Norderstedt. Theater Thespiskarren gastierte mit Produktion des Ernst-Deutsch-Theaters nach Daniel Kehlmanns Roman in Norderstedt.
Das Tournee-Theater Thespiskarren, für spektakuläre Aufführungen historischer Stoffe bekannt, führte „Tyll“, eine Produktion des Hamburger Ernst-Deutsch-Theaters nach dem gleichnamigen Roman von Daniel Kehlmann, im Norderstedter Kulturwerk auf. Wieder sind Bühnenbild (Ion Itoafa) und Kostüme (Susi Sachs) opulent.
Das Schauspiel-Team spielt teilweise bis zu sieben Rollen inklusive rasantem Kostümwechsel vom Knecht zum König, von der ehrenwerten Jungfrau zum Wolf, vom Dichter zum Diplomat. Dieses rasante Tempo bestimmt die gesamte Inszenierung. Trotzdem bleibt die Handlung klar. Das Tempo erhöht die Spannung, macht das Elend der leibeigenen Landleute noch leidvoller und das Spiel noch intensiver.
Theaterkritik: Tyll – ein Schelmenstück über Machtgier und Kriegsgeilheit
Das Land ist zerstört, die Menschen hungern. Die Fürsten von Staat und Kirche sorgen dafür, dass ihre Untertanen ungebildet bleiben und ihre Macht nicht stören. Die Menschen werden ausgebeutet. Wer, wie der Müller, Bücher liest und Menschen heilt, wird der Ketzerei bezichtigt, gefoltert und ermordet. Zwei, die das nicht mehr wollen, sind Tyll und Nele. Sie fliehen aus dem Elend und wollen nach England. Doch dort kommen sie nie an. Stattdessen quälen sie sich durch das vom Krieg verbrannte Land.
Die Bühnenfassung des Kehlmann-Romans schrieb Erik Schäffler, der auch den alten Tyll spielt. Till Eulenspiegel, dieser Hofnarr, Vagant, Schausteller und Provokateur, der 1618 erstmals durch seine Kunststücke auffällt. Er ist der Sohn des Müllers, der mehr sein will, als die katholische Obrigkeit erlaubt, einer, der lesen kann, ein Heiler, ein Welterforscher. Solcher Menschen entledigte sich die Kirche, indem sie Geständnisse durch Folter erzwang, und die Menschen dann als Ketzer verurteilte und ermordete.
Schlaue Bauern, vergeistigte Dichter und zwielichtige Drachenforscher
Sohn Tyll flieht mit Nele vor den christlichen Barbaren – und findet sich in den blutigen Schlachten des 30-jährigen Kriegs wieder. Sie treffen den Prager Winterkönig und seine englische Königin Elizabeth Stuart, bigotte Mönche und schlaue Bauern, vergeistigte Dichter und zwielichtige Drachenforscher.
Erik Schäffler ist als alter Tyll allgegenwärtig auf der Bühne, sogar dann, wenn er nicht spielt. Der Schauspieler, der 25 Jahre den Hamburger Jedermann gab, ist die mystische Brachial-Figur aus dem 17. Jahrhundert, der auch noch im 21. Jahrhundert lebt, der Welt den Gaukler-Spiegel vorhält und den Drachen zähmt. Narren sind sie, Narren bleiben sie, machtgierig und kriegsgeil. Das gibt der 62-Jährige teils verschlagen, teils komödiantisch, immer aber mit hoher Intensität.
Theaterkritik: Erik Schäffler spielt einen verschlagenen, lustigen Tyll
Sein junges Alter Ego ist Rune Jürgensen. Der 38-Jährige aus Eckernförde spielt beeindruckend auf der Klaviatur des unbekümmerten bis zum von kirchlicher Willkür bedrohten Jungen und stellt den Ausbruch zum Revoluzzer überzeugend dar. Seine Gefährtin ist Alina Hidic. Die Kieler Schauspielerin zieht alle Register vom unschuldigen Mädchen über die Hure bis zur selbstbewussten Frau.
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Die wandlungsfähige Mignon Remé fasziniert im ersten Teil als Tylls resolute Mutter, im zweiten als Elizabeth Stuart und letztlich als Alte. Fein und leicht vergeistigt spielt Frank Jordan Tylls Vater Claus, dessen Verzweiflung unter der Folter das Publikum hörbar anfasste. Als rechter Widerling gibt Oliver Hermann den Jesuiten, den Narren Pirmin und den Schwedenkönig Adolf. Wahrlich als bunter Vogel mit Akkordeon belebt Axel Pätz in der Rolle des Bänkelsängers die Bühne, die das Elend des 30-jährigen Kriegs symbolisiert. Zum Schluss stirbt der Drache. Der Krieg wütet weiter. Bis heute.