoffe aus der Natur zum Einsatz, oder Rückstände aus der Industrie – zum Beispiel Flugasche von Kraftwerken.
Die Gebäude werden eine selbsttragende Verblend-Fassade bekommen, in Rotklinker-Optik. Und hier soll auch möglichst Recycling-Klinker zum Einsatz kommen. Balkone werden die Wohnungen auch bekommen, und zwar „Stahl-Vorstellbalkone“. Außerdem könnte bei den Balkonen der Werkstoff Carbonbeton zum Einsatz kommen. Bei der Dämmung soll auf Zellulose statt Mineralwolle gesetzt werden.
Energieversorgung: Keine Fernwärme, sondern Fotovoltaik und Wärmepumpe
Anders als die anderen Gebäude im Quartier 4 Höfe, bekommen die Häuser im Gebiet von Blu keine Fernwärme, sondern eine ganz eigene Energieversorgung. Und zwar über Fotovoltaikanlagen auf dem Dach, gekoppelt mit einer großen Wärmepumpe, die sich ebenfalls ganz oben im Gebäude befinden wird. Das Quartier bekommt auch eine Tiefgarage, mit Stellplätzen für 40 Autos und 142 Fahrräder sowie mit 71 Abstellräumen.
Eine weitere Besonderheit des Bauprojekts: Es wird sehr viel auf Standardisierung und Bauelemente gesetzt, die schon fertig angeliefert werden. Einer der Gründe: „Wir glauben, dass das Arbeiten auf der Baustelle in Zukunft immer weniger wird“, sagte Joost. Das liege unter anderem am Fachkräftemangel. Und außerdem spare die standardisierte Bauweise CO2.
Neun verschiedene Standardwohnungen, zwischen 50 und 100 Quadratmeter groß
Bei Blu hat man sich deshalb neun verschiedene Standard-Typen von Wohnungen ausgedacht, zwischen 50 und 100 Quadratmeter groß. Sie werden alle die gleiche Küche bekommen und auch alle das gleiche Bad. Und das wird extern in einer Fabrik hergestellt, bei dem Hersteller Schwörer Fertigbäder in Berlin. Partner im Bereich Holz ist die Baufirma Schütt mit Sitz bei Itzehoe, für nachhaltige Fahrstühle ist der Hersteller Kone aus Hannover zuständig.
Bei allen Neuerungen wird man eines nicht erreichen – dass die Gebäude vollständig klimaneutral werden. Das machte Carsten Joost deutlich. Denn bei dieser Gebäudehöhe müsste man, um das zu erreichen, an anderer Stelle große Solaranlagen aufstellen. Dafür sei aber auf dem Gelände kein Platz. Eine mögliche Lösung, die an dem Abend diskutiert wurde: Blu könnte sich in einen vorhandenen Solarpark einkaufen.
Baubeginn im Juli, schon im Herbst 2024 soll alles fertig sein
Noch ein großes Hindernis auf dem Weg zur Klimaneutralität ist die Tiefgarage. Viel günstiger wäre es, so Joost, wenn man dafür einfach das Erdgeschoss nutzen könnte, das man später dann, wenn die Leute vielleicht auf Autos verzichten, umfunktionieren könnte. Doch der Norderstedter B-Plan 314 schrieb eben eine Tiefgarage vor.
In der Norderstedter Politik gebe es eben „einige Autofans“, sagte Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder (SPD). Aber die werde man auch noch überzeugen. Sie lobte das Vorhaben als mutig und als ein „tolles Projekt für Norderstedt, bei dem wir alle nur gewinnen können.“
Schon bald sollen die Arbeiten beginnen – nämlich schon im Juli, wie Carsten Joost sagte. Schon im Oktober 2024 sollen die Wohnungen dann bezugsfertig sein. Auch auf den anderen drei Baufeldern der „4 Höfe“, für die Behrendt & Struck verantwortlich zeichnet, geht es voran.
Norderstedt: Was auf den anderen drei Baufeldern an der Ulzburger Straße passiert
Au dem Baufeld 3 entstehen 83 Mietwohnungen, davon 40 sogenannten Service-Wohnungen für Senioren. Außerdem wird eine Kita gebaut. „Die Arbeiten haben begonnen, die Keller sind schon fertig“, sagte Geschäftsführer Sönke Struck dem Abendblatt. Das Unternehmen werde künftig auch Vermieter sein.
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Auf dem Baufeld 2 – hier werden 70 Mietwohnungen gebaut – werde 2024 mit den Arbeiten begonnen. Auf dem Baufeld 1, das an das Gesundheitszentrum Vitalia und an die Heidbergstraße angrenzt, entstehen 59 Eigentumswohnungen. „Da beginnt im Spätherbst der Bau. Aber die Vermarktung der Wohnungen hat schon begonnen“, so Sönke Struck. Nähere Infos dazu gibt es unter www.struck-wohnbau.de.