Norderstedt. Der kleine Ort Glasau hat jetzt, dank des Bremer Start-ups „Tante Enso“, einen Mini-Supermarkt. Das besondere Konzept dahinter.

Frisches Obst und Gemüse findet man bei „Tante Enso“ in Glasau. Frische Brötchen auch, sowie Eier und Fleisch vom Bauern von nebenan. Milch, Butter, Pizza, Nudeln, Backmittel, Gewürze, Babynahrung, Katzenfutter – all das gibt es. Sowie eine reiche Auswahl an Getränken, außerdem eine Eistruhe. Zeitschriften, Kondome und Schwangerschaftstests – das findet man auch.

Ende März eröffnete der besondere Mini-Supermarkt, der sich in einem rot geklinkerten, an eine Scheune erinnernden Neubau befindet, gelegen an der Dorfstraße, die den Ort durchzieht. „Das Angebot wird sehr gut angenommen. Die Leute sind einfach froh, dass sie wieder zu Fuß einkaufen gehen können, besonders die älteren Glasauer“, sagt Filialleiterin Kristin Schröder.

Supermarkt: „Tante Enso“ – Glasau hat den Dorfladen des 21. Jahrhunderts

Kundin Evelin Anders bestätigt das: „Wir sind hier alle ganz happy. Da ist ein richtiger neuer Treffpunkt entstanden.“ Nico Lemke, ein junger Mann, der nebenan wohnt und gerade einen Energy-Drink kauft, findet es einfach „praktisch“, dass er jetzt nicht mehr mit dem Auto zum Supermarkt fahren muss.

Glasau ist eine 900 Einwohner große Gemeinde, gelegen am nördlichen Rand des Kreises Segeberg. Es gibt schöne, alte Bauernhäuser, eine rotgeklinkerte Dorfkirche, eine Schule, Felder, einen Sportverein – und die Ostsee ist auch nicht weit. Nur einen Dorfladen gab es lange Zeit nicht.

Der Markt in Glasau ist die neueste von 20 „Tante Enso“-Filialen bundesweit

Alles da: Blick ins Sortiment von „Tante Enso“.
Alles da: Blick ins Sortiment von „Tante Enso“. © FMG | Claas Greite

Das änderte sich, als „Tante Enso“ kam. Es handelt sich um ein junges Start-up aus Bremen, gegründet 2019 als Ableger des Online-Bestell-Supermarktes „My Enso“. Die Firma wächst schnell, schon 20 „Tante Enso“-Läden gibt es bundesweit, meist in kleinen Dörfern, von der Ostseeküste bis Bayern. Der Markt in Glasau ist die neueste Filiale.

Wir kommen an einem Mittwoch nach Glasau, da ist eigentlich Ruhetag in dem Mini-Supermarkt. Kristin Schröder und einige der fünf Mitarbeiter arrangieren zwei Regale neu. Die Tür geht trotzdem hin und wieder auf und zu, Kunden kommen und kaufen ein. Denn das ist die wohl wichtigste Besonderheit von „Tante Enso“: Einkaufen ist rund um die Uhr möglich, an sieben Tagen in der Woche.

Einkaufen rund um die Uhr: Ist kein Personal da, bedienen sich Kunden selbst

An dieser SB-Kasse können die Kunden selbst Waren einscannen und mit ihrer Karte bezahlen. Filialleiterin Kristin Schröder zeigt, wie es geht.
An dieser SB-Kasse können die Kunden selbst Waren einscannen und mit ihrer Karte bezahlen. Filialleiterin Kristin Schröder zeigt, wie es geht. © FMG | Claas Greite

Personal ist nur an bestimmten Tagen zu bestimmten Zeiten im Laden. Zu anderen Zeiten können die Kunden selbst mit einer speziellen Karte die Tür öffnen. Damit bezahlen sie dann auch, an einer SB-Kasse. Die Waren scannen die Kunden selbst ein. Dafür, dass niemand etwas mitgehen lässt, sorgen 14 Kameras im Laden. Kristin Schröder betont allerdings: „Die Kunden sind alle sehr ehrlich, geklaut wurde noch nichts.“

Auf dem Dorf kenne ohnehin jeder jeden – und außerdem ist da das genossenschaftliche Prinzip hinter „Tante Enso“. Jeder Markt gehört nämlich zu einem gewissen Teil den Kunden selbst. Damit in einem Ort eine Filiale gegründet wird, müssen mindestens 300 Personen aus der Umgebung Genossenschaftsanteile von mindestens 100 Euro zeichnen.

Regionalleiter: „Die Ortschaften kommen auf uns zu und bewerben sich“

Ole Mehrtens, 24, ist Regionalleiter bei Tante Enso. Er ist an diesem Mittwoch auch vor Ort in der Glasauer Filiale und erklärt das Verfahren – das so ganz anders läuft als bei anderen Supermärkten: „Die Ortschaften kommen auf uns zu und bewerben sich. Und dann prüfen wir, ob die Rahmenbedingungen stimmen.“

Da gehe es um die Größe des Ortes, also die Zahl potenzieller Kunden und Genossenschaftsmitglieder, und auch um die Nähe der nächsten Supermärkte. Stimmen die Eckdaten, habe eine Gemeinde einen Monat Zeit, die 300 Personen zusammen zu bekommen.

In Glasau klappte es im zweiten Anlauf, „Tante Enso“ in den Ort zu holen

In Glasau war der stellvertretende Bürgermeister Bernhard Horstmann eine der treibenden Kräfte hinter der Sache. „2021 hatten wir uns erstmalig bei Tante Enso beworben. Aber da waren wir noch nicht zusammengekommen. Es gab das Kriterium, dass ein Ort 1000 Einwohner hat, da liegen wir ja knapp darunter.“

Im zweiten Anlauf, 2022, habe es dann geklappt. „Wir konnten das Unternehmen überzeugen, dass wir ja mit den umliegenden Dörfern einen Einzugsbereich haben.“ Und dann sei es ganz schnell gegangen, in dem Monat kamen sogar 500 Genossenschaftsmitglieder zusammen. „Die Begeisterung war einfach da“, sagt Horstmann.

Und sie sei auch geblieben. Die Glasauer seien sehr froh über die neue Einkaufsmöglichkeit, „das Sortiment ist phänomenal für so einen kleinen Supermarkt“, sagt Horstmann. Und der habe sich eben auch zu einem sozialen Treffpunkt entwickelt.

Neben dem Supermarkt ist ein Backshop, den die Gemeinde Glasau betreibt

Zwei Ankerpunkte unter einem Dach: links der Backshop, rechts „Tante Enso“.
Zwei Ankerpunkte unter einem Dach: links der Backshop, rechts „Tante Enso“. © FMG | Claas Greite

Dafür hat die Gemeinde allerdings noch eine Menge mehr getan, als „Tante Enso“ in den Ort zu holen. Der Supermarkt ist Baustein eines Gesamtkonzepts, um den Ort zu beleben. Unter demselben Dach wie „Tante Enso“ befindet sich ein Backshop, in dem man auch frühstücken kann. Er eröffnete ebenfalls Ende März.

Betreiberin des Backshops ist aktuell die Gemeinde selbst. „Wir suchen noch einen Pächter, der das dann übernehmen kann, vielleicht dann auch mit Café-Geschäft“, sagt Horstmann. Die Brötchen liefert ein Bäcker aus dem Nebenort, „frisch“, wie Horstmann versichert. Und die Backwaren sind auch bei „Tante Enso“ erhältlich, der nur durch eine Glaswand vom Backshop getrennt ist.

Das Gebäude wurde mit 800.000 Euro Fördergeld aus einem Landesprogramm gebaut

Das Gebäude, in dem „Tante Enso“ nun Mieter ist, hat die Gemeinde selbst errichtet. Dabei half Fördergeld aus dem Programm „Markt-Treff Schleswig-Holstein“, das die Gemeinde bei solchen Vorhaben auch unternehmerisch begleitet. „Wir haben 800.000 Euro Fördergeld bekommen. Das kann ich jeder Gemeinde nur zur Nachahmung empfehlen“, sagt Bernhard Horstmann.

Er betont, dass es bei alldem immer auch um den „sozialen Aspekt“ gegangen sei, darum, dass die Menschen aus Glasau einen „Ort zum Klönen“ haben. Gut findet er auch, dass alle Mitarbeiter von „Tante Enso“ in Glasau oder der näheren Umgebung wohnen.

Viele regionale Waren im Supermarkt – welche genau, entscheiden die Kunden

Das Label „Lokaler Held“ kennzeichnet Waren aus der Region.
Das Label „Lokaler Held“ kennzeichnet Waren aus der Region. © FMG | Claas Greite

Verankert zu sein im Dorf, wie früher der Tante-Emma-Laden, das sei Teil des Konzepts, wie Ole Mehrtens schildert. „Wir wollen Teil der Ortschaft sein“, sagt er. Und das spiegele sich auch im Warensortiment wider. Mehrtens führt seinen Gast durch den Laden, in dem an vielen Regalen das Schild „Lokaler Held“ prangt.

„Das sind Waren aus der direkten Umgebung“, sagt Mehrtens. Eier vom Hof Claussen in Glasau sind darunter, oder Hähnchenbrustfilets und Würstchen von Bauer Schramm aus Ahrensbök. „Das haben sich die Kunden gewünscht, diese Waren gehen auch besonders gut“, sagt Kristin Schröder.

Wünsche können online genannt werden – oder über eine Tafel im Laden

Generell haben die Kunden ein sehr großes Mitspracherecht, was in ihrem Tante-Enso-Markt in den Regalen steht. „Wir fragen das schon in der Gründungsphase ab. Und wenn der Markt läuft, können die Kunden immer Wünsche äußern“, sagt Mehrtens. Das sei online möglich, aber auch ganz analog. In Glasau hängt neben der Kasse eine große „Wünsch-Dir-Was“-Tafel.

Ganz analog: Auf diese Tafel können die Kunden ihre Wünsche schreiben.
Ganz analog: Auf diese Tafel können die Kunden ihre Wünsche schreiben. © FMG | Claas Greite

„Manche Kunden sind einfach nicht digital unterwegs, besonders ältere. Das respektieren wir natürlich“, so Mehrtens. Im Schnitt würden „etwa 70 Prozent der Kundenwünsche“ bei Tante Enso erfüllt. Manches legt das Start-up selbst den Kunden nahe, etwa Waren mit dem Label „Food Pioneer“. In Regalen mit diesem Label „postieren wir Waren von kleinen Herstellern, die wir gut finden, zum Beispiel, weil sie besonders ökologisch arbeiten“, sagt Ole Mehrtens.

Das Hauptwarenlager von Tante Enso befindet sich in Bremen. Aber bei der Versorgung der Filialen wird auf kurze Wege geachtet. Und so kommt alles, was in Glasau erhältlich ist, von dem Großhändler Bartels-Langness in Neumünster.

Angst, dass Jugendliche hier Partys feiern könnten, hat der Regionalleiter nicht

Die Glasauer Filiale habe mittlerweile Kunden aller Altersstufen, auch „Kinder, die sich Naschis holen“ oder für die Eistruhe interessieren, seien darunter, wie Kristin Schröder sagt. Angst, dass die Räume auch mal zweckentfremdet werden, dass hier Jugendliche etwa nächtliche Zusammenkünfte oder gar Partys feiern könnten, haben sie und Ole Mehrtens nicht.

Beliebt bei sehr jungen Kunden: die Eistruhe.
Beliebt bei sehr jungen Kunden: die Eistruhe. © FMG | Claas Greite

„In so einem Fall müsste man natürlich Hausverbot erteilen“, sagt er. Aber er betont, dass man ohnehin erst ab 18 so eine Karte beantragen könne. Mit dem Besitz sei dann auch Verantwortung verbunden. „Jeder Kartenbesitzer haftet auch“, sagt er. Das gelte etwa dann, wenn ein Kartenbesitzer einige Freunde mit in den Laden hinein lässt – und einer von denen kommt auf die Idee, etwas zu klauen. Aber auch Mehrtens betont, dass es in den Filialen von „Tante Enso“ nur höchst selten zu Diebstählen komme.

Tante Enso: Auch für „durchfahrende“ Kunden wird an einer Lösung gearbeitet

Eine Tante-Enso-Karte gilt für jede Filiale. Einkaufen können Personen, die so eine Karte nicht haben – zumindest dann, wenn Personal in den Läden ist. „Dann kann bar oder mit EC-Karte gezahlt werden“, sagt Kristin Schröder.

Für „durchfahrende“ Kunden, die zu späterer Stunde kommen, soll es auch noch eine Lösung geben. „Wir arbeiten an einer App“, sagt Ole Mehrtens.