Norderstedt. Großer Report für 2022: Mehr Verletzte und viele Schwerpunkte. Das sind mögliche Ursachen. Was nun getan werden könnte.

Verkehrsunfälle gehören in einer Stadt wie Norderstedt zur täglichen Realität. Das war auch 2022 nicht anders. Doch die nun veröffentlichte Auswertung, die der Politik im Hauptausschuss am 22. Mai (18.15 Uhr, Sitzungsraum 2 im Rathaus) präsentiert wird, zeigt nicht nur einen Negativtrend auf – sondern einen der bisher höchsten Werte überhaupt. 1920 Unfälle wurden im Vorjahr erfasst, das sind pro Tag rund fünf.

Zum Vergleich: 2021 waren es 1736, im Lockdown-Jahr 2020 gab es 1766 Unfälle, 2019 – also vor Corona – 2058 und 2018 sogar 2189. Wer etwas weiter zurückgeht, findet 2014, 2013 und 2010 noch einmal Ausreißer (1659, 1654, 1632), ansonsten aber durchweg weniger als 1500 oder teils sogar 1400.

Starker Anstieg: Pro Tag fünf Verkehrsunfälle in Norderstedt

In der umfangreichen Analyse versucht die Verkehrsaufsicht, Erklärungen zu finden. Zuvor hatte die Unfallkommission mit Beteiligung von Verwaltung, Polizei und dem Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr Ende April getagt.

„Die Unfälle, insbesondere mit Verletzten, haben im letzten Jahr zugenommen. Dieser Umstand lässt sich nach Auffassung der Polizei mit dem zunehmenden Verkehr mit Auslaufen der Pandemie begründen. Allerdings stellt die Unfallkommission fest, dass die reinen Unfallzahlen nicht ausreichen, um tatsächlich Rückschlüsse auf die Entwicklung des Unfallgeschehens zu ziehen“, heißt es.

Und: „Es fehlen hierfür Zahlen beispielsweise über Kfz-Zulassungen und Verkehrsdichte, die hierzu in Relation zu setzen sind. Nach wie vor arbeiten viele von zu Hause im Homeoffice, so dass die Verkehrsmenge noch nicht die Vor-Coronazeiten erreicht haben dürfte.“

Norderstedt: Über 400 verletzte Personen bei Unfällen

Todesfälle gab es glücklicherweise keine, dafür aber 24 schwer verletzte Personen – neun weniger als 2021 – und 368 leicht verletzte Personen (108 mehr als 2021). Nicht jeder Unfall ist gleich, es gibt mehrere Kategorien: P1 (mindestens eine verletzte oder verstorbene Person), davon gab es 312.

S 1 mit einer Straftat im Straßenverkehr als Ursache (22-mal), S 2 (Ursache: bedeutende Ordnungswidrigkeit; 168-mal). Diese drei Bereiche sind aufnahmepflichtig. Dazu kommt S 3, das sind alle Bagatellsachen mit Sachschaden wie Auffahrunfälle, Fehler beim Anfahren oder abgekommen von der Fahrbahn. Auch das fließt in die Statistik ein, es ist mit 1418 Fällen der größte Anteil.

Der zweispurige Kreisverkehr am Ochsenzoll weist ein diffuses Unfallbild auf. Allerdings sind hier die Zahlen sogar vergleichsweise gering, verglichen mit dem sehr hohen Verkehrsaufkommen.
Der zweispurige Kreisverkehr am Ochsenzoll weist ein diffuses Unfallbild auf. Allerdings sind hier die Zahlen sogar vergleichsweise gering, verglichen mit dem sehr hohen Verkehrsaufkommen. © Christopher Mey

Zugenommen haben Unfälle in Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol oder anderen Rauschmitteln (insgesamt 34). Geschwindigkeitsüberschreitungen sind eher selten eine Ursache, dafür wird etwas anderes hervorgehoben: „Unfälle, die sich aufgrund von Verkehrsverstößen ereignen, insbesondere bei den Radfahrern durch Fahren auf der linken Seite und Nutzung von Fußwegen.“

„Radfahrer nehmen Verkehrsverstöße wissentlich in Kauf“

Es gab daher den Vorschlag, hier doch vermehrt zu kontrollieren. Doch die Antwort ist ernüchternd: „Die Polizei berichtet, dass Kontrollen ergeben, dass viele Radfahrer Verkehrsverstöße wissentlich in Kauf nehmen. Die Regeln seien bekannt, würden aber nicht eingehalten werden.“ Eine Alternative: Verwarngelder statt Belehrungen.

Der LBV regte an, doch den ÖPNV zu fördern – doch aus Sicht der Stadt sei dieser bereits gut ausgebaut, die Takte seien gerade erst verdichtet worden, man sei „schon an den Grenzen der Belastbarkeit“.

Norderstedt: Kreisverkehre bleiben Unfallschwerpunkte

Es gibt in Norderstedt diverse Bereiche mit einer Häufung von Verkehrsunfällen – manche sind bekannt, andere haben sich als neue Schwerpunkte erwiesen. Einige Beispiele: Das größte Problem stellen weiterhin Kreisverkehre dar. Rund um den Knoten am Ochsenzoll krachte es viermal nach unzulässigen Wendemanövern bei der südlichen Tunnelausfahrt – und das trotz verlängerter Betonwand, Pollern und Leitschwellen.

Erstmals als Häufungsstelle genannt wird die Kreuzung Ulzburger Straße/Wiesenstraße, die auch der Abbieger zum Arriba-Erlebnisbad ist.
Erstmals als Häufungsstelle genannt wird die Kreuzung Ulzburger Straße/Wiesenstraße, die auch der Abbieger zum Arriba-Erlebnisbad ist. © Christopher Mey

Nun soll geprüft werden, ob die Parkplätze vor der Sparkasse entfallen könnten. So könnte die Spur verlegt werden, die Fahrbahnen wären weiter auseinander. Im zweispurigen Kreisel selbst sei das Bild bei den acht Unfällen „diffus“, aber es gilt auch: Für die hohe Verkehrsbelastung ist die Zahl verhältnismäßig gering.

Kreisel Berliner Allee: Vorrang für Radfahrer potenziell gefährlich?

Der Kreisverkehr Berliner Allee/Ochsenzoller Straße weist andere Probleme auf. Wegen der baulichen Gestaltung seien sogenannte „Schussfahrten“ von östlicher Richtung auf die Berliner Allee möglich. Abhilfe könnte eine verengte Fahrbahn schaffen. Und viermal waren Radfahrer betroffen auf der gegenläufigen, nördlichen Furt. Dort hat der Radverkehr Vorrang, wird aber möglicherweise zu spät gesehen.

Im Bereich Stettiner Straße/Kösliner Weg verdecken auf der Fahrbahn parkende Autos die Sicht – möglicherweise ein Grund für die Unfälle.
Im Bereich Stettiner Straße/Kösliner Weg verdecken auf der Fahrbahn parkende Autos die Sicht – möglicherweise ein Grund für die Unfälle. © Christopher Mey

Möglich wäre hier eine Versetzung hinter die Fußgängerquerung. Aber: „Es ist in Frage zu stellen, ob der Radfahrer eine solche Regelung versteht und nicht doch von seinem Vorrang ausgeht, oder ob durch die versetzte Furt der Radfahrer durch den Fußgängerüberweg geschützt wird.“

Norderstedt: Zwei Bereiche fallen erstmals auf

Bisher nicht aufgefallen war die Kreuzung Ulzburger Straße/Wiesenstraße. Doch die vier Unfälle, alle in Zusammenhang mit Abbiegen oder Einbiegen, sind eine Häufung. Hier befindet sich unter anderem die Zufahrt zum Arriba-Erlebnisbad. Vorerst werden hier aber keine Maßnahmen getroffen.

Ein weiterer spezieller Fall: Kösliner Weg/Stettiner Straße. Hier parken in der Regel mehrere Fahrzeuge auf der Straße vor den dortigen Gewerbebetrieben. Das könnte die Sicht beeinträchtigen, mutmaßt die Polizei. Hier soll es gesonderte Untersuchungen vor Ort geben.

Norderstedt: Ohechaussee-Kreuzung – Umgestaltung schwierig

Darüber hinaus werden 13 weitere Bereiche aufgelistet, die statistisch auffällig sind. Meist gibt es keine konkrete Ursache. Oder, wie bei der Kreuzung Segeberger Chaussee/Hummelsbütteler Steindamm/Hofweg, es wurde bereits eine Umgestaltung in die Wege geleitet.

Manchmal gibt es jedoch auch wenig Spielraum, wie etwa bei der etwas versetzten Kreuzung Ohechausse/Tannenhofstraße/Rugenbarg: Eine Umgestaltung scheiterte bislang an mangelnder Verfügbarkeit von Flächen. Es soll aber erneut geprüft werden – auch die Möglichkeit neuer Markierungen.

Das hohe Verkehrsaufkommen von 20.000 Fahrzeugen am Tag lässt es im Bereich Niendorfer Straße/Friedrichsgaber Weg nicht zu, dass der Radverkehr auf die Straße verlagert werden kann.
Das hohe Verkehrsaufkommen von 20.000 Fahrzeugen am Tag lässt es im Bereich Niendorfer Straße/Friedrichsgaber Weg nicht zu, dass der Radverkehr auf die Straße verlagert werden kann. © Christopher Mey

Das hohe Verkehrsaufkommen tut sein Übriges. Das zeigt der Friedrichsgaber Weg. Rund um Hökertwiete und Kirchenstraße kommt es beim Einbiegen immer wieder zu Kollisionen, auch mit Radfahrenden. Nur: Eine Querungshilfe oder ein Radweg auf der rechten Seite sind nicht machbar.

Das Fazit: „Aufgrund der hohen Verkehrsbelastung mit ca. 20.000 Fahrzeugen pro Tag kann hier auch keine Straßennutzung erfolgen. Bei zukünftigen Baustellen, die Auswirkungen auf diesen Knoten haben, ist zu prüfen, ob gegebenenfalls eine mobile Signalanlage zu stellen ist. Allerdings hätte dies große Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit.“