Norderstedt. Von Atemnot bis Knochenbrüche: Schwer kranke Hunde und Katzen werden in der Tierklinik behandelt. Warum der Job nicht ungefährlich ist.

Samy zittert. Der ausgewachsene Labradoodle fühlt sich auf dem Behandlungstisch sichtlich unwohl. Eine Tiermedizinische Fachangestellte (TFA) umklammert ihn liebevoll, als Dr. Selina Kuban ihm Schmerzmittel und Antibiotika spritzt. „Du machst das ganz klasse“, spricht sie dem Hund Mut zu. „Supi“, sagt sie und streichelt ihm durch das lockige Fell, als sie fertig mit der Untersuchung ist.

Samy wurde von einem Auto angefahren. Seitdem humpelt er. Um seine Vorderpfote ist ein Verband gewickelt. Zwei Tage lang hat er in der Tierklinik in Norderstedt auf der Intensivstation verbracht. Heute darf er umziehen auf die Normalstation. „Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er wieder laufen können“, sagt Tierärztin Selina Kuban optimistisch.

Dr. Selina Kuban versorgt mit ganz viel Fröhlichkeit die Patienten auf der Station der Tierklinik Norderstedt.
Dr. Selina Kuban versorgt mit ganz viel Fröhlichkeit die Patienten auf der Station der Tierklinik Norderstedt. © Thorsten Ahlf

Tierklinik Norderstedt: Exklusiver Einblick – Emotionaler Tag auf der Intensivstation

Während ihrer Morgenvisite untersucht die Stationsleiterin ein Tier nach dem anderen. Mehrere Tiermedizinische Fachangestellte wirbeln durch den Raum, bringen neue Patienten herein, halten sie fest, füttern und beruhigen sie. Morettes miaut kläglich. Der Kater hat Probleme beim Wasserlassen. „Das haben Kater relativ häufig. Die Harnröhre des Penis ist dünner als bei Katzen“, erklärt Kuban. Nachdem eine Spritze nicht die gewünschte Wirkung gezeigt hat, legt sie dem Tier einen Katheter.

Tierärztin Selina Kuban und TFA Stephanie Haase haben viel Spaß bei der Arbeit.
Tierärztin Selina Kuban und TFA Stephanie Haase haben viel Spaß bei der Arbeit. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES

Auf der Station wird viel miteinander gelacht. Alle versuchen, den Tieren den Besuch in der Klinik so angenehm wie möglich zu gestalten. „Bist du tapfer? Ja und wie!“ Stephanie Haase, die seit zehn Jahren als TFA in Norderstedt arbeitet, versucht, Clyde mit hoher Stimme zu besänftigen. Der zwei Jahre alte Shih-Tzu wimmert und jault in ihren Armen. Er leidet an einer Gefäßfehlbildung, die eine reduzierte Entwicklung der Leber zur Folge hat. Deswegen ist er extrem nervös und zittert. Nach einer speziellen Diät muss er operiert werden.

Norderstedt: Angestellte haben jeden Tag mit schwer kranken Tieren zu tun

Manchmal übertönen die Angestellten der Tierklinik mit ihrer Fröhlichkeit die Tatsache, dass sie jeden Tag mit schwer kranken Tieren zu tun haben. „Wir sehen hier sehr viel Leid auf einem Haufen“, sagt Kuban. Neben dem Behandlungsraum befindet sich die Intensivstation sowie zwei Isolationsräume, in denen hochinfektiöse Tiere voneinander getrennt untergebracht werden. „Wenn wir Patienten über einen längeren Zeitraum begleiten, leiden wir schon sehr mit.“

Selina Kuban und TFA Kira Spornhauer versorgen Katze Momoko während der Visite am Morgen.
Selina Kuban und TFA Kira Spornhauer versorgen Katze Momoko während der Visite am Morgen. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES

Jedes Tier wird mit Namen angesprochen. Momoko. Richard. Sausewind. Sie alle stehen in einer eigenen Akte, in der die Tiermedizinerin detailliert festhält, wie der Patient behandelt wird. „Die Patienten sind für niemanden einfach nur Tiere“, sagt Kuban. Die 30-Jährige hat schon immer davon geträumt, Tierärztin zu werden. Ursprünglich wollte sie Großtiere wie Rinder, Schweine oder Pferde behandeln. „Ich hatte meine romantische Idealvorstellung vom Tierarztsein. Ich dachte, ich könne etwas verändern. Dann habe ich gemerkt, dass die Wirtschaftlichkeit in der Massentierhaltung die größte Rolle spielt.“

Viele Französische Bulldoggen leiden unter Atemnot

Für sie fühlte es sich belastend an, dass Rinder auf vielen Höfen nur als Objekte angesehen werden. „Die Herde muss funktionieren. Es wird sehr wenig auf das individuelle Tier eingegangen“, sagt Kuban, die gebürtig aus Franken stammt und seit drei Jahren in der Tierklinik in Norderstedt arbeitet. Deswegen entschied sie am Ende doch, sich auf Kleintiere zu spezialisieren.

Französische Bulldoggen sind extrem überzüchtet und deshalb häufig Patienten in der Tierklinik. Bruno hat einen Bandscheibenvorfall.
Französische Bulldoggen sind extrem überzüchtet und deshalb häufig Patienten in der Tierklinik. Bruno hat einen Bandscheibenvorfall. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES

Bruno hat einen Bandscheibenvorfall. „Wir sehen Französische Bulldoggen hier sehr oft“, sagt die Tierärztin. Durch ihre großen Kulleraugen, flachen Nasen und runden Köpfe wirken sie sehr niedlich – doch genau dieses Aussehen bezahlen die Hunde mit ihrer Gesundheit, wie der Deutsche Tierschutzbund sagt. Viele von ihnen seien maßlos ins Extreme gezüchtet. Mehr als die Hälfte der Hunde würde wegen ihrer verkürzten Nasen unter Atemnot leiden. Auch Kiefer und Zähne haben eine Fehlstellung. „Der Charakter der Tiere ist toll. Aber sie stecken leider im falschen Körper“, sagt auch Selina Kuban.

Selina Kuban notiert sich die Befunde und trägt sie am Computer in eine digitale Akte ein. An der Wand hängen zahlreiche Dankeskarten.
Selina Kuban notiert sich die Befunde und trägt sie am Computer in eine digitale Akte ein. An der Wand hängen zahlreiche Dankeskarten. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES

Norderstedt: An der Wand hängen viele Dankeskarten von Tierhaltern

An der Wand im Behandlungszimmer hängen viele bunte Dankeskarten. Darauf sind Tiere der glücklichen Besitzer abgedruckt oder Worte wie „Danke für alles“. „Die meisten Besitzer sind super dankbar, wenn ihre Tiere wieder gesund werden. Manchmal bekommen wir sogar riesige Körbe mit Kaffee und anderen Sachen geschenkt“, erzählt Kuban.

Doch nicht alle Menschen seien so umgänglich. „Wir haben auch mit schwierigen Besitzern zu tun. Sie sind sehr besorgt, aufgebracht und wütend. Wenn sie einen langen Leidensweg mit ihren Tieren hinter sich haben, sind sie emotional natürlich belastet.“ Die Zusammenarbeit sei nicht immer einfach.

Pinscher Kira trägt einen Maulkorb, weil sie aus Angst um sich beißt.
Pinscher Kira trägt einen Maulkorb, weil sie aus Angst um sich beißt. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES

„Seid ihr bereit?“, fragt Stephanie Haase, die von allen nur „Hasi“ genannt wird, bevor sie den nächsten Patienten in den Raum holt. Pinscher Kira hat heute morgen drei Mitarbeiter beschäftigt. „Sie geht direkt auf einen los“, berichtet Haase. Die kleine Kira trägt einen Maulkorb. Obwohl sie Beruhigungsmittel bekommen hat, schnappt sie während der Untersuchung. Die Hündin mit dem gebrochenen Vorderlauf hat große Angst. Deshalb neigt sie zum Beißen.

Tierklinik Norderstedt: Kein Tier wird länger als nötig dabehalten

Tierbisse können extrem gefährlich sein. An diesem Morgen wird TFA Alexandra Noack von Katze Momoko gebissen. Sie muss sofort ihren Dienst beenden und ins Krankenhaus fahren. Dort bekommt sie ein Antibiotikum verschrieben. Katzen haben sehr viele Bakterien im Mund. Bisse können zu schlimmen Entzündungen führen.

Nach etwa zweieinhalb Stunden ist die Morgenvisite beendet. „Heute war es entspannt“, sagt Dr. Kuban. Manchmal müssten sie sich um 20 bis 25 Tiere am Tag auf einmal kümmern. Als nächstes besprechen sie die Fälle und rufen die Besitzer an, um sie zu informieren. „Heute ist ein schöner Tag, weil viele Tiere nach Hause dürfen“, sagt sie und lächelt. „Wir freuen uns über jedes Tier, das zurück zu seinem Besitzer kann. Wir behalten sie nie länger hier als nötig.“

Serie: Das Abendblatt begleitet und porträtiert in den kommenden Wochen mit der Tierklinik Norderstedt eine der größten und bekanntesten des Nordens. Lesen Sie demnächst, wie emotional eine Sprechstunde verlaufen kann.