Norderstedt. Nach Corona gibt es hohe Krankenstände – und es fehlt Personal. Deshalb müssen ganze Gruppen geschlossen werden.
Endlich wird wieder alles normal – so lautete die Hoffnung in vielen Norderstedter Kitas, als die Corona-Pandemie abklang. Doch jetzt kämpfen viele Einrichtungen mit Folgeproblemen. Sie leiden unter einem Fachkräftemangel, der sich verschärft hat. Gleichzeitig rollen die sogenannten Post-Corona-Krankheitswellen durch das Land und sorgen für Personalausfälle. Betreuungszeiten müssen deshalb eingeschränkt werden, manchmal können Kinder tagelang überhaupt nicht in die Kita gehen.
„Wir mussten im März, zum ersten Mal in 50 Jahren, eine Gruppe komplett für eine Woche schließen“, sagt Georg Brock, Leiter der Awo-Kita „Kleine Strolche“. 20 Kinder hätten nicht betreut werden können. Die Eltern mussten sehr kurzfristig eine andere Betreuung organisieren, oder selbst auf ihre Kinder aufpassen.
Kita Norderstedt: Fachkräftemangel – Einrichtungen müssen die Betreuung einschränken
Esther Runge (39) ist die Mutter eines dreieinhalb Jahre alten Mädchens, das in diese Gruppe geht. Runge lebt mit Ehemann und einer weiteren, eineinhalb Jahre alten Tochter in Norderstedt. Sie sagt: „Wir haben keine Großeltern in der Nähe, die einspringen könnten. Also mussten wir unsere große Tochter selbst zu Hause betreuen, zusätzlich zur Kleinen.“
Esther Runge arbeitet Teilzeit in Home-Office für eine Behörde in Hamburg, zusätzlich ist sie selbstständig, im Bereich Network-Marketing. Ihr Mann (31) arbeitet in einer Norderstedter Firma als Zerspanungsmechaniker im Schichtbetrieb.
„Manchmal keine andere Wahl, als Tochter vor Fernseher zu setzen“
Beide kümmerten sich um die Kinder – der Mann nach der Schicht und Esther Runge parallel zur Arbeit, so gut es eben ging. „Malen und Hörspiele hören, das klappt so mittelgut. Die Tochter zwei Stunden vor den Fernseher zu setzen, ist auch nicht mein Wunsch. Aber manchmal bleibt keine andere Wahl.“
Letztlich bleibe in solchen Situationen vieles im Haushalt liegen, außerdem die selbstständige Arbeit. „Und dann mache ich keinen Umsatz. Obwohl wird das zusätzliche Einkommen eigentlich gut gebrauchen könnten, bei den steigenden Preisen.“
„Aktuell drei Stellen unbesetzt“, sagt der Kita-Leiter
Auch aktuell komme es vor, dass Esther Runge ihre Tochter um 13 oder 14 Uhr abholen müsse, obwohl die Betreuung eigentlich bis 17 Uhr und am Freitag bis 16 Uhr gebucht sei. Georg Brock bestätigt das. Der Grund: „Wir haben aktuell drei Stellen unbesetzt.“ Komme es dann zu Krankheitsfällen, müsse manchmal die Betreuungszeit eingeschränkt werden. Sonst könne die Aufsichtspflicht nicht gewährleistet werden.
Georg Brock: „Nach Corona hat sich definitiv etwas verändert. Die Krankenstände sind höher, und der Fachkräftemangel ist auf jeden Fall stärker spürbar.“
Norderstedter Amtsleiterin: „Viele Infektionskrankheiten nachgeholt“
Das Problem betrifft auch die neun Kitas in städtischer Trägerschaft. Sabine Gattermann, Leiterin des Amtes für Schule, Sport und Kindertagesbetreuung, sagt: „In diesem Winter haben viele Kinder und dadurch auch viele Erwachsene die Infektionskrankheiten nachgeholt.“
Es sei das eingetreten, was die Kinderärzte schon prognostiziert hatten, für die Zeit nach der Corona-Pandemie, in der durch Masken und Abstandsregelungen viele normale Infektionskrankheiten gehemmt wurden.
„Müssen immer wieder Dienste einschränken und teilweise ganze Gruppen schließen“
„Das ist auch in den unseren Kitas passiert, aber bei gleichzeitiger Erschöpfung des Systems durch Fachkräftemangel“, sagt Gattermann. „Das führt dazu, dass wir immer wieder Spätdienste und Frühdienste einschränken und teilweise ganze Gruppen schließen müssen.“
Bei dem Norderstedter Träger „Der Kinder wegen“, der sieben Kitas betreibt, kam es laut Geschäftsführer Ulf Bünning „noch nicht zu richtigen Schließungen“. Aber er sagt auch: „Wir haben einen hohen Krankenstand und spüren den Fachkräftemangel.“ Deshalb gebe es manchmal „kleinere Einschränkungen“, es falle etwa die letzte Betreuungsstunde von 16 bis 17 Uhr weg.
Kita-Geschäftsführer blickt mit Sorge auf die kommenden zehn Jahre
Wenn nun die Temperaturen wärmer würden, sinke erfahrungsgemäß auch der Krankenstand. Das bringe erst einmal Entlastung. Mit großer Sorge blickt Bünning allerdings auf die kommenden zehn Jahre. Bünning: „Da wird mir richtig blümerant.“ Denn es gebe immer mehr Kitas, bei gleichzeitig immer weniger Kräften auf dem Arbeitsmarkt.
Auch Sabine Gattermann glaubt, dass der Fachkräftemangel sich in den kommenden zehn Jahren „verschärfen“ werde, „weil die Boomer-Jahrgänge in den Ruhestand gehen.“ Auf der anderen Seite seien nicht genügend pädagogische Kräfte ausgebildet worden. „Aktuell fehlen bundesweit 98.000.“
Was die Stadt tun kann, um das Problem zu lindern
Was kann eine Stadt wie Norderstedt tun, um das Problem zu lindern und gegenzusteuern? „Wir versuchen alles, um junge Menschen für den Beruf zu begeistern“, sagt Sozialdezernentin Katrin Schmieder. So werde unter anderem das HVV-Jobticket von der Stadt Norderstedt weiterhin bezuschusst. Und der erste fertige Jahrgang der „PiA“-Erzieherinnen, die in Norderstedt gelernt haben, wurde 2022 komplett übernommen. Und das ist für 2023 auch geplant.
„PiA“ steht für „Praxisintegrierte Ausbildung“ im Erzieherberuf, 2019 startete dieses Modell am Berufsbildungszentrum Norderstedt (BBZ). Indes: Dort gibt es nach wie vor nur eine Außenstelle der Erzieherfachschule Bad Segeberg. Norderstedt wünscht sich schon lange eine eigene Erzieherschule. Das sei der „größte Wunsch“ und könne das Problem auch lindern, betonten Katrin Schmieder und Sabine Gattermann.
Aber die Zuständigkeit liegt auf der Landesebene. Und von dort heißt es bisher, dass jeder Kreis nur eine Einrichtung dieser Art haben soll.
In Hamburg können Erzieherinnen höher bezahlt werden
Noch ein Problem, das auf Landesebene liegt: In Hamburg gibt es die Möglichkeit, Erzieherinnen und Erzieher tariflich auf einer anderen Stufe anzusiedeln. Sie verdienen dann deutlich mehr als ihre Kolleginnen in Schleswig-Holstein. Das sei ein „Riesenproblem“ für eine Stadt wie Norderstedt, sagt Sabine Gattermann.
Ulf Bünning hingegen glaubt, dass die Bezahlung gar nicht einmal eine so große Rolle spielt. Aber auch er würde gerne an einer Stellschraube drehen – die ebenfalls nur auf Landesebene bewegt werden kann. Hier geht es darum, welche Berufe überhaupt in einer Kita arbeiten dürfen. Das ist in Schleswig-Holstein nämlich deutlich strenger geregelt als in Hamburg.
Ulf Bünning würde gerne mehr Berufsgruppen einstellen dürfen
„Musik- Tanz- oder Kunstpädagoginnen dürfte ich nicht einstellen. Tagesmütter ebenfalls nicht, auch dann nicht, wenn sie 20 Jahre Erfahrung haben.“ Bünning plädiert dafür, zur Linderung des Fachkräftemangels „diese Tür mit Augenmaß einen Spalt zu öffnen.“
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Einen anderen Vorschlag bringt Georg Brock ins Spiel. „Eine eigene Erzieher-Fachschule könnte Norderstedt auch in privater Trägerschaft machen.“ So ein Modell gebe es etwa in Bremen – die Vorgabe, dass der Kreis Segeberg nur eine Schule haben solle, lasse sich so umgehen.
Norderstedt: Bald können auch „Zeitarbeits-Springer“ in Kitas eingesetzt werden
Bis Vorschläge, wie diese Wirkung entfalten können, dürfte einige Zeit vergehen. Aktuell bleibt vor allem ein Weg, wie die Kitas Löcher kurzfristig stopfen können: Sie müssen auf Leiharbeitsfirmen setzen. Die Stadt Norderstedt hat schon einen internen „Springer-Pool“ für die Kitas, jetzt sollen die städtischen Kitas auch die Möglichkeit bekommen, auf externe Firmen zuzugehen.
„In Zukunft werden wir auch auf Zeitarbeits-Springer zugreifen können. Das ist auf den Weg gebracht“, sagt Katrin Schmieder.