Norderstedt. Schauspieler Markus Kiefer machte sich für den „Bericht für eine Akademie“ zum Affen Rotpeter – und zwar herausragend.

Vielen Kulturvereinen drohte nach Corona das Aus. Mitglieder gingen, Vorstände legten ihre Ämter nieder, das Publikum blieb aus. So auch beim Norderstedter Kulturverein Malimu. Doch der vor 35 Jahren gegründete Kulturträger Norderstedts, der aus den drei Sparten Malerei, Literatur und Musik besteht, erfand sich neu. Und jetzt legte der Verein mit einer herausragenden Literatur-Veranstaltung einen fulminanten Neustart hin.

Mit dem „Bericht für eine Akademie“ von Franz Kafka gastierte der Schauspieler Markus Kiefer im „Alfred Stern Studio“ im Kulturwerk. Kiefer machte sich die Hauptfigur, den Affen Rotpeter, voll zu eigen. Und blieb doch er selbst. Kiefer reagierte auf das Publikum wie ein Seismograph, ohne seine Kafka-Rotpeter-Linie zu verlassen. Andererseits weitet er Kafkas Akademie-Bericht um Zitate aus, die nach Kafka entstanden sind, beispielsweise „Arbeit macht frei“, dieser Spruch, der zynisch über dem Eingang des NS-Todeslagers Auschwitz steht.

Theaterkritik: „Kammerspiel vom Feinsten“ – Toller Kafka-Abend im Kulturwerk

Markus Kiefer ging in der Rolle des Rotpeter völlig auf.
Markus Kiefer ging in der Rolle des Rotpeter völlig auf. © Heike Linde-Lembke

Er stellte dieser Nazi-Parole „Die Gedanken sind frei“ aus Beethovens „Ode an die Freude“ voran und setzte „Einigkeit und Recht und Freiheit“ als Schlusssatz. Damit gelingt Markus Kiefer eine Verbeugung vor Franz Kafka und dessen Kampf gegen den Judenhass, den Kafka in Prag erfahren musste.

Gebeugt in Affenhaltung kam Markus Kiefer als Rotpeter durch die Tür, humpelte zum Klavier, schlug hohe Töne an, dann niedrige. Klackerte mit den Steppschuhen, hüpfte aufs Podium, kratzte das Stuhlpolster, grunzte. Drehte sich um. Fixierte mit resigniert-ernstem Blick das Publikum. Spätestens jetzt verstummte jedes Geräusch.

Intensives Spiel auf der Bühne bannt das Publikum

Der raue Industrie-Charme des Alfred-Stern-Studios passte gut zur Aufführung
Der raue Industrie-Charme des Alfred-Stern-Studios passte gut zur Aufführung © Heike Linde-Lembke

„Hohe Herren von der Akademie...“ Mit rauer Stimme, in gebeugter Haltung, rezitierte Markus Kiefer Franz Kafkas Erzählung, die zuerst 1917 in der Zeitschrift „Der Jude“ erschienen ist. In schwarzem Anzug mit weißem Hemd setzte er Rotpeters Geschichte vom ersten Schuss über die enge Transportkiste auf dem Hagenbeck-Dampfer bis nach Hamburg in Szene, wo Rotpeter vor der Wahl stand: Zoo oder Varieté.

Der Affe hatte durch die Schiffsbesatzung das Menschwerden gelernt und entschied sich für das Varieté. So wie Rotpeter in Kafkas Erzählung ließ auch Kiefer sein Publikum in sein Spiegelbild schauen. Markus Kiefer näherte den einst zwar eingesperrten, aber stolzen Menschenaffen immer mehr einem Menschen an, indem er ihn demaskierte, zum Menschen degradierte, den Widerwillen vor dem Gestank von Alkohol überwinden ließ, zum Gejohle des Menschen-Publikums.

Theaterkritik: Der stolze Menschenaffe wird zum Mensch degradiert

Der freie Schauspieler Kiefer spielt das Kafka-Stück schon seit Jahren.
Der freie Schauspieler Kiefer spielt das Kafka-Stück schon seit Jahren. © Heike Linde-Lembke

Das macht Kiefer so zwingend, dass die 50 Zuschauerinnen und Zuschauer seinem szenischen Spiel gebannt folgten. Immer wieder senkte er seine stoischen, verzweifelten, arroganten und Abscheu zeigenden Blicke direkt ins Publikum, rezitierte mit heiserer Stimme den Text, mal flüsternd, mal brüllend, sprang explosiv auf, schrie, hinkte ans Klavier, spielte ein paar Töne, riss sich das Hemd auf, zog die Schuhe wieder an. Und ging gebeugt hinkend wieder hinaus. Das waren eineinhalb Stunden Kammerspiel vom Feinsten.