Bad Segeberg. Christoph Bobe hat mit sieben Winnetou-Darstellern gespielt. Er war Indianer, Sheriff und sogar eine Frau. Doch das hatte Folgen.
Bei Manitou! So jemand wie ihn hat es in der Geschichte der Karl-May-Spiele in Bad Segeberg noch nie gegeben: Christoph Bobe (51) hat so oft wie niemand anders am Kalkberg mitgewirkt. Seit 1985 war er etwa 2500 Mal Statist im Freilichttheater.
Er hat an der Seite von sieben Winnetous wie Pierre Brice und Alexander Klaws gespielt und mit Wayne Carpendale gekämpft, ist von Mathieu Carriere rumkommandiert worden und hat Ingrid Steeger auf Händen getragen. Er hat Indianer und Cowboys, Sträflinge, Lokomotivführer und einen Pastor gemimt – und einmal sogar eine Frau mit blonder Perücke gespielt.
Karl-May-Spiele: Verrückt nach Winnetou – Er war 2500 Mal Statist am Kalkberg
Ortstermin am Kalkberg: Auch wenn die Saison noch gar nicht begonnen hat – Christoph Bobe kribbelt es ein bisschen im Bauch, als er von den leeren Rängen in die Arena herunterblickt. An seiner Faszination für die Karl-May-Spiele hat sich auch nach all den Jahren nichts geändert. „Wenn ich irgendwann mal kein Lampenfieber mehr habe, dann ist es Zeit zum Aufhören“, sagt Christoph Bobe.
Als Bad Segeberger Jung ist er mit Cowboys und Indianern quasi aufgewachsen und hat jährlich die Abenteuer von Winnetou am Kalkberg live mitverfolgt. „Als ich mit zwölf in der Vorstellung saß, habe ich mir plötzlich gewünscht, da auch mal mitzumachen“, erinnert sich Bobe an den Sommer 1984 – und die große Enttäuschung, als es hieß: Statisten müssen mindestens 16 Jahre alt sein.
Mit 13 Jahren hatte er seine erste Statistenrolle – dank einer Sondergenehmigung
Doch der Karl-May-Fan hatte Glück: Weil seine Mutter und seine Tante in der Schneiderei der Karl-May-Spiele arbeiteten und somit ein Erziehungsberechtigter vor Ort war, bekam Christoph Bobe damals eine Sondergenehmigung und stand mit 13 das erste Mal in der Arena.
Weil er für sein Alter recht groß war, bekam er gleich eine Rolle als Apache zugewiesen und musste gegen Old Shatterhand kämpfen. „Und das in fünf Meter Höhe“, sagt Bobe und erinnert sich an den ersten Winnetou, mit dem er zusammen auftrag: Klaus-Hagen Latwesen, der zugleich als Intendant, Buchautor und Regisseur beschäftigt war.
In dieser Saison startet er in seine 37. Spielzeit am Kalkberg
Manchmal muss er selbst den Kopf drüber schütteln, wie alles gekommen ist. Wie er, der eigentlich nur eine Saison bleiben wollte, zum Langzeit-Statisten wurde. „Nach jeder Saison habe ich mir gesagt: Na komm – eine machst du noch“, erinnert sich Christoph Bobe und erzählt, wie aus einer fünf wurden, aus fünf dann zehn, aus zehn schließlich 20 und 30. In diesem Jahr startet er in seine 37. Spielzeit.
Er glaubt, dass seine Familie dieses Karl-May-Ding einfach im Blut hat. Schon seine Tante und sein Onkel spielten in den 50er-Jahren am Kalkberg mit, seine Mutter und Tante waren in der Schneiderei beschäftigt. Und seine heutige Frau hat er – wie soll es anders sein – natürlich auch in der Segeberger Prärie kennengelernt. Sie war früher Sanitäterin bei den Karl-May-Spielen und hat Bobe das eine oder andere Mal verarztet.
Er hat Ingrid Steeger auf Armen aus dem Kalkberg getragen
Wie viele blaue Flecken und andere Blessuren er sich in all den Jahren eingefangen hat, kann er schon lange nicht mehr zählen. „Das gehört doch dazu“, meint er. Nur ein einziges Mal hat es ihn so schlimm erwischt, dass er den Rest der Saison pausieren – und zuschauen musste. Schlimm sei das gewesen, dieses untätige Rumsitzen.
„Hatte mir bei einer Kampfszene das Schlüsselbein gebrochen“, sagt Bobe und erzählt stolz, dass er die Vorstellung trotzdem zu Ende spielte. Nur Ingrid Steeger habe er an dem Abend wegen der Verletzung nicht mehr wie geplant raustragen können.
Er hat mit sieben Winnetou-Darstellern zusammen gespielt
Hauptberuflich arbeitet er im öffentlichen Dienst, doch wenn der Wilde Westen ruft, baut er für die Proben und Aufführungen Überstunden ab. Auch wenn eine Saison am Kalkberg nur etwa dreieinhalb Monate dauert dauert und lediglich einen kleinen Teil des Jahres ausmacht – in Bobes Erinnerung dominieren Szenen aus vier Jahrzehnten am Kalkberg. Sein erstes Gehalt von 780 Mark – ein Vermögen für den Schüler. Sein erster Satz, den er sprechen musste. Seine erste Begegnung mit Pierre Brice, seinem Kindheitsidol.
Wochenlang hatte er sich gefragt, ob er den Franzosen mit Monsieur oder Herr Brice ansprechen sollte. „Und dann sagt dieser einfach zu mir: Hallo, ich bin der Pierre.“ Als die Winnetou-Legende 27 Jahre später starb und man bei der Premiere am Kalkberg an ihn gedachte, habe ihn das zu Tränen gerührt.
Corona führte zu seiner Zwangspause: Kaum zu ertragen für den Dauerstatisten
Wenn Bobe über emotionale Momente spricht, sagt er meistens, dass er „Pipi in den Augen“ hatte. Ist so ein Spruch, mit dem es ihm leichter fällt, über diese Situationen zu sprechen. Situationen wie diese: Als die Corona-Pandemie zu einer Absage der Karl-May-Spiele führte. „Das konnte ich kaum ertragen“, sagt Christoph Bobe und erinnert sich an die viele Zeit, die er plötzlich hatte.
Viel zu viel Zeit. So viel, dass er damit nichts anzufangen wusste. „Ich war ungenießbar damals“, sagt er. An dem Tag, als eigentlich Premiere gewesen wäre, hat er sich mit den anderen Statisten vor den verschlossenen Türen der Kalkberg-Arena getroffen und getrauert. Er hofft, dass so was nie wieder passieren wird.
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Er ist es gewohnt, jedes Jahr in verschiedene Rollen zu schlüpfen – oft sogar in mehrere verschiedene während einer Vorstellung. Er ist wandlungsfähig, ein bisschen wie ein Chamäleon, meint er. Einmal hat er sogar eine Frau gespielt, die Greta. Ausstaffiert mit einer blonden Perücke, künstlichen Brüsten sowie einem Dirndl und voll geschminkt. „Und damit musste ich Tanzen und Singen“, sagt er und grinst, bevor er erzählt, was ihm eines Tages passiert ist.
Ein Leben ohne Karl-May-Spiele ist unvorstellbar
„In der Saison habe ich mehrere Rollen gespielt und hatte nur wenige Minuten Zeit, um mich umzuziehen. War alles ziemlich stressig und ich habe es einmal blöderweise vergessen, mich nach meinem Auftritt als Frau abzuschminken. Daher bin ich als Eisenbahner mit Kajal und Lippenstift in die Arena gekommen – und die anderen sind vor Lachen fast aus dem Sattel gefallen.“
Früher hat er sich nach jeder Saison gesagt: eine noch. Das sagt er heute nicht mehr. Eine ist ihm viel zu wenig. Er will 40 Saisons voll machen. Oder 50 vielleicht. „Mal gucken, wie lange ich kann. Vielleicht komme ich irgendwann mit Rollator an den Kalkberg“, sagt er, halb lachend, halb bang. Ein Leben ohne die Karl-May-Spiele ist für ihn unvorstellbar.