Bad Segeberg. Steinadler „Tschitan“ war in der Kalkbergarena in Bad Segeberg ein Publikumsliebling. Nun hat er nur noch wenige Zuschauer.
Er ist ein echter Held und ein Publikumsliebling bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg gewesen. Nicht nur, dass er Winnetou in höchster Not und in letzter Sekunde die Fesseln löste, als dieser am Marterpfahl um sein Leben fürchtete. Nein – wenn Steinadler Tschitan seine Schwingen ausbreitete und majestätisch die Kalkbergarena durchflog, dann folgten die Augen von Tausenden Zuschauern nur ihm.
Publikum hat Tschitan heute nur noch selten, manchmal einige Kinder, die einen Ausflug zu ihm und den vielen anderen Mitbewohnern des Steinadlers machen. Tschitan hat es sehr ruhig in seiner Voliere – so wie es einem 34 Jahren alten Rentner auf seine alten Tage gebührt.
Karl-May-Spiele: Wo Winnetous tierischer Co-Star sein Rentnerdasein genießt
Der Steinadler lebt jetzt in der Wildtierauffangstation der Familie Heindel in Reddern, einem kleinen Dorf und Ortsteil der Gemeinde Altdöbern im Landkreis Oberspreewald-Lausitz in Brandenburg, kaum 30 Kilometer von Cottbus entfernt. Die Kalkbergarena ist weit weg, ebenso wie sein altes Leben als prominenter Karl-May-Star.
Denn das war Tschitan. Fast 10 000 Zuschauer erlebten im Juni 1999 die Premiere des Karl-May-Stückes „Halbblut“ im Freilichttheater am Kalkberg. Regisseur Pierre Brice setzte Stars wie Nicolas König als Apanatschka, natürlich Winnetou-Darsteller Gojko Mitic, Hermann Giefer als Old Shatterhand und die große Elke Sommer als „Big Mama“ in Szene. Aber die Show wurde ihnen allen von Tschitan gestohlen, wenn dieser über die Köpfe der Zuschauer hinwegrauschte. Vor allem die Kinder waren baff.
Gojko Mitic, Mathieu Carrière, Elke Sommer – Tschitan stahl ihnen allen die Show
Oder im Jahr 2000, als der „Ölprinz“ am Kalkberg inszeniert wurde, mit Mathieu Carrière, Tanja Schumann und abermals Gojko Mitic. „Wenn Winnetou vor dem mit Lichteffekten beleuchteten Kalkberg den großen Manitu beschwört, ein Rauschen durch die Lüfte geht und sich Adler „Tschitan“ auf seine Schulter setzt, hält das Publikum den Atem an“, schreibt das Abendblatt damals.
Im Indian Village, wo die kleinen Karl-May-Fans alljährlich den Wilden Westen hautnah erleben können, war der heimliche Star der Zuschauer ebenfalls am Start. Hier konnten die Kinder Tschitan aus der Nähe bestaunen und den Greifvogel selbst auf die Hand nehmen.
Altersruhesitz für Tschitan: Eine Wildtierauffangstation in Brandenburg
Förster Gernod Heindel aus Reddern hat den majestätischen Vogel vor einem Jahr aus Schleswig-Holstein in die Lausitz geholt, ein Falkner dort wurde Pensionär und suchte ein neues Zuhause für Tschitan, der auch schon in der ZDF-Serie „Forsthaus Falkenau“ Auftritte hatte.
„Eigentlich hatten wir nach Schleiereulen gesucht, aber bei der Geschichte konnte ich nicht Nein sagen“, sagt Revierförster Heindel. Vor den Krallen und dem scharfen Schnabel des betagten Steinadlers hatte er durchaus Respekt. „Inzwischen haben wir aber ein recht entspanntes Verhältnis.“ Damit das Tier seine Flugmuskulatur trainieren kann, baut ihm Heidel derzeit mit seiner Familie eine größere Voliere aus Baum-Materialien.
Ab und zu kommen noch Kinder an seine Voliere
Dass der Förster trotz des berühmten Bewohners keine Besucherströme empfängt, liegt auch daran, dass die Pflege der aufgenommenen Tiere und Waldpädagogik mit Schulklassen für ihn im Vordergrund steht. Der Tierfreund lebt mit Adler, Rehbock & Co einträchtig auf seinem Grundstück zusammen. Er und seine Familie pflegen Tiere gesund, wildern sie aus, züchten geschützte Arten oder geben Gehandicapten ein Zuhause. „Mir ist jedes Tier gleich lieb“, sagt Heindel.
1986 hatte der Diplom-Forstingenieur gemeinsam mit seiner Frau Steffani begonnen, verletzte Tiere aufzunehmen. Mittlerweile waren fast 5000 Tiere zu Gast, darunter verletzte Störche, Kraniche, Fischotter, Schwäne, Rehböcke, Seeadler – die Liste ist lang. Seine Töchter haben Fuchsbabys und kleine Marder mit der Flasche aufgezogen und sie ausgewildert.
Tschitan lebt mit Hunderten anderen Tieren in dem privaten Tierasyl
„Bis zu 370 Tiere im Jahr kommen zu uns, am Tag manchmal fünf bis sechs“, berichtet Gernod Heindel, der die Tiere neben seiner Arbeit als Revierförster ehrenamtlich betreut. Es berührt ihn, wenn Igel gebracht werden, deren Beinchen von Rasenrobotern abgefahren wurden, oder zwei auf einem Auge blinde Uhus Nachwuchs bekommen.
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Zahlreiche Tiere kann der Förster wegen ihrer Behinderung nicht mehr in die Natur zurücklassen, die Tier-WG wächst. Doch die Pflege ist kostspielig. Heindel bezahlt den größten Teil der Futterkosten selbst, etwa Tschitans Leibspeise: frische Küken. Tierarztbesuche werden auf ein Minimum reduziert, die Familie nutzt ihre Erfahrung – trotzdem kämen monatlich bis zu 2000 Euro zusammen, sagt Heindel.
Karl-May-Spiele: Möglich, dass Tschitan die großen Auftritte am Kalkberg vermisst
Wenn wie im Fall von Tschitan Falkner aus Altersgründen ihre Tiere in Obhut geben wollten, sei die Suche nach einem Platz schwer. Auffangstationen seien selten geworden, etliche hätten geschlossen. „Es hängt nur an der Finanzierung“, sagt Heindel. Die wenigen häufig privat geführten Wildtierauffangstationen hätten sehr unterschiedliche Standards, teilt der Naturschutzbund Brandenburg mit. Einige seien mit der Nachfrage nach Unterbringungsmöglichkeiten überfordert. Zudem fehlten Schulungen für Betreiber solcher Einrichtungen.
Insofern hat es Winnetous tierischer Retter und Co-Star Tschitan bei den Heindels so gut wie nur möglich getroffen. Auch wenn er in manchen Momenten vielleicht doch den großen Auftritt im Wilden Westen Bad Segebergs vermisst.