Norderstedt. Auszubildende der Tierklinik berichten von ihrem Alltag. Warum der Job so viel mehr bedeutet, als nur Tierärzten zu assistieren.
15 Jahre lang hat Matthias Nitschke in der Gastronomie gearbeitet. Der Norderstedter hat eine Ausbildung zum Koch absolviert. Einige Jahre war er auch im Service eines Restaurants und Cafés in Wellingsbüttel tätig. „Irgendwann wurde mir der Job aber zu eintönig. Ich fühlte mich geistig nicht mehr gefordert und wurde unglücklich“, erzählt er. Nitschke wollte etwas anderes machen. Sein Leben verändern. Mit 36 Jahren beschloss er, noch einmal neu anzufangen.
2018 bewarb er sich bei der Tierklinik in Norderstedt um einen Ausbildungsplatz zum Tiermedizinischen Fachangestellten (TFA). „Ich liebe Tiere“, sagt er und strahlt. Nitschke wurde genommen. Einen Monat, bevor er seine Lehrstelle antrat, kam Tochter Lillian Mae zur Welt. „Es erforderte viel Mut, in dieser Situation seinen Job zu wechseln. Finanziell mussten wir uns sehr herunterschrauben“, sagt er. Aber es sei die richtige Entscheidung gewesen. „Ich bin sehr glücklich damit“, betont der heute 40-Jährige. Ende 2021 beendete er seine dreijährige Ausbildung und ist seitdem fester Bestandteil des Klinikteams.
Tierklinik Norderstedt: Arbeiten mit Tieren – was die Ausbildung so besonders macht
Felix Kukla wurde die Begeisterung für die Arbeit mit Tieren quasi in die Wiege gelegt. Schon seine Mutter hat 1987 in der Norderstedter Tierklinik gelernt und als TFA gearbeitet. Heute lebt sie mit sieben Hunden in Kanada. Als Kukla sie während der Corona-Pandemie besuchte, beschloss er, in ihre Fußstapfen zu treten. „Ich habe dort viel Zeit mit Tieren verbracht. Das hat mir so viel Spaß gemacht“, sagt der 24-Jährige.
Zwei Ausbildungsjahre hat er bereits hinter sich. Während der Lehre durchlaufen die Azubis in der Tierklinik vier verschiedene Bereiche: Sie lernen die Arbeit auf der Station kennen, in der Ambulanz, im OP und an der Rezeption. „Im OP hat es mir am besten gefallen. Ich hoffe, dass ich nach meiner Ausbildung dortbleiben darf“, sagt Felix Kukla.
TFA braucht viel medizinisches Fachwissen im Operationssaal
Ihn begeistert es, ständig etwas Neues zu erleben und zu lernen. Viel medizinisches Fachwissen ist im Operationssaal notwendig, um einen Tierarzt beispielsweise bei einer Narkose zu unterstützen. „Man hat eine große Verantwortung. Jeder Fehler wirkt sich direkt auf das Tierwohl aus“, sagt Kukla.
Entgegen den Klischees verrichten Tiermedizinische Fachangestellte nicht einfach nur Hilfsarbeiten. „Wir halten nicht nur die Tiere auf dem Behandlungstisch fest. Zu unserem Job gehören Arbeiten, von denen viele Menschen denken, nur Tierärzte würden sie machen“, sagt Matthias Nitschke.
Es ist gang und gäbe, dass TFAs Blut abnehmen, die Proben ins Labor bringen und und für den Tiermediziner zur Auswertung vorbereiten. Durch Fortbildungen und Vorträge, die für die Azubis angeboten werden, können Tierärzte noch mehr Aufgaben an sie delegieren.
Alle kranken Hunde und Katzen auf der Station – aktuell sind es 23 – müssen überwacht werden. Sie brauchen Medikamente, Futter und Bewegung. Atemfrequenz und Temperatur müssen kontrolliert werden. Für all das sind die TFAs verantwortlich. Wenn ein Haustier eine Spritze bekommt, müssen sie ebenso wie die Tierärzte wissen, was im Körper passiert, wie oft und aus welchem Grund die Substanz verabreicht werden muss.
Zehn junge Menschen absolvieren derzeit Ausbildung in der Tierklinik
„Der Alltag in der Tierklinik ist hektisch. Hier geht es zu wie in einem Krankenhaus für Menschen: Ständig gibt es Veränderungen und Komponenten, die man nicht berechnen kann“, sagt Matthias Nitschke. „Ich habe mir die Ausbildung anders vorgestellt. Ich hatte Angst, dass es langweilig werden könnte“, erzählt Felix Kukla. Denn auch er hatte das klassische Klischee von der Hilfskraft im Kopf, die das Tier während des Impfens fest umklammert und beruhigt, ansonsten aber nicht viele andere Aufgaben übernimmt. „Meine Mutter hat mir zwar schon viel von dem Job berichtet. Dass er so intensiv ist, hätte ich aber nicht gedacht.“
Mehr als 50 TFAs arbeiten in der Klinik in Norderstedt. Zehn junge Menschen befinden sich derzeit in der Lehre – Kukla ist der einzige männliche Auszubildende. Zwei Tage die Woche besuchen sie entweder die Schule in Neumünster oder in Hamburg. Nach drei Jahren müssen die Schülerinnen und Schüler einen theoretischen und praktischen Teil für ihre Abschlussprüfung absolvieren. „Man muss sehr viel wissen“, sagt Matthias Nitschke, der die Prüfung ja bereits erfolgreich hinter sich hat.
Klinikalltag: Psychische Belastung ist nicht zu unterschätzen
Die Azubis müssen den Bewegungsapparat sämtlicher Tiere ebenso wie das Herz-Kreislauf-System oder rechtliche Grundlagen, Hygienestandards und Vorschriften des Strahlenschutzes kennen. In der praktischen Prüfung bekommen sie einen Fall, auf den sie reagieren müssen. Zum Beispiel sollen sie unter Beweis stellen, dass sie eine Blutuntersuchung durchführen oder Rechnungen schreiben können. Oder sie bekommen die Aufgabe, die Tasche für den Tierarzt zu packen, der ein Pferd mit einer Rissverletzung auf einem Reiterhof behandeln soll.
Nicht zu unterschätzen ist die psychische Belastung, der die Mitarbeitenden in der Klinik tagtäglich ausgesetzt sind. „Man sieht auch viele schlimme Dinge“, sagt Nitschke. Es sei wichtig, sie nicht mit nach Hause zu nehmen. „Und da hilft nur viel reden.“ Um ihre mentale Gesundheit zu erhalten, können die Mitarbeitenden Hilfe in Anspruch nehmen. Die Tierklinik arbeitet eng mit dem Partner Pro Praxis zusammen, der eine psychologische Betreuung bereitstellt und jederzeit erreichbar ist. Auch werden Seminare zum Thema Trauerbewältigung angeboten.
Arbeit mit Tieren und Besitzern – Mittelweg aus Distanz und Nähe notwendig
„Es ist schon vorgekommen, dass ich einfach mit den Besitzern geweint habe“, berichtet Matthias Nitschke. Azubi Felix Kukla ist noch auf der Suche nach einem gesunden Mittelweg aus Distanz und Nähe. „Am Anfang ist es mir sehr schwergefallen, mich zu öffnen. Ich habe lieber Abstand gesucht. Wenn ich mich öffne und mitweine, dann ist der restliche Tag für mich gelaufen. Andererseits wirkt man kalt, wenn man sich zu sehr distanziert.“
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Die Auszubildenden werden nach Tarif bezahlt. Im ersten Lehrjahr bekommen sie monatlich 790 Euro, im zweiten 870 Euro und im dritten 950 Euro. Als fertig ausgebildeter Tiermedizinischer Fachangestellter geht es laut Tarifvertrag bei einem Einstiegsgehalt von 2423 Euro los. Es kann aber auch höher ausfallen. In der Tierklinik kommen außerdem klinikspezifische Zulagen hinzu. „Ich kann diesen Beruf Menschen empfehlen, die Tiere lieben. Aber sie sollten sich sicher sein, dass sie es wirklich wollen. Sie haben eine große Verantwortung“, meint Felix Kukla.
Tierklinik Norderstedt: „Tolle Möglichkeit, mit Tieren zu arbeiten“
Auch Matthias Nitschke, der inzwischen an der Rezeption arbeitet, würde sich jederzeit wieder gegen die Gastronomie und für die Tierklinik entscheiden. „Es ist eine tolle Möglichkeit, mit Tieren zu arbeiten“, sagt er. „Ein Tier, von dem man dachte, es stünde vor seiner letzten Reise, doch schwanzwedelnd nach Hause zu entlassen – das ist ein Traum.“
Serie: Das Abendblatt begleitet und porträtiert in den kommenden Wochen mit der Tierklinik Norderstedt eine der größten und bekanntesten des Nordens. Lesen Sie demnächst, wie eine Ernährungsberatung in der Klinik abläuft.