Norderstedt. Sicherheit, Infrastruktur, Freizeit: So bewerten Radfahrende die Bedingungen in Norderstedt und im übrigen Kreis Segeberg.

Möglichst fahrradfreundlich zu sein, schreiben sich viele Städte und Gemeinden gerne auf die Fahne. Doch nicht immer stimmen öffentlichkeitswirksame Aktionen mit der Realität überein. Ein wichtiger Indikator dafür, wie die Bedingungen vor Ort tatsächlich sind, ist derFahrrad-Klimatest des ADFC(Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club). Denn hier sind die Bürgerinnen und Bürger direkt aufgefordert gewesen, mittels eines umfangreichen Fragebogens die jeweilige Kommune zu bewerten.

Aus 27 Fragen ergab sich eine Durchschnittsnote, die die 1114 Orte wurden gemäß ihrer Größe in Kategorien eingeteilt. Im Kreis Segeberg liegt ein besonderer Fokus auf der bevölkerungsreichsten Stadt: Norderstedt. Und die ist gar nicht schlecht aufgestellt – im Gegenteil, wie das Abschlussranking zeigt.

ADFC-Klimatest: Der große Check – Wie fahrradfreundlich ist Norderstedt?

Vielmehr ist Norderstedt in Schleswig-Holstein die Nummer eins in der Gruppe von 50.000 bis 100.000 Einwohnern und bundesweit auf Platz elf. 311 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben den Fragebogen ausgefüllt, auch das ist absolut repräsentativ. Die Kehrseite: Trotzdem reicht es nur für eine Note von 3,61 – also zwischen befriedigend und ausreichend. Spitzenreiter Nordhorn ist allerdings die einzige Stadt mit einem Zweierschnitt (2,76).

Michael Artmann, Sprecher der ADFC-Ortsgruppe für Norderstedt und Quickborn, versucht sich an einer Erklärung – und verweist auf das Sicherheitsgefühl, das mit einer glatten Vier bewertet wurde. „Gerade einmal 27 Prozent der Befragten fühlen sich beim Radfahren sicher. Damit Norderstedt in der Gunst der Radfahrenden noch weiter steigt, muss die Radverkehrsinfrastruktur weiter massiv ausgebaut werden.“

Michael Artmann ist Sprecher der ADFC-Ortsgruppe Norderstedt/Quickborn.
Michael Artmann ist Sprecher der ADFC-Ortsgruppe Norderstedt/Quickborn. © Christopher Mey

Er nennt mehrere Punkte: „Straßen, die einladend zum Radfahren sind“, dafür brauche man ausreichend Flächen, aber auch „sichere und komfortable Radverbindungen in die Nachbarkommunen“. Und es seien gesetzliche Änderungen nötig, um den Kommunen mehr Gestaltungsfreiheit zu verschaffen.

Aus Sicht des ADFC hat sich Norderstedt dennoch ein Lob verdient: „Eine Mehrheit der Befragten sagt, Radfahren mache in der Stadt Spaß und dass zumindest im Vergleich zu anderen vergleichbaren Städten doch einiges für den Radverkehr getan wurde.“ Ein Mangel seien aber die für Radfahrende ungünstigen Ampelschaltungen.

Norderstedt: Gute Erreichbarkeit des Zentrums, Lob für Fahrradstationen

Weit über dem Durchschnitt, und zwar positiv, ist in Norderstedt die Verfügbarkeit öffentlicher Fahrräder, die – vermutlich dank der Nextbike-Stationen – mit 2,1 benotet wurde. Und auch die Erreichbarkeit des Stadtzentrums ist gut (2,3), ebenso die allgemeine Infrastruktur (2,5) oder die in Gegenrichtung geöffneten Einbahnstraßen (2,7).

Im Kontrast dazu: Das Fahren im Mischverkehr mit Kraftfahrzeugen bekommt nur eine 4,5, die Breite der Radwege eine 4,6, die Oberflächen eine 4,3. Und als Auftrag an das Ordnungsbehörde dürfte die 4,2 für die Kontrolle von Falschparkern auf Radwegen verstanden werden. Unter dem Strich ist laut Ergebnis der Stellenwert des Radverkehrs in Norderstedt nicht gut, bekommt gerade einmal eine 3,9.

Henstedt-Ulzburg: Großgemeinde erhält ein schlechtes Zeugnis

Immerhin: Im Vergleich zur Nachbargemeinde sind viele Bewertungen sehr okay. Denn Henstedt-Ulzburg erhält ein schlechtes Zeugnis, die Radfahrer brummen dem Ort eine 4,06 auf. Erstaunlicherweise ist das bei 20.000 bis 50.000 Einwohnern landesweit noch gut genug für Platz vier. Nur die Erreichbarkeit des Zentrums ist mit 2,7 noch ordentlich bewertet. Dafür hagelt es für die nicht vorhandenen öffentlichen Fahrräder (5,5), die Ampelschaltungen (4,9), das Fahren im Mischverkehr (4,7), die Breite der Radwege (4,7) oder die Werbung für Radverkehr (4,5) Negativbewertungen.

Jens Daberkow, Ortsvorsitzender des ADFC in Henstedt-Ulzburg, ist unzufrieden mit den Bedingungen in der Großgemeinde.
Jens Daberkow, Ortsvorsitzender des ADFC in Henstedt-Ulzburg, ist unzufrieden mit den Bedingungen in der Großgemeinde. © Christopher Mey

Das Sicherheitsgefühl (4,3), der Stellenwert (4,4) und der Komfort (4,2) sind ebenso ausbaufähig. Auf die Resultate angesprochen, spricht der ADFC-Ortsvorsitzende Jens Daberkow wenig überraschend Klartext: „Es geht nicht vorwärts. Es ist eine Minustendenz. Die Radfahrer werden kritischer, sehen es so, dass sie schnell von A nach B kommen möchten, ihr Fahrrad sicher abstellen wollen – wir haben zu wenig gute Abstellmöglichkeiten an den Bahnhöfen.“

ADFC in Henstedt-Ulzburg kritisiert die Situation für Radfahrer im Ort

Die Ampelschaltungen nennt er „unter aller Kanone“, der Radverkehr werde „unnötig ausgebremst“. Dass in der Ortsmitte entlang der Hamburger Straße nur auf einer Seite ein Radweg verlaufe, sei nicht mehr zeitgemäß und ein Gefährdungspotenzial. „Der Radverkehr hat stark zugenommen, aber die Wege sind einfach nicht mehr dafür gemacht.“

Zudem fordert der ADFC, dass endlich die längst beschlossene Bike+Ride-Anlage am Bahnhof Ulzburg-Süd gebaut wird – dieses Projekt ist für 2023 eingeplant. „Und ganz wichtig ist die Verbesserung am Bahnhof in Ulzburg, dort muss eine gesicherte Abstellmöglichkeit hin. Das kann eine Box sein oder ein Parkhaus. So wie in Norderstedt wäre aber zu groß.“

ADFC-Klimatest: Bad Segeberg ist Schlusslicht in Schleswig-Holstein

Ebenso im ADFC-Klimatest wurden weitere Städte aus dem Kreis Segeberg benotet. Die eine ist Kaltenkirchen (20.000 bis 50.000 Einwohner) mit einem Schnitt von 3,96 – aber immerhin guten Werten für die Erreichbarkeit des Stadtzentrums (2,3), das „zügige Radfahren“ (2,6) und die Regelung in Einbahnstraßen (2,4). Ein Problem hingegen: Fahrraddiebstähle, da hagelte es eine 4,4. Und auch die Breite der Radwege schrammt nur knapp an „mangelhaft“ vorbei (4,9).

Und weitestgehend vernichtet fällt das Fazit für die Kreisstadt Bad Segeberg aus. Bei den Orten unter 20.000 Einwohnern belegt die Heimat der Karl-May-Spiele den letzten Platz unter 30 Kommunen in Schleswig-Holstein, erhält eine Durchschnittsnote von 4,65. Mit 5,0 oder noch schlechter wurden elf Kategorien bewertet, darunter der Komfort (5,0) oder die Breite bzw. Oberfläche (jeweils 5,5). Kein Wunder, dass die Sicherheit nur eine Fünf erhält und der Stellenwert mit 4,8 kaum besser ist.

Alle Ergebnisse aus dem Kreis, Schleswig-Holstein und Deutschland sowie die einzelnen Kategorien hat der ADFC online veröffentlicht.